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Archiv-Artikel

„Abschieben ist nicht lustig“

Kinder sind die großen Helden. Ich habe schon oft gedacht: So klasse Kinder hätte ich auch gerneBei der Psychiatrie sind die Grenzen zur Ideologie so verschwommen wie in keiner anderen Disziplin

INTERVIEW: LUTZ DEBUS UND NATALIE WIESMANN

taz: Sie bestimmen über die Flugreisetauglichkeit von Asylbewerbern, denen die Abschiebung droht. Wann raten Sie von einem Transport ab?

Klaus G: Bei Herzinfarktpatienten zum Beispiel. Eine Person mit durchgemachtem Herzinfarkt würde man nach vier Wochen sicher noch nicht abschieben, sondern mindestens sechs Monate warten. Aber es ist wichtig, dass sie regelmäßig zur Kontrolle geht.

Warum?

Ich hatte mal einen abgelehnten Asylbewerber, ein korpulenter Mann, der hatte vor mehreren Jahren Bypässe bekommen. Der jobbte 200 Stunden im Monat in einer Gyrosbude, also unter erheblichen körperlichen Belastungen. Ich habe ihn untersucht und dann sprach nichts mehr gegen einen Flug. Selbstverständlich in Arztbegleitung und, weil er so korpulent ist, in der Business-Class. Weil es dort breitere Sitze gibt.

Es gibt also Business-Class für abgelehnte Asylbewerber?

Ja, in diesem Falle schon.

Sie werden von der Ausländerbehörde engagiert?

Ja, gelegentlich. Wenn zum Beispiel eine Familie mit kleinen Kindern betroffen ist, wird eigentlich standardmäßig ein Arzt dazu gerufen. Kinder sind die großen Helden.

Weil sie tapfer sind?

Sie passen sich sofort an die Situation an. Ich habe schon oft gedacht, solche Kinder hätte ich gerne, weil die klasse drauf sind, besonders auch in manchen muslimischen Familien. Dazu kommt, dass die Behörden, die ich kenne, ein hohes Maß an Sozialkompetenz haben. Sie gehen ruhig und deeskalierend vor. Und die Kinder sehen das, die haben feine Antennen.

Die Kinder wissen aber vielleicht auch nicht, was auf sie zukommt?

So weit reicht die Phantasie natürlich nicht.

Aber die Eltern sind erschrocken?

Ja, sie verdrängen oft jahrelang die reale Situation, dass jederzeit die lang angekündigte Abschiebung kommen kann. Diese Krise, diese ersten 20 Minuten, das ist die Reset-Phase. Halten Sie es bitte nicht für zynisch, wenn ich es so ausdrücke. Aber da wird relativ schnell wieder erkannt, wo die Realität ist, die sie immer weiter weggeschoben haben.

Im Kreis Warendorf wollte vor kurzem ein Abschiebekandidat vom Dach springen. Was macht man da?

Wenn eine Situation nicht lösbar ist, muss die Abschiebung eben abgebrochen werden. Im Zweifel immer für die Person.

Wenn Menschen ausflippen, sich wehren, bekommen die dann von Ihnen Medikamente?

Nur wenn sie es wollen. Ich habe natürlich eine übliche Medikamentenausstattung dabei. Aber im Psychisch-Kranken-Gesetz ist strengstens geregelt, dass nur bei unmittelbarer erheblicher Eigen- oder Fremdgefährdung Medikamente verabreicht werden dürfen.

Der Flüchtlingsrat berichtet von Menschen, denen bei ihrer Abschiebung gegen ihren Willen Medikamente verabreicht wurden.

Dazu ist mir überhaupt kein Fall bekannt. Ich halte das für Propaganda. Ein Arzt, der das tun würde, wäre seine Approbation los, der wird bestraft. Das wäre Körperverletzung, Vergiftung. So dumm ist mit Sicherheit keiner.

Abgeschobene berichten außerdem, man hätte ihnen am Flughafen Säcke über den Kopf gestülpt.

Völlig hirnverbrannt, abwegig.

Aber da gab es diesen Toten in Frankfurt, der unter einem Motorradhelm erstickt ist.

