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Archiv-Artikel

Schwarze Pendler zwischen den Städten

Was die Gothic-Szene in Greifswald, Berlin, Leipzig und anderswo verbindet, ist das zur Schau gestellte Außenseitertum. Passend zur Vorliebe fürs abseitige Setting sind viele der dunklen Bands nur Eingeweihten bekannt. Doch auch der Mainstream ist für die Blumen des Bösen nicht unerreichbar

Ob mit Abstand oder ungebrochen: Gruftie zu sein ist in Greifswald komplizierter als in Berlin

VON THOMAS WINKLER

Mittwochs könnte man ins K17, da kann man fast immer hin. Auch am nächsten Tag, zum „Schwarzen Donnerstag“. Am Freitag heißt es dort „Dark Friday“. Da könnte man aber auch in den Kreuzberger Kato – irgendwer legt da immer Darkwave, Gothic oder Industrial auf. Samstag gibt’s viele Möglichkeiten, ob Lime-Club oder G2 Club, vielleicht auf die Insel, zum Eighties-Revival ins gute alte Linientreu oder eben wieder ins K17, in der Szene liebevoll „Kasi“ genannt. Die Woche endet und beginnt im Dunker: Am Sonntag ist da immer was los, und tags darauf geht’s zum schon seit Jahren traditionellen „Dark Monday“. Nur am Dienstag, meint Hardy Fieting, da „sieht’s mau aus“ für den Berliner Gruftie.

Fieting ist Sänger der in der schwarzen Szene Berlins recht bekannten Band Scream Silence, die eben ihr fünftes Album, „Saviourine“, herausgebracht hat, zudem Studio-Betreiber und Produzent anderer Gothic-Bands. Er trägt von der Sohle bis zum gefärbten Haarschopf konsequent Schwarz und entschuldigt sich doch, „dass ich nicht so der Klischee-Gothic bin“. Dazu sieht er die Szene und ihre bisweilen bizarren Freizeitbeschäftigungen mit dem Abstand eines 36-jährigen Familienvaters.

Aber wahrscheinlich gibt es ihn auch gar nicht, den ideellen Gesamt-Gothic: Zu heterogen wirkt es, das düstere Treiben. Die einen gehen tagsüber nicht vor die Tür, um ihren teigigen Teint nicht zu gefährden, andere verbringen Stunden damit, sich zum Leichnam zu schminken. Die einen rasieren sich den Kopf, andere türmen die dunkle Haarpracht zu kunstvollen Nestern. Manche suchen Sinn im Studium keltischer Runen, andere schlüpfen für Fantasy-Spiele in die Kostüme von Magiern und Schamanen. Die einen sind überzeugt asexuell, andere androgyn, Fetisch- oder S/M-Fans oder führen ein Familienleben im Eigenheim. Die einen hören eher süßlichen Electro-Pop, die anderen Breitwandrock, schweren Metal, nahezu atonalen Industrial oder dudelsackgetränkten Mittelalter-Rock. Das, was die Szene verbindet, ist die melancholisch-depressive Grundstimmung ihrer Musik und das demonstrativ zur Schau gestellte Außenseitertum.

„Das Schwarze zeigt es an“, sagt Mario Bauch, „wir grenzen uns vom Mainstream ab.“ Mario Bauch arbeitet seit fünf Jahren als Rechtsanwalt im vorpommerschen Grimmen, trägt Glatze, hat in seiner Freizeit das demnächst erscheinende Standardwerk „Die Hintergründe der germanischen Heldensagen“ verfasst und komponiert Songs über Vampire. Die singt der 34-Jährige dann auf „Darkchild“, dem Debütalbum seiner Gothic-Metal-Band Katanga, mit dunkel röhrender Stimme. Sein erstes Video hat das Greifswalder Quintett gedreht in der Eldenaer Klosterruine und in einem Berliner S/M-Club. In nahezu jedem Song spielt die „Darkness“ eine nicht unwesentliche Rolle. In „Blutfreier“, dem einzigen Song mit deutschen Texten, sucht ein Untoter eine Gespielin: „Bin dein Meister, bin dein Blutfreier/ Komm, folge mir ins Abendrot“, grummelt Bauch und mag doch keinen Humor darin erkennen. „Wir mögen diese Klischees“, sagt er trotzig. Und erntet dafür prompt Widerspruch in der eigenen Band.

