: Anfall von Schwäche
FRAUENFUSSBALL Meister VfL Wolfsburg startet gegen den ambitionierten FC Bayern mühsam in die Saison
Müde und mit leiser Stimme fasste Nadine Keßler das Spielgeschehen zusammen. „Wir waren immer einen Tick zu spät. Vieles hat noch nicht gestimmt“, sagte eine jener Spielerinnen im Team des VfL Wolfsburg, die in den vergangenen Monaten extrem erfolgsverwöhnt sind. Das 1:1 der derzeit erfolgreichsten deutschen Frauenfußball-Mannschaft war ein Rückschritt vor großer Kulisse: 8.249 Zuschauer wollten zum Start der Bundesligasaison das Duell zwischen dem VfL Wolfsburg und Bayern München sehen. Sie bekamen bei tropischen Temperaturen ein schwaches Spiel geboten. Nach dem Triumph in der Meisterschaft, im Pokal und der Champions League sind Spielführerin Keßler und ihr Team unsanft in den Ligaalltag zurückgekehrt.
Sie wollten die Gunst der Stunde, die ein spielfreies Wochenende der Männer-Bundesliga ermöglicht hatte, für ihren nächsten großen Auftritt nutzen. Doch die Fernsehkameras des Spartensenders Eurosport, der gerade sein Herz für den Frauenfußball entdeckt und die Partie live übertragen hat, fingen eine Vielzahl von Fehlern und Patzern ein. Was auch immer die ersatzgeschwächte VfL-Mannschaft von Chefcoach Ralf Kellermann anstellte – der ehrgeizige Mann raufte sich genervt die Haare und rutschte unruhig auf seinem Plastik-Gartenstuhl hin und her, der ihm als Trainerbank dient. Das 0:1 in der 15. Minute von Katharina Baunach, begünstigt durch einen Fehler der neuen Wolfsburger Torfrau Almuth Schult, hatte den ohnehin lahmen Favoriten weiter gelähmt. Es reichte nur noch zum Ausgleich (69.) durch die agile Lena Gößling per Freistoß.
Die Vehemenz, mit der die Wolfsburger Frauen ins Rampenlicht drängen, birgt auch so manche Gefahr. Von einem mit Nationalspielerinnen gespickten Team werden ständig neue Glanztaten erwartet. Dummerweise hatten Leistungsträgerinnen wie Keßler und Goeßling nach dem Triumph mit der Nationalelf bei der Europameisterschaft gerade einmal drei Wochen Sommerpause, bevor sie wieder in das Vereinstraining einsteigen mussten. „Und sie werden bis zur Winterpause keine Ruhe haben“, prophezeit ihr Trainer in besorgtem Tonfall.
Nach ihrem Heimspiel, das den ersten Punktverlust im eigenen Stadion seit fast zwei Jahren mit sich gebracht hatte, waren die Wolfsburger Spielerinnen noch als Werbeträgerinnen gefragt. Neben dem Stadion am Elsterweg gab es eine Art Familienfest, das die Vorzüge des VfL Wolfsburg beleuchten sollte. Bewacht von Ordnern in dunklen Anzügen standen dort auch die drei großen Pokale inklusive Champions-League-Trophäe bereit. Sie waren eben noch Ansporn für Höchstleistungen und entpuppen sich jetzt als Ballast.
Ein Remis gegen einen heimlichen Titelanwärter wie die frechen Münchnerinnen wird bereits wie eine ärgerliche Niederlage eingestuft. Dabei hatten die Wolfsburgerinnen in der Schlussphase sogar Glück, dass einer von mehreren Fehlern ihrer Torfrau Almuth Schult nicht auch noch mit dem 1:2 bestraft wurde. Lena Lotzen, Nationalspielerin im Team des FC Bayern München, hatte den Ball am leeren Tor vorbeigeschossen. Es war einer der vielen Momente dieses Saisoneröffnungsspiels, in denen die erhoffte Werbung für den Frauenfußball einem Anfall von Schwäche zum Opfer fiel.
CHRISTIAN OTTO