: Einmal Afrika und zurück
Möglichst viele Schwarze und höchstens zwei Weiße: Das Kollektiv „Rekolonisation“ verfängt sich im Prater zwischen Projektionen und Diskurswillen
VON CHRISTIANE KÜHL
In der Mehrzahl der Gesichter war Enttäuschung zu lesen. Die blätternde Farbe, die Sperrholzmöbel, der Dreck und das Bühnenbild aus Spanplatten – ein Theater in der deutschen Hauptstadt hatten sich die Afrikaner definitiv anders vorgestellt. Auf Einladung des Performancekollektivs Rekolonisation waren sie zum Theaterspielen nach Berlin gekommen, und nun das: der Prater. Was die Ästhetik angeht, hätten sie da auch gleich zu Hause bleiben können. „Es war jedenfalls schwer zu vermitteln“, sagt Monika Gintersdorfer von ebenjenem Kollektiv in der Patchwork-Küche ihres provisorischen Büros im Prater, „dass sie hier ganz oben angekommen sein sollten.“
Wie haben sich die Afrikaner ein Theater in Berlin vorgestellt? Reich. Strahlend. Bestausgestattet. So jedenfalls stellen wir uns vor, dass sie sich Europa vorstellen. Umgekehrt ist unser Bild von Afrika schließlich genauso eindimensional: Armut, Aids und Flüchtlinge bestimmen den Kontinent bzw. unsere Berichterstattung darüber. „Only bad news from Radio Africa“ gibt es zwar schon lange, aber vor 20 Jahren ließen sich zumindest noch traurige Hits darüber schreiben. Heute will die keiner hören. Außer Bono vielleicht. „Afrika ist uncool“, fasst Knut Klaßen zusammen.
Gemeinsam mit den RegisseurInnen Monika Gintersdorfer und Jochen Dehn war der bildende Künstler im September für einige Wochen in der Elfenbeinküste. Die drei Hamburger, die den Kern des Performance- und Interventionskollektivs mit dem programmatischen Namen Rekolonisation bilden, wollten dort ihre „Vorstellungen über ein schwach abgefedertes Leben in informellen Strukturen testen“. Das klingt schwer nach Konzept, ist aber unvermeidlich – jeder Europäer, egal ob Geschäftsmann, Künstler oder Tourist, muss in Afrika Fiktion und Realität abgleichen.
Entsprechend klingen die emphatischen Berichte dieser Recherche im Auftrag der Volksbühne erst einmal wie andere exotische Reiseberichte auch: Wie man zur Attraktion wird als Weiße allein unter Schwarzen; wie man ein Essen vorab zahlen muss, damit die Ingredenzien gekauft werden können; wie man als Kamerabesitzer gebeten wird, eine Familienfeier zu filmen, weil niemand sonst eine Kamera besitzt.
Beim Eintauchen in fremde Verhältnisse wollten es die Rekolonisatoren jedoch nicht belassen. „Inbetriebnahme“ lautete ihre Devise für den Besuch im bürgerkriegsgeschüttelten Land. Etwa eine stillgelegte Fähre wieder in Fahrt bringen oder, bescheidener, ein Schwimmbad säubern. „Ich hatte mir eine richtige Liste vor dem Abflug gemacht. Ich wollte aufräumen“, sagt Dehn grinsend. Dann aber kam vieles anders. Was eine Gruppe, deren Grundanliegen die „Verringerung der Distanz zwischen stabiler und instabiler Welt“ ist, vermutlich auch nicht anders erwartet hat.
Wie aber lassen sich solche Erfahrungen gewinnbringend für die Bühne übersetzen? Ihre Praterarbeit „Ob du willst oder nicht, du musst“ strukturiert die in Afrika aufgeworfenen Fragen in fünf Themenkomplexe, die als „Systeme“ begriffen werden: „Kraft/Starkes Herz“, „Magie/Ich bin das Volk“, „Schönheit/Wir sind blutjung“, „Haut/Schwarz werden“, „Geld/Du musst teilen“. Diesen Systemen entsprechen fünf Kapitel, von denen jeweils zwei für eine Vorstellung kombiniert werden.
Erarbeitet wurde das „Theaterstück mit möglichst vielen Schwarzen und höchstens zwei Weißen“, so der schöne Untertitel, in Berlin. Neben zwei Deutschen und zwei Ivorern spielen Afrikaner, die in Europa leben. Diese Kontexte spiegeln sich in der Produktion. Manche politische Inhalte etwa hätten sich die Akteure geweigert zu sprechen; so wurde der ursprüngliche Titel „Magie/Schwacher Staat“ abgelehnt, weil er als Beleidigung ihres Landes verstanden wurde. „Wir haben im Prozess die Steuerung abgegeben“, sagt Klaßen. „Wichtig ist, in welche Richtung man das losschickt.“ Und Gintersdorfer fügt hinzu, dass sie kein Interesse an „diskursabgefederter Arbeit“ hätten.
Die von den Machern dagegen gesetzte „Rohheit, Direktheit und Intensität“ des Spiels konnte bei der Premiere am vergangenen Donnerstag leider wenig überzeugen. „Kraft/Starkes Herz“ zeigte 75 Minuten lang sechs Männer beim Herstellen von Bausteinen und einem Sofa. Dabei sprachen sie von Dingen, von denen Männer vermutlich sprechen, wenn sie malochen: von Pausen, Wochenenden und schnellen Autos.
Über Deutschland konnte man lernen, dass hier Hausmeister und Gesetze wichtig sind – was etwa den gleichen Erkenntnis- und Klischeegehalt hat, wie Afrikanern Direktheit und Rohheit im Spiel zu attestieren. Zu denken gab allein, dass tatsächlich zwei Zuschauer ihre Laptops herausholten und nicht klar war, ob das zur Demonstration eines postindustriellen Arbeitsbegriffs oder purer Langeweile diente.
Die Episode „Schönheit/Wir sind blutjung“ erzählte im Anschluss von den Schwierigkeiten einer afrikanisch-deutschen Fernbeziehung, wobei der Monolog des Afrikaners geradezu „Sonnenlicht“-Qualitäten hatte: „Deine geile, wunderbare Körper. Das finde ich ganz toll.“ Sie dagegen spricht von Asymmetrien und instabilen Bewegungen. Das besetzt dann doch sehr stereotyp den Topos „die Schlaue und das Biest“ – und schickt Afrika wieder in der Vormoderne. Interessant wurde es erst, als ein muskulöser Tänzer parallel zur physischen Verausgabung einen Monolog hielt, der immer wieder in den Satz „Ich bin die Schönheit!“ gipfelte. Das war Sex und Kampfansage und die Art, wie er mit beängstigender Aggression und plötzlich freundlichstem Verlachen unserer weißen Ängste mit Archetypen spielte, einer der wenigen irritierenden Momente des Abends. Mit Glück sind sie in den anderen Teilen/Systemen häufiger.
„Ob du willst oder nicht, du musst“, 6., 7., 14. und 15. April, 20 Uhr, Prater, Kastanienallee 7–9