Lob von oben herab

Eine gemeinsame Offiziersvergangenheit verbindet: der Briefwechsel zwischen Gottfried Benn und seinem unverdrossenen, aber wenig gelittenen Bewunderer Ernst Jünger in den Jahren 1949–1956

von JÜRGEN BUSCHE

Von den vier unübersehbaren Geistes-Heroen Gottfried Benn, Ernst Jünger, Martin Heidegger und Carl Schmitt sind alle Lebensäußerungen interessant, weil verzweifelt nach erklärenden Hinweisen gesucht wird, warum sie zeitweilig auf den Nationalsozialismus oder die mit ihm verbundenen Gedanken hereinfallen konnten. Besonders der Meinungsaustausch, den sie untereinander pflegten, scheint, aus der Ferne betrachtet, vielversprechend zu sein. Briefe, die Jünger und Schmitt über Jahrzehnte hin einander schrieben, sind schon publiziert. Jetzt ist, gut kommentiert, der Briefwechsel zwischen Benn und Jünger herausgekommen. Was Jünger und Heidegger sich mitzuteilen hatten, soll demnächst erscheinen. Zwischen Heidegger und Schmitt gab es nur 1933 einen äußerst knappen schriftlichen Austausch.

Auch die Post, die zwischen den Schriftstellern hin und her ging, war nicht eben umfangreich. Sie beschränkt sich auf die Jahre 1949 bis 1956, das Todesjahr Benns. Einen Brief hat es freilich gegeben, der nicht mehr erhalten ist. Wohl 1920 hatte der hochdekoriert aus dem Ersten Weltkrieg heimgekehrte Leutnant Jünger einen Fan-Brief an den damals schon recht berühmten Lyriker geschickt, der den Krieg nicht in einem der schlammigen Schützengräben Flanderns verbracht hatte, sondern recht komfortabel als Militärarzt in Brüssel. Benn hat diesen Brief wahrscheinlich achtlos fortgeworfen. Dafür hat sich Jünger subtil gerächt. Nach dem Zweiten Weltkrieg schrieb er an Gerhard Nebel – der Benn, den Autor der „Statischen Gedichte“, nicht mochte –, wenn Benn 1933 mit ihm gesprochen hätte, wäre für ihn wohl manches anders gekommen. Das hatte er also von seiner Arroganz.

Benn schätzte Jünger auch dann nicht sehr, als dieser ein anerkannter Autor geworden war. Die „Stahlgewitter“, aber auch die „Strahlungen“ beurteilte er, wie diese Briefausgabe dokumentiert, äußerst abfällig. Auch beklagte er sich schon mal darüber, dass er stets mit Jünger zusammen genannt werde – die kolportierte Nähe zu Heidegger hingegen lasse er sich gern gefallen. Wie im postum veröffentlichten „Glossarium“ des Staatsrechtlers Carl Schmitt die dort niedergelegte Häme über Jünger in krassem Gegensatz steht zum Ton der gleichzeitigen Briefe, so verraten auch die Schreiben Benns an Jünger wenig davon, wie der Arzt aus der Bozener Straße in Berlin über seinen unverdrossenen Bewunderer in Westdeutschland dachte. In seinem ersten Brief bedankt sich Benn für die Zusendung des Romans „Heliopolis“. Er tut dies schon wenige Tage später und mit der Bemerkung, er sei ein langsamer Leser, sodass er um die vollständige Lektüre des umfangreichen Prosawerks herumkommt. Tatsächlich hat er es wohl auch nicht gelesen, wie man – wenn auch nicht zwingend – daraus schließen kann, dass er zwei Jahre später Jünger ein Buch über den Meskalinrausch empfiehlt, das dieser, wie er nicht versäumt sogleich anzumerken, in „Heliopolis“ erwähnt hatte. Sicherlich, Gedichte, Romane zu studieren ist weniger zeitraubend als Gedichte zu lesen – oder kürzere Prosatexte, die man sich artig zusendet. Da lobt nun Benn ohne Hemmungen. Aber er tut es von oben herab. Zu Jüngers Beitrag in der Heidegger-Festschrift von 1950 schreibt er dem Autor: „Da ich einige Jahre älter bin als Sie, erlauben Sie mir zusammenfassend zu sagen, dass ich diese Arbeit von Ihnen als eine Ihrer besten ansehe und dass ich den Eindruck habe, ihre Reifung ist ganz außerordentlich sowohl in Bezug auf Haltung und Stil. Meinen Glückwunsch dazu.“

Auf Jüngers Versuch, mit ihm in eine Diskussion über den Essay „Probleme der Lyrik“ einzutreten, reagiert Benn mit der Ankündigung, darauf „wahrscheinlich gesondert“ einzugehen, was er dann nicht tut. Aber den „Sarazenenturm“ lobt er dann wieder als „überhaupt eine der gelungensten Arbeiten von Ihnen.“

Das, was Benn den durchweg respektvollen Ton gegenüber Jünger bewahren lässt, ist wohl die gemeinsame Offiziersvergangenheit. Hier verstand er keinen Spaß – glaubte er doch, in den Jahren, als er in der Wehrmacht gegen die Anfeindungen der Nationalsozialisten Zuflucht gesucht hatte, solcher Kameradschaft eine Menge zu verdanken. Briefe, die er an seine Bekannten aus Hannover, seinem ersten Standort in den Dreißigerjahren, schrieb, geben darüber Aufschluss. Auch die Angriffe, denen er wie Jünger nach 1945 von verschiedenen Seiten her ausgesetzt war, hielt in ihm die Verpflichtung zur Gemeinsamkeit, ja, vielleicht auch ein Gefühl davon lebendig. Benns Briefe an Jünger handeln oft davon. Umgekehrt schlägt Jünger, der nicht mit Postkarten von seinen Reisen spart, gern einen Kasinoton an, mit dem sicheren Gespür, dass der gegenüber dem Oberstabsarzt a. D. nicht falsch ist. Einmal kam es zu einem Treffen. Jünger besuchte Benn in dessen Wohnung und Praxis in Schöneberg. Man trank viel Wein. Der Abend blieb dem Gastgeber durchaus in Erinnerung. Auch Jünger kam noch einmal auf den Besuch zurück. „Hinsichtlich der Tänzerin“, schrieb er ihm aus seinem Wohnort Wilflingen, „habe ich Ihren Rat befolgt und bin neugierig, wie sich die Angelegenheit entwickeln wird.“

Für die Frage, was denn möglicherweise das Gemeinsame von Jünger und Benn gewesen sein mag, das, was den einen vor, den anderen nach 1933 in die Nähe der Nationalsozialisten brachte, geben diese Briefe nichts her. Hat es einen solchen gemeinsamen Nenner überhaupt gegeben? Was kann man denn biografisch über die großen Vier sagen, was ihnen auffällig gemeinsam war? Zwei waren katholisch, einer wurde es (Jünger); Benn, der Pfarrerssohn, blieb Protestant. Alle trugen sie im Ersten Weltkrieg Uniform. Alle waren sie Ehemänner und stark promiskuitiv. Alle waren sie weit entfernt von dem, was die Nazis sich unter ihren Lieblingsdeutschen vorstellten. Alle spielten sie eine besondere Rolle in der Geschichte der alten Bundesrepublik. Deren geistiges Profil ist ohne diese vier nicht denkbar.

„Gottfried Benn – Ernst Jünger, Briefwechsel 1949–1956“, herausgegeben, kommentiert und mit einem Nachwort versehen von Holger Hof, Klett-Cotta, Stuttgart 2006, 154 Seiten, 14,50 €