: Cappuccino aus dem Altglas
AUSGESTÖPSELT Kein Strom, kein Müll: Ein Jahr lang hat der New Yorker Colin Beavan versucht, so ökologisch wie möglich zu leben. Welche Spuren hat das in seinem Alltag hinterlassen?
■ 46, ist Buchautor und Blogger aus New York. Der promovierte Elektroingenieur schrieb Sachbücher über Kriminologie und US-Kriegsgeschichte, bevor er Ende 2006 seinen Ökoselbstversuch begann. Von da an reflektierte er seine Erfahrungen auf dem Blog noimpactman.typepad.com, schrieb ein Buch und drehte einen Dokumentarfilm namens „No Impact Man“ darüber. Heute lehrt er als Gastdozent an der New Yorker Universität NYU. Er berät Stadt und Uni in Öko- und Verkehrsfragen.
INTERVIEW MEIKE LAAFF
taz: Herr Beaven, was war die größte Klimasünde, die Sie heute begangen haben?
Colin Beaven: Mein kleines Mädchen und ich waren heute draußen. Normalerweise nehmen wir das Rad oder laufen zu Fuß. Aber heute hat es geregnet. Und da haben wir ein Taxi genommen.
Mitten in Manhattan haben Sie ein Jahr lang mit Frau und kleinem Kind versucht, der Umwelt so wenig zu schaden, wie es nur geht. Was ist Ihr Fazit, wie retten wir die Welt?
Wow – wie retten wir die Welt? Jesus, müssen Sie mir diese Frage stellen? Es gibt grundsätzlich zwei Möglichkeiten, die Welt zu retten: Wir richten weniger Schaden an und wir tun mehr Gutes.
Ihre Kritiker werfen Ihnen vor, dass Sie einfach nur einen journalistischen Stunt hingelegt haben, eine öffentlichkeitswirksame Show. Sind diese Leute nur zynisch?
Darf ich Sie einmal etwas fragen?
Klar.
Würden Sie mit mir sprechen wollen, wenn Sie meine Geschichte von diesem Verzicht nur als Show betrachten würden?
Wenn ich es nicht interessant fände, hätte ich Sie bestimmt nicht drei Stunden nach Feierabend in New York angerufen.
Heutzutage müssen wir einfach manchmal so einen Stunt machen, um die Aufmerksamkeit der Medien zu erregen. Besonders in den USA. Aber die Frage ist: Mache ich das einfach nur, weil ich einen Haufen Aufmerksamkeit bekommen will? Oder will ich die Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Problem lenken? Ich habe tausende E-Mails von den Leuten bekommen, die mein Blog gelesen haben. Viele haben geschrieben, wie sie jetzt ihr Leben ändern wollen. Die wichtige Frage ist nicht, ob das jetzt ein Stunt war oder nicht. Sondern ob man es geschafft hat, Leute für Umweltpolitik, ein umweltverträglicheres Leben zu begeistern.
Ist das auch die Antwort auf die Frage, warum Sie ein Blog geschrieben haben, was ja einige Energie frisst – obwohl Sie eigentlich Ihre CO 2 -Emissionen zurückschrauben wollten?
Ja klar. Die Idee war: Spread the word. Und ich hatte eine Solarzelle, die den Strom für das Laptop produziert hat. Aber die Frage ist doch: Was tun wir zum Ausgleich, wie halten wir Balance? Tun wir mehr Gutes, als dass wir schaden? Ich glaube nicht, dass irgendjemand es schafft, überhaupt nichts Schlechtes zu tun. Zumindest ich kann das nicht. Ich bin ein fehlbarer Mensch.
Welcher Verzicht ist Ihnen am schwersten gefallen?
Die Waschmaschine. Ich musste alles in der Badewanne mit den Füßen sauberstampfen oder von Hand waschen. Natürlich gibt es Dinge, die Ressourcen verbrauchen, aber unser Leben substanziell verbessern. Da ist die Frage: Wie kommen wir an diese Ressourcen, ohne den Planeten zu zerstören?
Nach Ende Ihres Projekts haben Sie den Kühlschrank wieder eingestöpselt. Leben Sie ansonsten noch so wie im „No Impact“-Jahr?
