: Die wilde Jugendzeit der Castor-Gegner
WIDERSTAND In ihrem Unterhaltungsroman „Guten Morgen, Revolution“ erzählt Kirsten Ellerbrake von der Rück- und Selbstvergewisserung urbaner Ökohedonisten im Moment der Midlife-Crisis
Zwei Dinge passieren mit der eigenen Jugend. Erstens: Sie rauscht vorüber und liegt irritierenderweise gleich morgen 25 Jahre zurück. Zweitens: Die Entscheidung, wie ernst man sich selbst und die Erinnerung an diese Zeit nimmt, trifft jeder für sich.
Die Berliner Autorin Kirsten Ellerbrake hat sich entschieden. Ihr Buch „Guten Morgen, Revolution – du bist zu früh“ erzählt ungemein flott die politische und private Geschichte einer Middleagerin, von der man nach kurzem Blick auf Ellerbrakes Biografie getrost annehmen darf, dass hier weitgehend ich-empirisch gearbeitet wurde. Die Studienjahre im Westdeutschland der achtziger Jahre, die Hausbesetzer- und Anti-AKW-Bewegung, sämtliche zwischenmenschlichen Spielereien und Spinnereien jener Generation, deren Vertreter heute in der Kunst, den Medien, in Arztpraxen oder in der Entwicklungshilfe arbeiten. Abitur-Revoluzzer eben. Ellerbrake schnappt sich diese Erfahrungen und pfeift auf die Innerlichkeits-Literatur der Zehnerjahre. Stattdessen hat sie einen Schmöker geschrieben. Eine ruppige biografische Aneignung.
Man muss das abkönnen. Man muss mögen, dass in Ellerbrakes Buch immer ein bisschen sehr laut gelacht und heftig gelitten wird. Da werden Kissen nassgeweint, vielsagende Blicke getauscht, und es wird sich schon mal mächtig gewundert. Wem das ausgestellte Fühlen zu viel wird, sollte wissen, dass Kirsten Ellerbrake vom Film kommt, wo bekanntlich jedes Gefühl stets mit Bildern transportiert wird.
Nora, die Heldin in „Guten Morgen, Revolution“, hat eine 20-jährige Tochter. Als ebendiese Charlie verhaftet wird, weil sie mit anderen Politaktivisten einen Castor-Transport blockiert hat, reist ihre Mutter nicht nur ins Wendland, um ihre Tochter aus dem Polizeiknast zu befreien, sondern auch in die eigene Vergangenheit. Vor einem Vierteljahrhundert hat sie selbst dort mit ihren WG-Freunden demonstriert. Sie hat Joints im Hüttendorf geraucht, Vokü-Essen gemampft und streng darauf geachtet, dass „die Typen“ sie nicht sexistisch anmachten.
Im Wendland organisiert sie ihrer verhafteten Tochter einen angesagten linken Anwalt und versucht, das Kind aus der Schusslinie zu ziehen. Aber die will das gar nicht. Denn Tochter Charlie gehört jener neuen global denkenden und digital vernetzten Generation an, die sich – wie einst ihre Eltern – nicht sagen lässt, wann Schluss zu sein hat mit dem Widerstand.
Es stehen also generationenübergreifende Fragen im Raum. Welcher Protest ist inzwischen angemessen? Wie weit seid ihr denn in den Achtzigern gegangen? Warum seid ihr heute eigentlich so spaßbefreit in eurem politischen Handeln? Und wie konnte es passieren, dass ihr coolen Politniks von einst dermaßen spießige Ökohedonisten geworden seid?
Mutter und Tochter reiben sich aneinander. Und damit es nicht langweilig wird, bringt Autorin Ellerbrake die Freunde von einst ins Spiel. Anwälte, Künstler, Ökostromaktivisten sind sie geworden, denen es gutgeht in diesem Land und denen über die Jahre und die privaten Lebensentwürfe das politische Engagement abhanden gekommen ist. Wogegen noch protestieren, wenn die Weltlage unübersichtlich geworden ist und die globalen Fragen nicht mehr mit einem einfachen Nein zu beantworten sind? Tja. Erst mal einander die eigene Geschichte erzählen. So wie in diesem Buch.
ANJA MAIER
■ Kirsten Ellerbrake: „Guten Morgen, Revolution – du bist zu früh“. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2013, 368 Seiten, 9,99 Euro