Ob mit Abstand oder ungebrochen: Gruftie zu sein ist in Greifswald komplizierter als in Berlin. Zwar ist das Universitätsstädtchen recht liberal, aber die abendlichen Ausgehmöglichkeiten sind beschränkt. Deshalb reisen Bauch und seine Kollegen häufig in die Hauptstadt – wo sie auch ungleich öfter auftreten als in Greifswald und Umgebung. Das Umland ist jugendkulturell nun mal in der Hand eher intolerant eingestellter Gesellen, und „die Skins auf dem flachen Land“, meint Katanga-Gitarrist Michael Schmidt, „die haben mit der Gothic-Szene nichts zu tun.“

Der Versuch rechtsradikaler Kreise vor einigen Jahren, intellektuell unterstützt von der Jungen Freiheit, die Gothic-Szene zu unterwandern, gilt mittlerweile als weitgehend abgewehrt. „Das hat sich erledigt“, sagt Bauch, „weil es nicht auf fruchtbaren Boden gefallen ist.“ Man spürt: Am liebsten will die Szene das Thema ignorieren. Auch wenn bei Einzelnen immer noch wegen der intensiven Beschäftigung mit germanischen Bräuchen eine bisweilen gefährliche Nähe zu nazistischer Ideologie entsteht. Katanga haben mit „The Book of Lies“ sogar einen ausdrücklich antifaschistischen Song im Programm, andere Bands aber kokettieren nach wie vor mit faschistischer Ästhetik oder verherrlichen in Einzelfällen ausdrücklich rechtes Gedankengut. Die Szene ist aber mittlerweile hellhöriger und distanziert sich größtenteils ausdrücklich. „Wer sich mit Uniformen auf die Bühne stellt“, sagt Fieting und meint die in diesem Zusammenhang immer wieder gern angeführte Band Death In June, „der muss sich auch nicht wundern, wenn er in die Ecke gerückt wird“.

Scream Silence, so Fieting, hätten sich in ihrer nun fast ein Jahrzehnt währenden Existenz „noch nicht einmal angemalt“, wenn sie auf eine Bühne gingen. Stattdessen hat man sich mit melancholischem Dunkelrock langsam, aber sicher eine solide Anhängerschaft erspielt. Obwohl man „lange nicht mehr so düster ist wie früher“ und, wie Fieting es formuliert, mittlerweile „salonfähige Musik“ macht. In jüngeren Jahren hat man schon mal eine Hommage an „Bram Stoker’s Dracula“ aufgenommen, heute wäre ihm das „zu plakativ“. Stattdessen handeln die Texte eher „von Liebe, von Ängsten, von profanen Alltagssituationen“. Vielleicht auch deshalb haben sich Scream Silence zu einem Aushängeschild der Berliner Gothic-Szene entwickelt – einer Szene, die doch im vergleichsweise Verborgenen vor sich hin werkelt.

Denn die meisten der vielen dunklen Hauptstadt-Bands sind nur lokal bekannt. Überregional erfolgreiche Ausnahmen wie die Dark-Rocker von Zeraphine, die eher zum Mittelalterlichen tendierenden Tanzwut oder die in Potsdam beheimateten Subway To Sally gibt es nur wenige. Scream Silence sind auf dem Sprung dorthin: Für „Saviourine“ gab es so viele Vorbestellungen, dass das Album beinahe in die Charts eingestiegen wäre. Damit ist man vorerst zufrieden. Trotzdem muss sich das Quartett – außer Fieting, der seit sechs Jahren durch das Studio, das er im Dachgeschoss des K17 betreibt, überlebt – mit Jobs als System-Administrator, Sozialarbeiter oder – wirklich wahr – Assistent in der Pathologie über Wasser halten.

Dass der Mainstream dieser Tage für die Blumen des Bösen nicht unerreichbar ist, das beweist der Erfolg des Teenie-gerechten Düster-Rocks von HIM und einer Band wie Nightwish. Nightwish sind in der Szene auch weiter gut gelitten, weil sie ihren Erfolg einer jahrelangen Ochsentour durch die Dark-Rock-Clubs der Republik verdanken und im Gegensatz zu HIM, so Fieting, ihren Sound nicht „glatt gelutscht“ haben.

„Die Akzeptanz ist größer geworden, Gothic ist mittlerweile ein Teil der Gesellschaft“, sagt Fieting. „Die Leute wissen, dass wir auch nur nette Jungs von nebenan sind.“ Zwar wollte MTV das aktuelle Scream-Silence-Video nicht ausstrahlen („War ihnen zu düster“), aber die verzerrte Darstellung in den Boulevard-Medien hat ein Ende gefunden. Die Öffentlichkeit hat mittlerweile sogar festgestellt, dass Grufties zwar bisweilen Furcht erregend aussehen, aber zu den friedlichsten Jugendkulturen gehören. Das alljährliche „Wave-Gothik-Treffen“ in Leipzig, das mit 20.000 Besuchern angeblich größte seiner Art weltweit, ist in Leipzig mittlerweile nicht mehr nur gelitten, sondern wird als Wirtschaftsfaktor geschätzt.

Und das, obwohl die Szene kaum wächst oder schrumpft: Manche werden eben älter, wachsen aus der Sache raus, Jüngere wachsen nach – aber die musikalischen Möglichkeiten haben sich mit den Jahren kaum verändert. Der Blutfreier geht also weiter auf seine altbekannte Brautschau.

Katanga: „Darkchild“ (Rabazco/Soulfood); Scream Silence: „Saviourine“ (Plainsong/Rabazco/Soulfood)