Da war kein Arzt dabei. Das war diese entsetzlich dumme Bundesgrenzschutz-Geschichte. Es ist eine übliche Polizeimaßnahme: Wenn jemand so randaliert, dass er nicht gebändigt werden kann, zieht man dem ein Motorradhelm an, als Selbstschutz, für den Fall, dass der mit dem Kopf gegen die Wand rennt. Aber dann hat sich jemand auf seinen Brustkasten gekniet und nicht mehr losgelassen. Daran ist er erstickt. Das hätten die Grenzschutzbeamten sehen und ahnen müssen. Deshalb hat der BGS daraufhin Bestimmungen für Rückführungen entwickelt.

Nach diesem Fall begann Ihre Tätigkeit?

Arztbegleitungen gab es schon zuvor. Aber danach sind alle Beteiligten vorsichtiger geworden. Das darf kein zweites Mal passieren.

Suizidalität während der Reise kommt nicht mehr vor?

Es ist die Frage, ob das echte Suizidalität ist. Das ist sehr sehr schwer zu unterscheiden. Es gibt ja auch eine demonstrative oder vorgetäuschte Suizidalität, die in Wirklichkeit gar keine ist.

Sie sind aber kein Psychiater, sondern Notarzt. Wie können Sie das dann beurteilen?

Als Notarzt machen Sie natürlich auch eine Ausbildung in psychiatrischen Notfällen. Im Zweifel entscheide ich für den Patienten.

Wenn also jemand sagt, ich bin suizidal, dann fliegt er nicht?

Das kommt auf den Flug an. Wenn zwei Mann Security da sitzen, dann ist das kein Hindernis.

Und die würden den Menschen auch festhalten, wenn er sich verletzen oder töten will?

Auch dafür sind sie da. Aber das ist sehr unwahrscheinlich. Dass welche im Flugzeug von jetzt auf gleich irgendetwas probieren, das kommt schlicht nicht vor. Und mir ist auch nicht bekannt, dass Leute das später in ihrem Heimatstaat gemacht haben. Das hätte sich doch sofort in aller Welt herumgesprochen. Das wüssten Sie von der taz als Erste.

Haben Sie Gewissensbisse, wenn Sie jemandem Flugfähigkeit attestieren?

Ich kenne keinen, dem eine Abschiebung Spaß macht. Niemanden. Das ist nicht lustig. Vor allem dann nicht, wenn das eine supernette Familie ist. Ich hab es schon zwei Mal erlebt, dass wir als Gipfel der Gastfreundschaft Kaffee angeboten bekamen.

Während der Abschiebung?

Ja. In der Wohnung. Das vergisst man nicht mehr.

Letztens ist ein Psychiater in Berlin verurteilt worden, weil er Atteste über Leute geschrieben hat, die er gar nicht ausführlich gesehen hatte.

Das ist ein wichtiger Artikel aus dem Ärzteblatt, und es bleibt in Deutschland bestimmt nicht bei diesem ersten Fall. Ein bekannter Psychiater hat in der Presse gesagt, die Diagnose Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) werde inflationär gestellt.

Wie kommen Sie darauf, dass Posttraumata inflationär attestiert werden?

Im Kosovo haben die Menschen bestimmt sehr schreckliche Dinge erlebt, Milosovic hat da wirklich grausam gewütet. Nach meiner Erfahrung kann ich aber sagen, dass über die vielen tatsächlichen Traumatisierungen diese Modediagnose oft falsch gestellt wird. Bei einer PTBS ist erforderlich, dass die Symptome binnen sechs Monaten auftreten. Dann müssen die so schwer sein, muss der Leidensdruck so hoch sein, dass die Leute zum Arzt gehen. Aber selbst die, die vielleicht 1999 oder 2000 eingereist sind, gehen erst 2003 zum Arzt – nach Rechtskraft ihres Verwaltungsgerichtsurteils. Das ist auffällig und mindestens bedenklich.

Abschiebekritiker behaupten das Gegenteil: Auszuweisende werden auf Druck der Ausländerbehörde so lange begutachtet, bis ihnen ein Arzt Flugfähigkeit attestiert.

