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Archiv-Artikel

„Ich kann diesen Humbug nicht mit ansehen“

BASIS Die Initiative „Unser Hamburg – unser Netz“ hat es geschafft, dass die HamburgerInnen zur Bundestagswahl auch über einen Rückkauf der Energienetze abstimmen. Wer sind diese Leute? Ein Besuch bei einem Filmabend in Bergedorf

Die Initiative, die dem Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz Sorgen macht, trifft sich an diesem Dienstag in Hamburg-Bergedorf, in einem Fachwerkhaus, das sich zwischen Neubauten quetscht. Hier im Kulturzentrum am Serrahn feiert man in Bergedorf gerne runde Geburtstage, in dem dunklen Saal mit den Balken an der Decke treten unbekannte Gitarrenspieler auf. Olaf Scholz hat hier Wahlkampf gemacht, als er noch nicht Bürgermeister war. Jetzt ist vorn eine Leinwand aufgestellt: Die Initiative „Unser Hamburg – unser Netz“ zeigt einen Film.

Ein Mann rückt Stühle, das Licht wird schwächer. Der Film ist schon älter, er heißt „Der große Ausverkauf“ und beschreibt, was passiert, wenn zu viel privatisiert wird: Eine Frau auf den Philippinen kann die Dialyse ihres Sohnes nicht mehr bezahlen, in London verunglücken Züge, weil nichts repariert wird, und in Bolivien ist gar das Wasser privat, Regen auffangen ist verboten.

In Hamburg sind die Stadtwerke vor elf Jahren an den schwedischen Energiekonzern Vattenfall verkauft worden und die Energienetze gleich mit. Seit zwei Jahren kämpft die Initiative „Unser Hamburg – unser Netz“ dafür, wenigstens die Netze zurückzukaufen, zu 100 Prozent. „Ich bin das meinen Kindern und Enkeln schuldig“, sagt Dieter, weiße, zum Pferdeschwanz gebundene Haare, Armbänder am Handgelenk. „Sie sollen mich später nicht fragen: Warum hast du nichts dagegen getan?“

Dieter ist wie die anderen hier von „Bergedorf aktiv“, erst haben sie gegen AKWs gekämpft, jetzt machen sie mit bei „Unser Hamburg – unser Netz“ – zusammen mit Attac, dem BUND und den Kirchen. Auf Stehtischen liegen jede Menge Broschüren, in denen Hamburger Bürger abgebildet sind, die Sprechblasen mit Wortspielen über den Köpfen haben. Dort erklären sie, warum sie am 22. September mit Ja stimmen werden – Ja für den Rückkauf der Energienetze.

„Ich habe mich mit dem Thema Privatisierung schon viel beschäftigt, aber dass es mich jetzt so direkt betrifft und ich schon bald etwas dagegen tun könnte, war mir bis vor kurzem neu“, sagt eine Besucherin und steckt sich reichlich Infomaterial ein. Am Tresen werden Brezeln und Getränke verkauft, es ist ja für einen guten Zweck.

Wohin es führt, wenn ein Monopolist die Stromversorgung übernimmt, wird im Film anhand des Beispiels Südafrika demonstriert, wo täglich Menschen die Leitungen gekappt werden, weil sie die steigenden Strompreise nicht bezahlen können. Die Leute von „Bergedorf aktiv“ sagen, dass der Film sie in der Notwendigkeit ihrer Arbeit bestärkt hat.

„Auch wenn wir gewinnen, ist unsere Arbeit noch nicht beendet“, sagt Inken Bruns, die Organisatorin des Abends. Sie hat Völkerkunde studiert, war in der Friedensbewegung aktiv und hat in Bergedorf eine Ortsgruppe von Attac gegründet. Wie es weitergehen würde, wenn Hamburgs Energienetze in der Hand von Vattenfall bleiben, könne sie sich nicht vorstellen, sagt sie.

Diejenigen, die nach dem Film noch geblieben sind, sitzen inzwischen in einem Stuhlkreis beisammen. Die meisten sind in der Initiative, es gibt viel zu besprechen. Wie viele Leute hat man heute erreicht? Muss man morgen schon um halb sieben am Bahnhof Zettel verteilen oder reicht sieben Uhr? „Mich haben vor allem die Gegenkampagnen von Vattenfall motiviert“, sagt Helge. „Diese Verblendung, die Lügen, die Stimmung gegen uns gemacht haben – das konnte ich so nicht stehen lassen.“ Helge singt mit im Chor „Schall und Rauch“, morgen hat er einen Auftritt im selben Kulturzentrum, um eine weitere Infoveranstaltung „aufzulockern“, wie er sagt.

Wenn jedes Mitglied der Initiative fünf wahlberechtigte Hamburger überzeugen könne, dann wäre der Volksentscheid haushoch gewonnen – so steht es auf den Zetteln, die an den Wänden hängen. Die Leute, die zu überzeugen sind, können Freunde sein, Verwandte, Nachbarn oder Arbeitskollegen.

Oder man macht es wie Peter. Der ist schon lange in der SPD aktiv, aber nicht einverstanden mit der Einstellung von Olaf Scholz und vielen seiner Parteikollegen, die den totalen Rückkauf ablehnen. „Ich kann diesen Humbug nicht mehr mit ansehen“, sagt er. Deshalb schreibe er seinen „Genossen“, was sie „für einen Blödsinn verzapfen“. Er hofft, dass durch seine Mails, Anrufe und Gespräche der eine oder andere seine Meinung ändert.

Organisatorin Inken Bruns meint, die Hamburger SPD sei nicht mehr von sich überzeugt. „Als wir einmal unseren Stand in der Stadt neben ihrem hatten, haben sie uns Traubenzucker geschenkt“, erzählt sie. „Dabei wirkten sie so eingeschüchtert, als wollten sie sich entschuldigen.“

Die Gruppe im Stuhlkreis ist guter Hoffnung, dass die Initiative den Volksentscheid gewinnt. Am Anfang sei es noch harte Arbeit gewesen, die Menschen aufzuklären, sagen sie. Jetzt kommen immer mehr zu den Veranstaltungen, und auch die Unterstützer sind sind mehr geworden. Die Linke ist dabei, der Energieversorger und Vattenfall-Konkurrent Lichtblick, aber auch Hamburger Kulturinstitutionen wie das Knust und die Fabrik.

Ungefähr 500.000 Stimmen brauchen sie, um zu gewinnen, schätzt die Initiative. „Wir müssen uns wehren“, sagt eine der Frauen im Stuhlkreis von Bergedorf. Die anderen nicken zustimmend. Dann besprechen sie, wer morgen die Handzettel verteilt.

FRIEDERIKE FALKENBERG