: Goliath verklagt David
E.on will Preiserhöhungen in Ostwestfalen vor Gericht durchsetzen. Die beklagten Kunden vermuten dahinter „sittenwidrig hohe Gewinne“. Bundeskartellamt: Preise nicht zu hoch
VON DIRK ECKERT
Unter welchen Umständen darf ein Gaslieferant seine Preise erhöhen – und wie dürfen Kunden reagieren, wenn ihnen die Rechnung zu hoch erscheint, die der Versorger präsentiert? Über diese Fragen wird ab heute vor dem Landgericht Dortmund verhandelt: Das Energieunternehmen E.on Westfalen Weser prozessiert gegen fünfzehn seiner Kunden.
Es ist ein Präzedenzfall: Erstmals verklagt ein Gaslieferant Kunden, weil diese eine geforderte Preiserhöhung nicht bezahlen wollen. Anlass des Streits ist ein rasanter Preisanstieg im Jahr 2004: Zum 1. Oktober hatte das Energieunternehmen seinen Gaspreis um elf Prozent erhöht. Als Kunden rebellierten und ihr Geld zurückbehielten, entschloss sich das Unternehmen in 2005 zu einer Sammelklage gegen 23 Kunden. Die Beklagten wurden mehr oder weniger zufällig ausgewählt.
Einige Klagen hat E.on Westfalen Weser wieder zurückgezogen. Die Kunden haben mittlerweile bezahlt. Andere haben auf die Anklage nicht reagiert. Gegen sie ergingen Versäumnisurteile, was einer Verurteilung gleichkommt. Somit sind noch fünfzehn Beklagte übrig, die sich dem Diktat des Energiekonzerns nicht beugen wollen.
Die Gasrebellen berufen sich auf das Bürgerliche Gesetzbuch und seinen Paragraf 15: Demnach müssen Preise „nach billigem Ermessen“ festgesetzt werden. E.on dagegen verlange „unzulässig hohe“ Gaspreise, kritisiert Reinhard Weeg, Anwalt der Beklagten: So gebe es eine „unerklärliche Differenz zwischen den Einfuhrpreisen und den Endpreisen. E.on müsse nachweisen, dass die Preiserhöhung gerechtfertigt sei. „Dieser Nachweis ist bisher nicht gebracht worden.“ Was der Gasversorger als Kostenkalkulation veröffentlicht habe, reiche nicht aus. „Das ist keine Offenlegung“, sagt Weeg. Seiner Vermutung nach sind es „sittenwidrig hohe Gewinne“, die den Preis in Höhe treiben.
E.on Westfalen Weser bestreitet das energisch. „Wir haben immer nur den Mehraufwand für die Beschaffung weitergegeben“, rechtfertigt Unternehmenssprecher Meinolf Päsch die Preiserhöhungen. Offenbar ist sich E.on Westfalen bewusst, wie groß der Imageschaden sein kann, und versucht vom Abzockerimage wegzukommen. Treuherzig versichert das Unternehmen auf seiner Homepage, dass die Kosten steigen und der Gewinnanteil sinkt. Auch eine Kostenkalkulation steht im Netz. „Mit unserer Offenlegung möchten wir sie überzeugen, dass wir faire Preise bieten und dass Sie uns vertrauen können“, heißt es da.
E.on-Westfalen-Sprecher Päsch verweist auch auf das Bundeskartellamt, dass seinerzeit auch auf die Preiserhöhung aufmerksam wurde. Ein Missbrauchsverfahren wurde jedoch nicht eingeleitet, weil E.on Westfalen Weser nicht zu den teuersten Anbietern zähle. Das Unternehmen sieht sich dadurch bestätigt: „Wir gehören zu den günstigeren Anbietern“, sagt Sprecher Päsch. Derzeit kostete die Kilowattstunde bei einem Verbrauch zwischen 9.000 und 39.000 Kilowattstunden 5,6 Cent.
Erst Ende Januar hatte das Kartellamt Verfahren wegen überhöhter Preise gegen sieben Gasversorger eingeleitet. E.on Westfalen Weser war wieder nicht darunter. Die Verfahren wurden allerdings sofort wieder eingestellt. Die Unternehmen hätten schriftlich zugesagt, zum 1. April den Kunden die freie Wahl ihres Gaslieferanten zu gestatten, teilte die Behörde mit. Dazu gehörte auch der E.on-Konzern mit all seinen Einzelunternehmen.
Somit können Kunden in Ostwestfalen-Lippe und Südniedersachsen nun von E.on zu anderen Versorgern wechseln – zumindest in der Theorie. „Wir haben den Wettbewerb zum 1. April ermöglicht“, sagt Päsch. Verschiedene Gashändler hätten sich auch schon gemeldet, um über die E.on-Leitungen Gas zu verkaufen. „Bisher ist es noch nicht zu einem Vertragsabschluss gekommen“, so Päsch. An E.on liege es nicht: „Wir lassen auf jeden Fall den Wettbewerb zu“, bekräftigte er.
Die ostwestfälische Initiative „Gaspreise runter“ bewertet die groß angekündigte Marktöffnung hingegen als „Aprilscherz“. „Hier dürfte es sich um eine ganz besondere Art des Wettbewerbs handeln“, sagte Sprecherin Roswitha Köllner, „nämlich um einen Wettbewerb von sieben Gasversorgern, ihre Kunden für dumm zu verkaufen.“ Wenn Kunden den Anbieter gar nicht wechseln können, bleibe ihnen nur die Möglichkeit, sich auf ihre Rechte nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch zu berufen.
Auch vom Bundeskartellamt lassen sich die Gasrebellen nicht abhalten. „Die Aufgabe des Kartellamts ist die Sicherung des Wettbewerbs, nicht die Aufsicht über Preise“, sagt Rechtsanwalt Weeg. Er verweist auch auf Energiewirtschaftsrecht, das eine preisgünstige Versorgung vorschreibe. „Diese Preisgünstigkeit bezweifeln wir, deshalb muss das nachgewiesen werden.“
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