: Gourgou leuchtet
ENTWICKLUNG Ein Dorf in Burkina Faso hat erstmals Strom – dank Solarzellen auf dem Schuldach. Plötzlich sind Kino, Solarkiosk und Abendkurse möglich
YACOUBA SORAHO, SCHULDIREKTOR
AUS GOURGOU KATRIN GÄNSLER
Felicité Jemboué fährt vorsichtig mit ihrem rechten Zeigefinger über den weißen Lichtschalter. Dann reicht eine winzige Bewegung, und das Klassenzimmer der 13-Jährigen ist hell erleuchtet. Sie strahlt. Es ist noch nicht oft in ihrem Leben passiert, dass sie auf einen solchen Schalter gedrückt hat. Doch es ist nicht der Schalter, der sie so fasziniert, sondern die nackte Glühbirne, die von der Decke baumelt. Denn sie birgt ungeahnte Möglichkeiten für das Dörfchen Gourgou in Burkina Faso.
Strom in der Schule zu haben war bis vor kurzem ein unerfüllbarer Wunsch. In Gourgou gab es kein Licht. Jedes Kind war es gewöhnt, dass höchstens nachts im kleinen Lehmhaus der Eltern eine Taschenlampe brennt. Und dass nur, wenn genügend Geld für die Batterien da ist. Doch oft haben die Billigmodelle aus Asien schon beim Kauf kaum noch Saft. In Burkina Faso ist das keine Ausnahme. Das Land gehört zu den ärmsten auf der Welt. Strom ist etwas, was in ländlichen Regionen Luxus ist. „Wir sind schon froh, wenn wir einen Brunnen haben, der in erreichbarer Nähe ist“, erklärt Naba Koaga, der Dorfchef und damit traditioneller Herrscher von Gourgou ist.
Dabei liegt Gourgou gar nicht weit von der nächsten Stadt Tenkodogo, einem Provinznest mit rund 30.000 Einwohnern, entfernt. Dort gibt es ein paar Hotels, kleine Restaurants, Busbahnhof, Markt, viele sandige Straßen und Strom. Aber bis nach Gourgou sind die Leitungen nie gelegt worden. Auch Pläne dafür gab es nicht. Für Naba Koaga war die Solaranlage auf der Schule deshalb eine hervorragende Idee für die Entwicklung seines Dorfes: „Endlich muss ich nicht mehr in die Stadt fahren, nur um mein Handy aufladen zu lassen“, sagt er und meint damit zugleich: nicht nur die Schüler profitieren, sondern das ganze Dorf. Quasi als Beweis kramt er das alte Nokia-Modell aus der Tasche und zeigt auf den Display: Es ist frisch aufgeladen. Alle Balken sind da. An den Anblick der Solaranlage, die Anfang des Jahres auf dem Schuldach installiert und von der Gingko-Stiftung, die Ingeborg und Udo Behrenwaldt vor elf Jahren gegründet haben, finanziert wurde, schaut niemand mehr. Dafür macht sich Schulleiter Yacouba Soraho jede Menge Gedanken darüber, was mit dem Strom alles gemacht werden kann. Er sitzt in seinem kleinen, schlauchförmigen Zimmer. In den Regalen stapeln sich Aktenordner. Neben dem Schreibtisch hat er einen alten CD-Spieler aufgebaut. Vor ihm liegen ein paar DVDs, die es überall auf den Märkten gibt. Raubkopien von Filmen aus Indien oder Nigeria. Das altersschwach wirkende Gerät ist für ihn der Weg zu moderneren Unterrichtsmethoden. „Jetzt können wir den Schülern sogar Musik vorspielen“, sagt er und fängt an zu träumen: Mit dem Strom könnten vielleicht sogar Laptops zum Einsatz kommen. Irgendwann unterbricht er sich und sagt: „Im Moment haben wir Lehrer ja selbst noch nicht einmal Laptops.“
Für ein realistischeres Projekt hat er sich vorsorglich schon einmal die DVDs gekauft. Yacouba Soraho möchte Filmabende anbieten. Natürlich sei das kein ganz großes Kino wie in der Stadt mit einer riesigen Leinwand, aber für ein Dorf wie Gourgou durchaus ein Ereignis. Bânse Abel kommt in das Zimmer des Schulleiters. Die beiden Männer haben sich schon früher regelmäßig zu Gesprächen getroffen. Abel ist schließlich Elternvertreter und hat mehrere Kinder an der Schule. Doch nun ist er noch häufiger an der Schule. Denn im Schulleiter-Zimmer steht nun eine Ladestation für Handys. Noch ist das Aufladen kostenlos. Doch die Schule überlegt, künftig eine Art Stromkiosk einzuführen. Für umgerechnet ein paar Cent könnten Familien ein monatliches Abo abschließen und regelmäßig Handys aufladen und auch die großen Akkus für die Taschenlampen zu Hause auswechseln. Die Ladegeräte dafür sind bereits vorhanden. Positiver Nebeneffekt: Damit würden auch die unzähligen Einwegbatterien wegfallen, die niemand fachgerecht entsorgen kann.
Bânse Abel hält das für eine gute Idee. Wenn er erzählt, entschuldigt er sich ein paar Mal. Er spricht Mossi, die am häufigsten gesprochene Sprache in Burkina Faso, und für ihn muss immer jemand übersetzen. Aber er würde gerne Französisch lernen, und dafür ist seiner Meinung nach nun der richtige Zeitpunkt gekommen: „Jetzt können wir Abendkurse für Erwachsene anbieten. Licht haben wir ja.“ Abends würde auch Felicité Jemboué gerne lernen. Sie steht mit ein paar Mitschülern unter dem großen Baum, der mitten auf dem Schulhof steht. „Vielleicht werden wir irgendwann einmal auch zu Hause Strom haben“, hofft sie, „dann könnte ich sogar abends Hausaufgaben machen.