: Grabstein mit strahlender Sonne
BESTATTUNGSRITUALE Auf dem Friedhof in Hannover-Lahe liegt seit Anfang der 1990er-Jahre das größte europäische Gräberfeld der Yeziden, der Kurden aus der Türkei, Syrien und dem Irak. 300 Verstorbene liegen hier, und ihre uralte Religion hat viele Bestattungsrituale mit den Muslimen gemeinsam
Yeziden (auch Eziden oder Jesiden) gehören einer der ältesten monotheistischen Religionen an, die im altbabylonischen Planetenkult und der Sonnenverehrung wurzeln, Einflüsse kommenunter anderem aus Judentum und orientalischem Christentum.
■ Zum Yezidentum konvertieren kann man nicht. Man wird in den Glauben hineingeboren. Auch sollen Yeziden nur untereinander und innerhalb ihrer Kaste heiraten.
■ Die Glaubensgrundsätze werden weit gehend mündlich weitergegeben. Da es keine alten Schriften gibt, erkennen die Muslime die Yeziden nicht als Buchreligion an und haben sie lange verfolgt.
■ Der höchste Feiertag ist Ida Ezi im Dezember. Vorher fasten Yeziden dreimal drei Tage mit einem Tag Pause. Regelmäßige Gottesdienste gibt es nicht.
■ In Deutschland leben über 45.000 Yeziden, vor allem bei Celle und Oldenburg, im Rheinland und in Ostwestfalen. JOG
VON JOACHIM GÖRES
Eine Sonne findet sich fast auf jedem Grabstein. Häufig auch ein großer Pfau oder Pfauenfedern. Auf vielen Gräbern stehen Engel und Lebenslichter, auf manchen frische Blumen. Auch Rosen- und Taubenmotive sind beliebt. Oft blickt der Verstorbene vom Foto zum Betrachter. Neben dem Namen mit Geburts- und Sterbedatum steht auf allen Steinen die Bezeichnung „Yezidi“ oder „Ezidi“, selten ganze Sätze in kurdischer Sprache. Frauen haben einen Grabstein am Kopfende, Männer zwei am Kopf- und am Fußende.
Fast alle Steine auf dem Yeziden-Friedhof in Hannover-Lahe sind einheitlich gestaltet, haben die gleiche Größe und Form und bestehen aus hellem Marmor. Umso mehr fallen einige jüngere Grabsteine auf. Da findet sich auf deutlich größeren und dunkleren Steinen zum Beispiel ein Fußball für einen jungen Spieler des SV Altencelle oder die Inschrift für eine junge Frau: „Die Schöne Dilan Yarcu“. Und auf fast allen Gräbern liegt eine große Steinplatte – damit der Geist des Verstorbenen nicht aus dem Grab steigt.
So sieht es aus, das Gräberfeld für Yeziden auf dem Friedhof Hannover-Lahe, das seit Anfang der 90er-Jahre besteht. Mit rund 300 Gräbern das größte seiner Art in ganz Europa. Hier und in Oldenburg-Kreyenbrück werden in Niedersachsen auf kommunalen Friedhöfen mit speziellen Grabfeldern Yeziden beerdigt – Angehörige einer sehr alten Religion, die Kurden ausüben, die aus der Türkei, dem Irak oder Syrien stammen. Die Reihengräber sind nach Südosten zur aufgehenden Sonne ausgerichtet – ein wichtiges Symbol im Yezidentum.
„Früher musste ein Loch im Grab offen gelassen werden, damit die Seele entweichen kann. Diese und andere Traditionen sind in Deutschland verloren gegangen, doch das ist kein großes Problem, denn in der Heimat gab es keine einheitlichen Gebräuche. Wir haben uns angepasst und sind dankbar, dass unsere Angehörigen auf einem eigenen Grabfeld ihre letzte Ruhe finden“, sagt Halil Savucu, Vorsitzender der Plattform Yezidischer Celler.
Die größte Schwierigkeit bestehe in der Organisation der Trauerfeier, die eine Woche dauere: „Jeder, der den Toten kannte, muss von ihm Abschied nehmen. Da kommen mehrere hundert, manchmal auch tausend Menschen zusammen. Dafür braucht man kurzfristig große Räume, und das ist sehr schwierig.“
Ärger mit den Nachbarn ist also vorprogrammiert, wenn die Feiern notgedrungen im Hause des Toten stattfinden und große Massen klagender, weinender und singender Menschen die Nachbarschaft stören. „Die Trauer ist bei uns extrem. Da werden alle Emotionen rausgelassen“, sagt Savucu.
„Fast alle Yeziden wollen nach ihrem Tod in der alten Heimat bestattet werden. Dort werden die Gräber nicht wie in Deutschland nach 20 Jahren eingeebnet“, erzählt wiederum der 77-jährige Ibrahim Özden, der seit mehr als 40 Jahren in Celle lebt. Seine Schwiegertochter Avase ergänzt: „Anders ist es bei Kindern und Jugendlichen. Da wollen die Eltern einen Platz zur Trauer in der Nähe und lassen sie deshalb oft in Deutschland beerdigen.“ Sie kommt gerade von einer Trauerfeier für eine 35-jährige Frau, die bei einem Autounfall ums Leben kam. „Je jünger der Mensch war, desto größer sind die Traurigkeit und das Klagen. Wir treffen uns mehrere Tage lang im Yezidischen Kulturzentrum in Celle, kochen für die Trauergesellschaft, essen, reden und weinen miteinander. Das ist immer so, wenn ein Yezide stirbt. Dann will niemand alleine bleiben.“
Thorsten Wettich schreibt derzeit an der Uni Göttingen seine Doktorarbeit über yezidische Religiosität in Deutschland. Er sieht einige Parallelen zwischen den Begräbnisriten von Yeziden und Muslimen – etwa Leichenwaschung und Leichentuch. Auch dürfen Gläubige nicht eingeäschert werden. Die Waschung nehmen religiöse Würdenträger vor, die am Grab ein Gebet sprechen. Bei den Yeziden stammen diese Menschen aus einer besonderen Kaste, den Pirs und Sheikhs. Die Trauerfeier wird nach 40 Tagen und einem Jahr wiederholt.
Eine Besonderheit bei den Yeziden sind die sogenannten Jenseitsbrüder und -schwestern. Dabei wählt ein Mann einen Mann und eine Frau eine Frau aus, die quasi die Funktion eines Paten haben und im Todesfall den Jenseitsbruder/die Jenseitsschwester waschen. „Das ist eine Art Blutsbrüderschaft. Ich habe mit meinem Jenseitsbruder einen Ring ausgetauscht. Der Jenseitsbruder kann ein Freund oder ein Verwandter sein. Das ist aber alles freiwillig, man kann das auch ablehnen“, sagt Ibrahim Özden.
Eine Ausstellung über die Yeziden ist bis 31. 10. im Deutschen Hugenotten-Museum im nordhessischen Bad Karlshafen zu sehen