Vieles, was wir uns in diesem Jahr angewöhnt haben, hat sich für uns als sinnvoll herausgestellt. Im Alltag fit werden zum Beispiel, indem wir Rad fahren oder zu Fuß laufen. Wir versuchen weiterhin, Produkte aus der Region zu essen, weil das gesünder ist. Für eine Familie ist es auch besser, keine Glotze zu haben. Uns ist aufgefallen, dass wir keinen Wert auf die Klimaanlage legen, darum haben wir die auch rausgekickt. Der Unterschied zu dem „No Impact“-Jahr ist, dass es jetzt keine Regeln mehr gibt. Während des Jahres gab es jede Menge davon. Egal was passiert ist, ich habe diese Regeln nicht gebrochen. Oder es zumindest wirklich versucht.
Die Marmeladengläser, in die Sie sich bei Starbucks und in Restaurants Getränke haben füllen lassen, haben Sie bestimmt auch abgeschafft.
Auf keinen Fall! Wir haben inzwischen, glaube ich, mehr Marmeladengläser zu Hause als Tassen oder Gläser. Ich trage mein Marmeladenglas immer noch mit mir rum.
Aber warum haben Sie nicht einfach einen Refill-Cup gekauft, so einen Becher zum Nachfüllen?
Keine Ahnung, wie diese Dinger in Deutschland gemacht sind, aber hier in den USA haben die so eine Gummidichtung, die viel zu schnell den Geist aufgibt. Oder irgendwas bricht ab. Nach ein paar Monaten muss man immer einen neuen kaufen. Wenn man ein altes Marmeladenglas aus dem Müll holt und wieder benutzt, dann werden überhaupt keine Ressourcen verschwendet. Und die Leute reden auch noch drüber. Sie haben es gerade angesprochen. Es ist ein Anfangspunkt für Gespräche. Außerdem sehe ich jetzt in der Stadt wirklich manchmal Leute, die ihren Kaffee aus alten Marmeladengläsern trinken. Natürlich nicht nur meinetwegen.
Wäre es also Ihre Vision, jeden New Yorker dazu zu bringen, mit seinem Marmeladenglas zu Starbucks zu gehen?
Ich will niemanden zu irgendetwas bringen. Das Nachdenken ist mir wichtig. Die Leute dazu anzuregen, etwas zu benutzen, was sie vielleicht schon haben, statt schon wieder etwas Neues zu kaufen.
Ökokorrekte Ernährung ist kompliziert. Hat der Apfel aus der Region wirklich die bessere Ökobilanz als der, der um die halbe Welt geschifft wurde? Sie haben aber einfach entschieden: Ich ernähre mich lokal, das wird schon richtig sein.
Man kann da natürlich total verkopft rangehen, mit dem ganzen Intellekt und der Logik. Oder man konzentriert sich auf etwas anderes und versucht, das Beste zu tun mit dem Wissen, das einem zur Verfügung steht. Und wenn einem etwas auffällt, das man einbeziehen kann, tut man das. Man sollte sich aber nicht verrückt machen: Diese ganze Geschichte, dass lokale Produkte doch nicht gut sind, das hat viel zu tun mit Firmen, die mit PR-Strategien zurückschlagen. Ich glaube, der Trick ist, weise zu handeln. Sich selbst zu vertrauen. Darauf zu hören, was einem selbst sinnvoll erscheint. Mit der Wissenschaft ist es eben manchmal ziemlich schwierig.
Je weiter man Ihr Buch liest, desto mehr wird es zu einer Art „Simplify your life“-Ratgeber: Wer weniger konsumiert, wird glücklicher. Ist das die Botschaft?
Hier in New York gibt es einen Haufen Leute, die so viel arbeiten, Tag und Nacht, dass sie kaum Zeit mit den Menschen verbringen, die sie lieben. So viele Menschen arbeiten für Firmen, von deren Mission sie nicht überzeugt sind, darum haben sie das Gefühl, ihr Leben zu vergeuden. Zum Ausgleich bekommen sie dann einen Haufen Geld, um einen Haufen Zeug zu kaufen. Danach fühlen sie sich kurzfristig gut, aber es macht sie nicht glücklich. Warum verdienen wir nicht weniger Geld, um weniger Kram zu kaufen und mehr Zeit für die Dinge zu haben, für die wir uns interessieren? Historisch gesehen haben wir soziale Interaktion durch Konsum ersetzt. Mit weniger Konsum würden wir aber nicht nur uns, sondern auch dem Planeten etwas Gutes tun.
Andere Leute, die die Welt retten wollen, predigen ökofairen Konsum. Sie sind skeptisch, ob das funktioniert.
