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Archiv-Artikel

Die Königin des Mestizo

Chiapas on my mind: Die Spanierin Amparo Sanchez gehört zu den Schlüsselfiguren der interkontinentalen Mestizo-Szene. In der Musik von Bands wie Amparanoia spiegelt sich ein Lebensgefühl, das in Lateinamerika schon Mainstream geworden ist

Der Tourbus, mit dem Manu Chao und andere Musiker vor neun Jahren nach Lyon fuhren, war die Keimzelle der Mestizo-Bewegung

VON DANIEL BAX

Auf ihrer Webseite regnet es grüne Hanfblätter, wenn man die Chat-Rubrik ihrer professionell gestalteten Internet-Adresse anklickt, und eine virtuelle Gallerie von Erinnerungsfotos zeigt sie Arm in Arm mit fast allen Größen der Mestizo-Szene. Auf der Bühne trägt Amparo Sanchez gerne sportliche Trainingsjacken und das Haar mit einem Tuch zum Turban hochgebunden, was modisch ihre Herkunft aus der spanischen Alternativszene unterstreicht. Und nicht nur mit ihrem Outfit, auch mit ihrer Musik passt sie perfekt in die Jugendzentren und WGs der globalisierungskritischen Bewegung, von Granada bis Genua.

Amparo Sanchez zählt zu den Schlüsselfiguren der so genannten Mestizo-Szene – jener Musikrichtung, die aus der Verschmelzung von Reggae, Ska-Punk und lateinamerikanischen Einflüssen hervorgegangen ist und die in Südeuropa und Lateinamerika schwer populär ist. Bis heute ist sie eine der wenigen Frauen, die sich in diesem Genre einen Namen gemacht haben. Manchen gilt sie deshalb gar als „Königin des Mestizo“.

„Man hat mir diesen Titel verliehen, weil ich zu denen gehöre, die von Anfang an dabei waren“, sagt Amparo Sanchez, während sie in einem Hotelzimmer in Berlin sitzt und Auskunft über sich und ihr neues Album gibt. „Als wir das erste Mal in Argentinien aufgetreten sind, tauchte dieser Titel auf einem Flugblatt auf“, erzählt sie. „Ich möchte aber klarstellen, dass ich die Monarchie im Grunde ablehne“, fügt sie spöttisch hinzu. Trotzdem wechselt sie mit einer gewissen Leichtigkeit zwischen dem „ich“ und dem majestätischen „wir“, wenn sie von sich und ihrer Band Amparanoia spricht.

Amparo Sanchez wird gerne dem Dunstkreis des Globetrotters Manu Chao zugerechnet. Das ist nicht falsch, bestätigt Amparo Sanchez: Schließlich war es Manu Chao, der sie einst darin bekräftigte, eine Band zu gründen und der ihr dabei half, 1997 ihr erstes Album aufzunehmen. „Manu Chao hat mir geholfen, meine Gedanken zusammenzufassen. Er ist so etwas wie ein Bruder für mich, mein Mentor oder mein Cousin, und wenn ich ihn brauche, ist er immer da“, gesteht Amparo Sanchez denn auch freimütig ein. Kennen gelernt hatten sich die beiden Musiker Mitte der Neunzigerjahre in den Clubs und Bars von Madrid, wohin Amparo Sanchez zuvor aus dem andalusischen Granada, ihrer Geburtsstadt, gezogen war. Die enge Freundschaft ist wohl auch der Grund, warum sie auf ihren frühen Alben noch ein wenig wie die kleine Schwester von Manu Chao klang.

Von dieser Rolle hat sie sich mittlerweile emanzipiert. Die Besetzung ihrer Band, die als loses Kollektiv begann, hat sich mehrfach geändert, und die Liste der Musiker, mit denen sie zusammengearbeitet hat, liest sich wie ein „Who’s who“ der Mestizo-Szene. Im Prinzip aber ist Amparanoia das Ein-Frau-Projekt von Amparo Sanchez geblieben.

Andere Musiker, vor allem in Barcelona, der Hauptstadt der Bewegung, reagieren inzwischen aber eher genervt, wenn man sie nach Manu Chao fragt. Der Frankospanier aus Paris gilt als geistiger Pate der Mestizo-Bewegung, weil er schon in den Achtzigerjahren mit seiner Band Mano Negra die Blaupause für jenen Bastard-Sound legte, der einer ganzen nachfolgenden Generation zum Vorbild gereichte.

Amparo Sanchez hat für nachträgliche Distanzierungsgesten allerdings wenig Verständnis: „Man muss ihm zugestehen, dass er uns im Grunde zusammengebracht hat“, sagt Sanchez und erinnert an jenen Sommer 1997, als Manu Chao diverse Freunde aus Galicien, Barcelona und Madrid zusammentrommelte, um gemeinsam in einem Bus zu einem Festival nach Lyon zu fahren. „Da waren Leute dabei, die später Ojos de Brujo, Dusminguet oder Macaco gründen sollten – all diese Gruppen gab es damals noch nicht. Manu Chao gab der Szene den Impuls, dass sich die Mitglieder zu Bands organisiert haben.“

So entstand die Keimzelle dessen, was heute unter dem Sammelbegriff „Mestizo“ firmiert. „Damals, als wir angefangen haben, gab es nur einzelne Künstler und Gruppen, die sich gegenseitig geholfen haben. Heutzutage gibt es ganze Festivals und Radiostationen, die diese Art von Musik spielen, und Zeitschriften, die darüber berichten“, sagt Amparo Sanchez, die noch immer über die Entwicklung der letzten Jahre erstaunt ist. „Die Szene hat sich etabliert, aber sie verändert und diversifiziert sich auch. Jeder innerhalb dieser Bewegung hat seine eigene Identität und versucht, seine Nische zu finden.“

