: Ein Tarifvertrag für Frank Bsirske
Der Chef von Ver.di ist mit dem achtwöchigen Arbeitskampf ein gewaltiges Risiko eingegangen. Ist der Kompromiss auch eine Empfehlung für seine Wiederwahl im nächsten Jahr?
Frank Bsirske konnte die Ignoranz seines Gegenspielers immer noch nicht fassen. Er war eingeladen, bei den Gewerkschaftskollegen der IG Metall in Niedersachsen. Tage nach dem ominösen Spitzengespräch mit den Verhandlungsführern der Länder vor drei Wochen in Berlin, das platzte, was den Arbeitskampf verschärfte. Da erzählte er vom Auftreten des niedersächsischen Finanzministers Hartmut Möllring (CDU). Wie sich die Arbeitgeber erst einmal untereinander einigen mussten. Und erst um 17 Uhr den Ort der Verhandlungen betraten. Sie waren mit Ver.di eigentlich um 14 Uhr verabredet. Wie Möllring, der Kontrahent Bsirskes, dann den Sitzungssaal betrat. Sich hinsetzte. „Ohne Papierblock! Ohne Kugelschreiber!“, empörte sich Bsirske. Erstaunt, weil er mit so wenig Verhandlungsbereitschaft nach wochenlangen Streiks seiner Gewerkschaft nun wirklich nicht gerechnet hatte.
Erstaunt? Oder gar naiv? Herbert Mai hatte das Frank Bsirske vorgeworfen. Nach sechs Wochen Ver.di-Streik. „Normalerweise versucht man, vorher zu verhandeln und eine Lösung zu finden. Ein Arbeitskampf sollte immer das letzte Mittel sein“, sagte in einem Stern-Interview Mai, von 1994 bis 2000 Vorsitzender der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV), eines Vorläufers von Ver.di. „Das Ergebnis kann am Ende nur ein Kompromiss sein. Den muss Bsirske bei den Mitgliedern vertreten. Das wird nicht einfach“, sagte Mai, ein Vorläufer von Bsirske. Jetzt muss man wissen, dass Mai eben nicht Chef von Ver.di wurde. Sondern Bsirske. Und diese Personalentscheidung vielleicht das Nachtreten von heute motivierte.
Und doch stellt sich die: War dieser Arbeitskampf nötig? Wegen 18 Minuten mehr Arbeitszeit am Tag? Was hat der Gewerkschaft ein zweimonatiger Streik gebracht, der Millionen gekostet? Und was hat das gebracht?
Von wegen 18 Minuten! Sagte Bsirske stets. Es ging ihm um Grundsätzliches. „Die Leute haben die Nase voll davon, dass ihnen ständig einzureden versucht wird, sie würden zu wenig arbeiten und zu viel verdienen, während die Gewinne explodieren.“ Ein typischer Satz eines kämpferischen Gewerkschaftsfunktionärs.
Es ist der wichtigste Kampf in seiner Laufbahn. Ein Kampf mit Risiko: für seine Karriere, für die ganze Gewerkschaft. Die Frage lautet: Wenn Ver.di im öffentlichen Dienst, dem stärksten Bereich, nichts mehr bewegen könnte, was hätte sie dann noch für eine Macht? Was hätte der Chef der zweitstärksten deutschen Gewerkschaft (die IG Metall hat Ver.di wieder überholt) noch für Macht? Es geht bei dieser Tarifauseinandersetzung eben nicht nur um Arbeitszeit. Es geht auch um Prestige und Einfluss, um Ver.di als wichtigen Ordnungsfaktor.
Als „die härteste Auseinandersetzung seit geschätzt 80, 90 Jahren“ hat er den Arbeitskampf bezeichnet. Und die bisher solide Arbeit Bsirskes tritt dabei in den Hintergrund. „Raus aus den Gewerkschaftsghettos! Rein ins Leben!“, hat er beim Ver.di-Gründungskongress gerufen. Er hat die Integration der Einzelgewerkschaften bewerkstelligt. Er hat den schmerzlichen Stellenabbau ausgerechnet im eigenen Haus schadlos über die Bühne gebracht. Er hat, sein bisheriges Meisterstück, den 40 Jahre alten Bundesangestellten-Tarifvertrag entrümpelt und ein neues Tarifsystem entworfen. Er hat – der einzige Misserfolg in seiner Bilanz – aber auch den Mitgliederschwund bei Ver.di nicht stoppen können: Seit der Gründung hat Ver.di 400.000 Mitglieder verloren – und liegt jetzt bei knapp 2,36 Millionen.
Und dann dieser Streik. Aus der Defensive – vor allem gegen die Länder, die bei der so genannten Jahrhundertreform des öffentlichen Dienstes ausscherten und das neue Tarifrecht nicht übernahmen.
Kann er sich mit diesem Tarifkompromiss dafür empfehlen, 2007 als Gewerkschaftschef wiedergewählt zu werden? Er kann zumindest sagen, er habe gesagt, „nicht mehr als 39 Stunden“ zulassen zu wollen. Eine schwache Argumentation. Aber in einem Jahr sicherlich vergessen. Und Bsirske, so scheint es, ist alternativlos. Es gibt niemanden bei Ver.di, der mit ihm ernsthaft konkurrieren könnte. THILO KNOTT