■ Darum geht es: Weder seine Prada-powershoppende, Starbucks-süchtige Frau noch seine damals zweijährige Tochter vermochten Colin Beavan von seinem „No Impact Man“-Projekt abzubringen. Ein Jahr lang lebte die Familie so, dass sie ihren ökologischen Fußabdruck so klein wie möglich hielt. Ihre Regeln:
■ Kein Müll: Die Beavans hörten auf, plastikverpacktes Fastfood zu kaufen und Coffee to go zu trinken, bestellten Stoffwindeln für ihre Tochter, füllten im Supermarkt alle Waren in mitgebrachte Behälter um oder kauften Unverpacktes. Was übrig blieb, kompostierten sie in einer geruchsneutralen Anlage in ihrem Loft in Manhattan.
■ Kein Transport: Statt U-Bahn zu fahren, bewegte die Familie sich per Fahrrad, zu Fuß oder mit dem Tretroller durch Manhattan. Sie begann, Aufzüge zu boykottieren – kein Spaß in einer Innenstadt, in der viele Gebäude über 50 Stockwerke haben! Flüge wurden gestrichen, ebenso wie einige Bahnfahrten für Familienbesuche.
■ Regionale Ernährung: Sie aßen nur, was im Umkreis von 250 Kilometern rund um New York hergestellt wurde. Entsprechend häufig kaufte die Familie auf dem lokalen Farmermarkt ein. Bei Kaffee machte sie eine Ausnahme.
■ Kein Strom: Das Aus für Fernseher, Klimaanlage, Waschmaschine und Kühlschrank. Sogar elektrisches Licht ließ die Familie ausgeschaltet und las abends bei Kerzenlicht. Um sein Laptop mit Strom zu versorgen, nutzte Beavan Solarpanels auf dem Dach seines Hauses.
■ Kein Konsum: Sie beschlossen, nichts Neues zu kaufen. Also keine Zeitung, Kleidung und so weiter – und stattdessen Notwendiges gebraucht zu erwerben oder zu tauschen.
■ Engagieren: Zusätzlich zu dem Verzicht engagierte sich Beavan ökologisch: sammelte Müll am Hudson-Ufer, nahm Kontakt mit Umweltorganisationen auf und spendete Geld, das die Familie durch die oben genannten Punkte eingespart hatte.
Wir müssen nach Wegen suchen, die Art und Weise, wie wir leben, zu ändern. Ich rede jetzt nicht nur von Individuen, sondern von unseren Systemen. Die Wirtschaft, so wie sie ist, baut auf Konsum auf und spielt den ökonomischen Wohlstand der Leute gegen die Umwelt, das Wohlbefinden des Planeten aus. Dieses System wird nicht ewig funktionieren. Aber die gute Nachricht ist: Wir können einen Weg finden, unser Leben zu verbessern – und die Situation auf der Erde. Wir befinden uns in einer Krise. Aber die birgt auch Chancen.
Ich verstehe trotzdem immer noch nicht ganz, wie genau wir Ihrer Ansicht nach aus dieser Krise rauskommen.
Dann fangen Sie an zu arbeiten! Suchen Sie nach dem Ausweg! Noch kennt keiner die Lösung! Am Anfang von etwas so Großem weiß man nie, wie man es schaffen soll. Wir wissen schon jede Menge – etwa, dass wir regenerative Energien brauchen werden. Aber vieles wissen wir eben auch nicht.
Sie schreiben, es sei falsch, die Verantwortung für die Rettung der Erde Politikern zu überlassen. Sind Sie trotzdem vom Klimagipfel in Kopenhagen desillusioniert?
Ich bin sehr desillusioniert. Und enttäuscht. Aber das bedeutet, dass wir weiterarbeiten müssen. Das muss nicht das Ende der Diskussion sein. Es gibt jede Menge einzelner Amerikaner, die sehr hart daran arbeiten, etwas zu verändern. Unglücklicherweise ist das bisher nicht zur Spitze unseres politischen Systems hochgesprudelt.
Auf dem Cover Ihres Buches bezeichnen Sie sich als „guilty liberal“, als „schuldigen Liberalen“. Fühlen Sie sich heute, nach all dem Aufwand, den Sie betrieben haben, etwas weniger schuldig?
Aktiv sein, das ist eine meiner Prämissen. „Warum sollte ich es versuchen? Ich kann ja doch nichts ändern“ – so denken viele Leute. Die Frage ist aber gar nicht so sehr, was man wirklich verändern kann. Sondern: Wie würdest du dich fühlen, wenn du dich dafür entscheidest, zu der Sorte Leute zu gehören, die es versucht. Es besteht immerhin die Chance, dass du dich schon allein durchs Versuchen besser fühlen wirst. Fühle ich mich weniger schuldig? Ja. Denn ich habe das Gefühl, dass ich es zumindest versuche.