: Endlose Debatte über Neuwahlen in Polen
Polens Parlament lehnt Antrag auf Selbstauflösung ab. Nationalkonservative Regierung muss neue Partner suchen
WARSCHAU taz ■ Neuwahlen oder nicht? Die Polen sind die endlose Debatte leid. Ausgerechnet die nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die die letzten Parlamentswahlen in Polen klar gewonnen hat, droht ständig mit Neuwahlen. Gestern stellte sie sogar einen Antrag auf Selbstauflösung des Parlaments, der allerdings scheiterte.
„Die PiS soll endlich eine Koalition eingehen und anfangen zu regieren“, polterte der populistische Bauernführer Andrzej Lepper. Er wusste, dass er dem Ziel nahe ist: der Beteiligung an der Macht. Donald Tusk, Chef der konservativ-liberalen Bürgerplattform (PO), wiederum, der vor Monaten noch davon ausging, demnächst zusammen mit der PiS zu regieren, schüttelte nur noch den Kopf. Sinnlos sei dieser Antrag auf Selbstauflösung des Sejms. Nun will sich die PiS um die Bildung einer Koalition bemühen.
Seit einem halben Jahr regiert die PiS, die sich mit keiner anderen Partei auf eine Koalition einigen konnte, mit wechselnden Mehrheiten. Immer wieder musste sie Schlappen einstecken, weil die Opposition gegen die Regierungspartei stimmte. Auch ein „Stabilitätspakt“ mit der populistischen Bauernpartei Samoobrona und der nationalistischen Liga der polnischen Familien (LPR) brachte nicht den gewünschten Erfolg. Die beiden Parteien wollten für die Unterstützung der Regierung ihren Anteil an der Macht. Doch zum Teilen war die PiS nicht bereit. Also blieb – aus Sicht der PiS – nur eine Lösung: Neuwahlen so schnell wie möglich. Denn in den Umfragen beginnt die Popularitätskurve der PiS schon zu sinken. Der Mai als Wahltermin wäre für die PiS daher ideal gewesen. Zum einen wäre der Wahlkampf kurz genug, um wirkungsvoll ein paar Geschenke zu verteilen, die später das Budget nicht sehr belasten würden. Außerdem könnte die Partei den bevorstehenden Besuch Papst Benedikts XVI. für sich instrumentalisieren. Denn die PiS-Wähler zählen zu den eifrigsten Hörern des katholisch-nationalistischen Radio Maryja, das prompt zum Quasiregierungssender avancierte. Die PO als größte Oppositionspartei wiederum ließe sich mit dem gerade eingesetzten parlamentarischen Untersuchungsausschuss ausschalten. Dieser soll sämtliche Bankprivatisierungen seit 1989 überprüfen. An den Pranger gestellt werden sollen diejenigen, die die Übernahme polnischer Banken durch „ausländisches Kapital“ billigten.
„Wir können über Neuwahlen reden“, meinte Donald Tusk. „Aber erst im Herbst.“ Bis dahin, so das Kalkül der Liberalen, wird die anfängliche Sympathie der Polen für die rechte Partei weiter abgekühlt sein. Nun warnt sogar noch der Vatikan vor Radio Maryja und dessen antisemitischen Sendungen. Dies dürfte zahlreiche PiS-Wähler verunsichern. Denn der Papst genießt in Polen immer noch mehr moralische Autorität als Radio Maryja oder Regierungsmitglieder, die sich ihre Politik im Sender absegnen lassen. GABRIELE LESSER