: Wut auf Staat, Steuern und Obama
USA Ein Jahr seit Bestehen der „Tea Party“-Bewegung machen die konservativen AktivistInnen landesweit mobil. Sie verstehen sich als unabhängig, doch die Stoßrichtung geht mit den Republikanern gegen die Demokraten
AUS WASHINGTON DOROTHEA HAHN
„Dies ist Amerika“, sagt Chris Huska, „das können Europäer nicht verstehen.“ Er trägt sein Transparent über die wenige Häuserblocks vom Weißen Haus entfernte „Freedom Plaza“ in Washington. Auf dem dicht beschriebenen Transparent hat der 27-Jährige seine Wut auf die Spitze der USA aufgelistet. Er vergleicht Präsident Obama mit Bush, nennt Ex-Bundesbankchef Greenspan einen „Verräter“ und „Lügner“, das Oberste Gericht einen „Witz“ und den Kongress „korrupt“ und „marxistisch“. Sein Aufsatz gipfelt in dem Satz: „Die zweite amerikanische Revolution ist JETZT“. Immer wieder halten Leute anerkennend den rechten Daumen hoch. Sagen: „Gut beobachtet“. Eine schwarze Zeitungsverkäuferin reagiert abwehrend. Sie fordert den Demonstranten auf, Abstand von ihrem Stand zu wahren.
Es ist der 15. April – „Tax-Day“. In den USA ist es der Tag, an dem die Steuererklärung abgegeben werden muss. Die „Tea-Partier“ haben mit ein paar tausend DemonstrantInnen das Zentrum der US-Hauptstadt in Beschlag genommen und im ganzen Land mehrere hundert Kundgebungen organisiert.
Ihre Feindbilder sind „hohe Steuern“, ein „starker Staat“, die Gesundheitsreform und vor allem die Person Obama. Schon am Vormittag machen die auch aus weit entfernten Bundesstaaten angereisten DemonstrantInnen eine erste Kundgebung auf der „Freedom Plaza“, später ziehen sie vor das Kapitol. Auf der Bühne stimmen RednerInnen auf die Kongresswahlen im November ein. Sie haben eine Liste von demokratischen KandidatInnen aufgestellt, die sie stürzen wollen. Das Publikum träumt von einem anderen Amerika, von „heilen“ Mann-Frau-Beziehungen und Familien und von der schützenden Hand Gottes. Auf selbst gemachten Transparenten stehen Dinge wie: „Dies ist nicht Moskau“. Oder: „Euthanasie und Abtreibung – das ist Obamas Gesundheitsreform“. Der 23-jährige Stephen Young aus Arlington hält ein Schild hoch, auf dem er die „Deportation“ des Präsidenten fordert. Begründung: Obama sei kein rechtmäßiger Staatsangehöriger.
Andere DemonstrantInnen rechtfertigen den aggressiven Ton. „Dies ist nicht Europa“, sagt Deborah Pipitone, „hier darf jeder sagen, was er denkt.“ Die Kleinunternehmerin ist mit einem Bus voller AktivistInnen aus New Jersey nach Washington gekommen. Auf ihrem gelben T-Shirt ist der erste Artikel der Verfassung zitiert. Über die Meinungsfreiheit.
Die „Tea Party“, deren Name an den antibritischen Aufstand des Jahres 1773 in Boston erinnert, ist im ersten Jahr ihrer Existenz breiter und unübersichtlicher geworden. Manche – sowohl im Inneren als auch außerhalb der Bewegung – halten sie immer noch für „Grassroot“, für einen Ausdruck spontaner Wut. Andere verweisen auf die Brücken zur republikanischen Partei und sehen die „Tea Party“ als Vehikel, mit dem die Opposition die seit George W. Bush verlorene Macht in Washington zurückerobern will.
Es ist eine Bewegung, die sich nach der Vergangenheit sehnt. Die nicht mit jenen teilen will, die „zu faul“ seien, um zu arbeiten. Die zwar Einwanderung will: „aber nur die legale“. Und die leidenschaftlich hasst. Die New York Times hat in einer Meinungsumfrage herausgefunden, dass die Mehrheit der Tea-Partier weiß, männlich, verheiratet und über 45 Jahre alt sei. Und dass sie zu 63 Prozent den rechten Fernsehsender Fox anschauen. Doch in der Tea Party gibt es auch junge Libertäre. Sie sind unglücklich über die Gebete bei den Kundgebungen. Und sie wollen sich auch vor keinen Wahlkampfkarren spannen lassen.
Am Tax-Day versuchen die RednerInnen es mit Patriotismus. Sie lassen die „kämpfenden Truppen“ hochleben. Eine Republikanerin bezeichnet Obama als „unamerikanisch“. Und ein englischer Lord hält das Publikum mit einer Dosis Sexismus bei Laune. Eine vielfältige Bewegung.