Sie selbst hat sich, auf der Suche nach ihrer Nische, vor allem in Lateinamerika umgesehen. Schon vor ihrer ersten Kuba-Reise 1999 gaben karibische Einflüsse bei ihr den Ton an, wobei das Gewicht anfangs eher auf Reggae lag. Inzwischen haben eine ganze Menge anderer Latin-Spielarten wie Cumbia aus Kolumbien, kubanischer Son und mexikanischer Bolero Eingang in ihre Musik gefunden, die auf die andalusische Rumba aus ihrer Heimatstadt Granada, die Rumba del Sul, aufbaut. Aber nicht allein in den Melodien und Rhythmen, auch in den Themen ihrer Songs, in denen sich persönliche Betrachtungen und politische Leidenschaft mischen, hallt ein Echo des lateinamerikanisches Kontinents wieder: Denn Amparo Sanchez entspricht ganz dem Modell des politisch engagierten Künstlers, das in Westeuropa etwas aus der Mode gekommen ist, in Südeuropa und Lateinamerika aber gerade eine unübersehbare Renaissance erlebt.

Der lateinamerikanische Einfluss ist auch auf ihrem neuen, inzwischen fünften Album „La Vida te Da“ deutlich zu hören, zwei Reisen nach Kuba haben diese Tendenz verstärkt. „Die Instrumente und die Art der Aufnahme, wie sich das Analoge und das Akustische mischt – all das habe ich mir in Lateinamerika abgeschaut“, gesteht Amparo Sanchez. So klingt „La Vida Te Da“ denn auch teilweise wie eine europäische Hommage an Kuba. Bei aller Liebe hegt Amparo Sanchez aber gemischte Gefühle, wenn sie an den Karibikstaat denkt. „Es gibt viele Dinge, die ich an Kuba liebe“, sagt Amparo Sanchez. „Ich bewundere die Solidarität der Kubaner im Alltag und ihre Lebensart, die sich in ihrer Musik und ihrer Kultur ausdrückt: Trotz aller Armut das Leben zu bejahen.“ Dem Insel-Sozialismus kann sie weniger abgewinnen: „Die Revolution mag ein schönes Projekt gewesen sein. Aber heute hat dort das Militär das Sagen, nicht das Volk. Das ist schon desillusionierend.“

Stattdessen identifiziert sich die Spanierin lieber mit den Zapatisten in Mexiko. „Das ist eine pragmatische Bewegung, die umsetzt, was sie sich vorgenommen hat. Deswegen glaube ich, dass sie eine Zukunft hat.“ Seit sie im Jahr 2000 das erste Mal in Mexiko war und dort auch auf den Subcomandante Marcos traf, fühlt sie sich eng mit der Bewegung verbunden. Gleich im Anschluss an ihre Reise organisierte sie mit Mestizo-Kollegen eine Solidaritätstournee quer durch Spanien, deren Einnahmen sie den Zapatisten-Gemeinden in Mexiko zugute kommen ließ. Und erst im vergangenen Dezember war sie das letzte Mal in Chiapas, um eine Dokumentation über die Region und ihre Auftritte dort zu drehen.

„Mich beeindruckt der Respekt vor der Natur, der schon in der Erziehung der Kinder gelehrt wird, und ihre Selbstorganisation durch das Rotationsprinzip, an dem die Frauen ganz selbstverständlich beteiligt sind“, sagt Amparo Sanchez. „Für mich ist das ein Beweis mehr, dass sich die Menschen in kleinen Gesellschaftsordnungen organisieren und etwas voranbringen können.“ Neben Manu Chao zählt sie deshalb zu den prominentesten Propagandisten der Bewegung und macht aus ihrem Sympathisantentum keinen Hehl: Ihr Album „Somos Viento“ von 2003, auf dessen Cover eine vermummte Mexikanerin abgebildet war, war dem Widerstand in Chiapas gewidmet.

Der Ausgang des zapatistischen Experiments mag noch offen sein. Unübersehbar aber ist, dass in ganz Lateinamerika derzeit eine linke Aufbruchsstimmung herrscht, die sich auch in der Musik spiegelt: Längst ist auch der einstige Underground der Mestizo-Bands zu einem neuen Mainstream geworden, der ein linkes Lebensgefühl reflektiert, und die entfernten Verwandten aus Europa werden dort mit offenen Armen empfangen.

„In Mexiko und Argentinien kannte man mich schon durch meine Platten, bevor ich dorthin kam“, erzählt Amparo Sanchez. „Es war schon sehr beeindruckend für mich, dort von so vielen Menschen erwartet zu werden.“ Über das Geschehen auf dem Kontinent hält sie sich durch das Internet informiert, aber auch durch den direkten Draht zur Community in Barcelona, wo sie inzwischen lebt.

Als Protestsängerin will sich Amparo Sanchez dennoch nicht verstanden wissen. „Die Welt ist wirklich kompliziert, und das aufs Papier zu bringen ist noch schwieriger“, wiegelt sie solche Erwartungen ab. „Mein Weg, um mich auszudrücken, ist die Musik. In ihr spiegelt sich mein Werdegang und das, was ich auf meinen Reisen erlebe. Meine politische Meinung steht auf einem anderen Blatt.“

Amparo Sanchez und Amparanoia auf Tour: 7. 4. Köln, 8. 4. Frankfurt, 9. 4. Berlin, 10. 4. Bremen, 18. 4. Bochum, 19. 4. Karlsruhe