: Warten auf das Wort des Präsidenten
In Frankreich entscheidet der Verfassungsrat über die Zulässigkeit des umstrittenen Erstanstellungsvertrages. Die Spaltung in der Regierung vertieft sich. Die Polizei nimmt 800 Jugendliche wegen Diebstahls am Rande der Demonstrationen fest
AUS PARIS DOROTHEA HAHN
Am Tag nach der größten sozialen Mobilisierung seiner Amtszeit hat der oberste Chef der Franzosen gestern sämtliche Reisen abgesagt und sich in seinem Palast im 8. Pariser Arrondissement eingeigelt. „Jacques Chirac wird in den nächsten Tagen sprechen“, verlautete aus dem Élysée. Was er seinem Volk sagen wird, verrieten die Sprecher nicht.
Die Möglichkeiten des Staatspräsidenten reichen von der Entlassung des Premierministers seines Vertrauens, Dominique de Villepin, der gestern immer noch an dem „Ersten Arbeitsvertrag“ festhielt und lediglich „Anpassungen“ anbot, bis hin zur Rückgabe des Gesetzes ins Parlament. Er könnte auch darauf spekulieren, dass die Universitätsferien im April für ein Zusammenbrechen der Bewegung sorgen.
Hilfreich könnte dem Staatspräsidenten die für heute angekündigte Entscheidung des Verfassungsrates werden. Die linke Opposition hatte ihn angerufen, weil sie den „Ersten Arbeitsvertrag“ in zwei Punkten für verfassungswidrig hält: Er diskriminiert eine bestimmte Altersgruppe von Beschäftigten und er sieht mit zwei Jahren eine unverhältnismäßig lange Probezeit vor.
Auf der anderen Seite begannen gestern radikalere Aktionen. In Rennes, Poitiers und anderen Provinzstädten, wo die Bewegung vor sieben Wochen begonnen hat, blockierten Jugendliche am Vormittag große Verkehrswege. Gleichzeitig diskutierten die fünf nationalen Gewerkschaften – von der christlichen CFTC bis zur größten, der CGT – über neue Aktionen für den Fall, dass der CPE nicht zurückgezogen wird. Ihren autistischen Premierminister haben die Gewerkschaften bereits als Ansprechpartner übersprungen. In einem gemeinsamen Brief appellierten sie direkt an den Staatspräsidenten, er möge den CPE zurücknehmen.
Trotz niedriger Mitgliederzahlen haben die französischen Gewerkschaften bei der Anti-CPE-Bewegung eine Mobilisierungsfähigkeit bewiesen, die ihnen kaum jemand nachmachen kann. Nach gewerkschaftlichen Schätzungen waren am Dienstag drei Millionen Menschen auf der Straße – doppelt so viele, wie zehn Tage zuvor gegen den CPE demonstriert hatten – und zehn Mal so viele wie beim ersten Aktionstag im Februar. Hunderttausende legten gleichzeitig die Arbeit nieder, darunter erstmals viele in privaten Unternehmen. „Unsere Mobilisierungskapazität ist noch nicht erschöpft“, verlautete gestern.
In der Regierung, die gestern Vormittag ihre wöchentliche Kabinettssitzung im Beisein des Staatspräsidenten hatte, vertieft sich in der CPE-Frage die Spaltung. Der Premierminister setzt auf Durchhalten. Sein Hauptgegenspieler, Innenminister Nicolas Sarkozy, setzt auf Zeitgewinn durch Verschiebung des CPE. Die anderen MinisterInnen unterstützen jeweils einen der beiden. Am Ausgang der gestrigen Kabinettssitzung behaupteten jedoch alle MinisterInnen, sie hätten das wichtigste Thema Frankreichs nicht mal angesprochen.
Kurz vor der Kabinettssitzung hatte Außenminister Philippe Douste-Blazy ausländische JournalistInnen zu einem Frühstück an seinen Amtssitz geladen. Dabei erklärte er, dass der CPE die richtige Antwort auf die hohe und lang anhaltende Jugendarbeitslosigkeit in Frankreich sei. Er bestritt, dass die Demonstrationen auf der Straße den Willen des Volkes ausdrückten, und begründete die Richtigkeit des CPE für Frankreich wiederholt mit einem Passus aus dem Koalitionsvertrag in Deutschland. Der Passus sieht die Einführung von 24-monatigen Probezeiten vor.
Die Auseinandersetzungen am Rande der Anti-CPE-Demonstrationen in Paris beschäftigen jetzt auch die Gerichte. Am Dienstag gelang es der Polizei erstmals, die männlichen – und neuerdings auch weiblichen – SchlägerInnen von den DemonstrantInnen fern zu halten. Zuvor waren hunderte dieser Jugendlichen in Paris wiederholt über DemonstrantInnen hergefallen und hatten sie ausgeraubt. Andere brachen während der Demonstrationen in Telefongeschäfte, Banken und Geschäfte ein. Die Polizei nahm 800 Jugendliche fest, die der Beschaffungskriminalität und Gewalt am Rande der Demonstrationen verdächtigt werden. Viele Festgenommene sind minderjährig. Die meisten kommen aus Vorstädten rund um Paris.