: „Ich habe lauter neue Ideen“
Detmolds Arbeitsagentur-Direktor Hartmut Hiltl setzt weiter auf einen Ausbildungskonsens
taz: Herr Hiltl, in der Region Lippe kommen auf eine freie Ausbildungsstelle fünf Bewerber. Woher kommt diese katastrophale Schieflage?
Harald Hiltl: In der Tat geht die Schere zwischen Angebot und Nachfrage seit ein paar Jahren extrem auseinander. Das Angebot ist stark geschrumpft, weil in den vergangenen fünf Jahren unsere Region 10.000 Arbeitsplätze verloren hat – vor allem in der Holz- und Bauindustrie, wo traditionell viel ausgebildet wird. Einige hundert Lehrstellen sind dort weggefallen.
Gleichzeitig stieg die Nachfrage um fast 15 Prozent.
Durch einen hohen Zuzug von Aussiedlerfamilien in den 90er-Jahren verlassen hier besonders viele Jugendliche die Schule und es werden in den nächsten Jahren noch mehr. Außerdem kommen zu den neuen Schulabgängern diejenigen hinzu, die sich in Berufsvorbereitungsjahren und Ähnlichem in einer Warteschleife befinden und jedes Jahr wieder auf den Ausbildungsmarkt streben.
Was tut Ihre Agentur, um die Lage zu verbessern?
Wir schreiben großflächig Betriebe an, wir gehen in die Betriebe und werben dort, wir vergeben einmalige Zuschüsse für die Einrichtung von Ausbildungsplätzen, wir versuchen vor Ort Ausbildungsbörsen zu organisieren...
...aber das sind doch Dinge, die seit Jahren praktiziert werden und keine großen Veränderungen bringen.
Jetzt warten Sie mal, das ist noch nicht alles. Ich habe noch neue Ideen: Wir verhandeln gerade mit der IHK, dass sie eine dreijährige außerbetriebliche Ausbildung anerkennt. Dort könnten wir 400 Jugendliche unterbringen. Ferner reden wir mit den Gewerkschaften über ein 20-prozentig geringeres Ausbildungsgehalt. Damit könnten 400 Jugendliche zusätzlich ausgebildet werden.
Schön, dass Sie sich bemühen. Aber was tut die Industrie?
Die Handwerksbetriebe haben Angst, auszubilden. Sie gehen noch davon aus, dass sie jeden Lehrling automatisch übernehmen müssen. Wenn sie das nicht können, bilden sie lieber niemanden aus. Davon müssen wir sie wegbringen. Und man muss den Unternehmen klar machen, dass eine Ausbildung nicht so teuer und eine gesellschaftspolitisch wichtige Sache ist.
Ist die Zeit des guten Zuredens nicht vorbei? Müssen wir nicht wieder über eine Abgabe für ausbildungsunwillige Unternehmen sprechen?
Es gibt viele gute Gründe dafür aber auch zahlreiche Gründe dagegen. Ich finde, dass wir mit dem Ausbildungskonsens, in dem Gewerkschaften, Betriebe, Handwerkskammern und wir uns gemeinsam Lösungen überlegen, den besseren Weg gehen. Wenn wir eine Ausbildungsumlage fordern, zahlen die Firmen den Obolus und verabschieden sich aus der dualen Ausbildung.
Aber Sie schlagen doch selbst eine überbetriebliche Ausbildung vor?
Das stimmt, aber ich sehe das als kurzfristige Operation, um den Stau in der Warteschleife aufzulösen. Das sind im Moment 1.500 von den 2.000 Ausbildungssuchenden. Wenn wir das ein oder zwei Mal machen, sind es nur noch neue Schulabgänger, die auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz sind. Wir haben lange genug damit Zeit verschwendet, uns zu überlegen, wer Schuld an der Ausbildungsmisere ist. Das bringt uns nicht weiter. Bevor die jungen Leute alle auswandern, versuche ich alles mögliche auszuprobieren.
INTERVIEW: NATALIE WIESMANN