Es ist richtig, dass Gutachten, die als fehlerhaft erscheinen, nicht anerkannt werden. Sogar als informierter Laie sehen Sie sehr schnell, wenn eine Bescheinigung das Prädikat Gefälligkeit mehr als verdient.

Wie oft attestieren Sie, dass ein Asylbewerber nicht abschiebefähig ist?

Sehr selten, weniger als 5 Prozent.

Der Staat hat ein Interesse, abgelehnte Asylbewerber loszuwerden. Gibt es nicht auch Ärzte, die als Handlanger des Staates eine Psychose als nicht so gefährlich einstufen?

Das sehe ich nicht. Man kann doch nicht sagen, nur weil der Beamter ist und Psychiater im Gesundheitsamt, dass der Gefälligkeitsgutachten für Vater Staat schreibt.

Sie können für jeden Arzt, der Reisefähigkeit bescheinigt, die Hand ins Feuer legen?

Das kann ich natürlich nicht. Mir sind solche Fälle nicht bekannt.

Sie selbst bekommen auch keine Anweisung, eine bestimmte Quote...

Bei einem neuen Kennenlernen bin ich schon häufig mit ängstlichem Blick gefragt worden: Sie schreiben uns doch jetzt kein Gefälligkeitsgutachten? Das ist nicht gewünscht von den Behörden. Und dafür gebe ich mich auch nicht her. Ich lebe ja auch nicht von solchen Sachen und ich würde mir ja auch den Ruf kaputt machen.

Warum handeln manche Ärzte anders?

Gefälligkeit und Geld. Und ich glaube, bei keiner medizinischen Disziplin ist so eine verschwommene, unklare Grenze zur Ideologie auszumachen wie in der Psychiatrie. Dazu kommen eine ganz kleine Handvoll Anwälte, die sich vermutlich fast ausschließlich von solchen Dingen ernähren.

Die nutzen ihre Klienten aus?

Man kann durchaus feststellen, dass ein Anwalt diese Leute bekniet und sagt: „Geht bitte zur Behörde“. Auch wenn längst alle Rechtsmittel ausgeschöpft sind. Es gibt aber auch Anwälte, die sagen: „Wenn ihr auf euer Bleiben hier beharrt, trage ich das nicht mehr mit, da lege ich mein Mandat nieder.“ Das ist natürlich gegen sein materielles Interesse, den Kunden ist er los.

Aber diese Klientel ist arm. Da gibt es doch lukrativere Bereiche für Anwälte?

Ich hab mir zur Gewohnheit gemacht, die Flüchtlingsfamilien zu fragen: „Wie viel zahlen Sie Ihrem Anwalt?“ Landauf, landab 400 Euro pro Brief, der zu zwei Drittel aus Textbausteinen besteht, egal wie kurz oder lang. Oder 50 Euro monatlich für die laufende juristische Betreuung. So ein Anwalt hat ja auch einen Ruf, denn jedem dieser Anwälte ist es auch einmal gelungen, im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes jemanden vom Flughafen wegzukriegen. Natürlich klammern sie sich in ihrer vergeblichen Hoffnung dann oft an ihn.

Sie unterstellen den Anwälten, auch Klienten ohne Chance an sich zu binden?

Ich habe keine Beweise. Aber diese Anwälte erleben es doch, wenn sie nachfragen, wo ihre Leute geblieben sind. Wenn es wieder dazu kam, dass bei den Abschiebekandidaten morgens um sechs die Klingel ging.

Bereichern Sie sich nicht auch an den Flüchtlingen?

In keiner Weise. Das ist gar nicht möglich und das will ich nicht.

Sie haben Sorge, möchten nicht, dass Ihr Name in diesem Zusammenhang erscheint. Woher kommt diese Sorge?

Man wird angegriffen. Es werden haltlose Beschwerden an die Ärztekammer geschrieben. Ein Psychiater in Frankfurt hat unliebsame Gutachten geschrieben, über den hat die Szene Steckbriefe an die Bäume gehängt. Und das möchte ich eben vermeiden.