„Neonazis stoßen in eine Lücke“

taz: Frau Schreiber, in Mecklenburg-Vorpommern stoßen Neonazis in politische und soziale Strukturen vor. Beobachten Sie das auch in Brandenburg?

Winfriede Schreiber: Ja, wir sehen ebenfalls diese Tendenz. Wir haben es mit einem neuen Typus des Neonazis zu tun: dem Typus netter Schwiegersohn. Die Rechtsextremen zeigen Interesse an sozialen und kommunalen Themen – von der Kita-Schließung bis zu den Schwimmbadgebühren. Statt Bomberjacke und Springerstiefel tragen sie ganz normale, nette Kleidung. Man kann sie also optisch nicht mehr als rechtsextrem erkennen. So wollen sie größeren Einfluss gewinnen in den Gemeinden.

Gelingt ihnen das?

Durchaus. Bei den Leuten kommt an: Die kümmern sich, während die anderen zu wenig für uns tun. Die Rechtsextremen stoßen damit in eine Lücke, die ihnen die demokratischen Parteien lassen.

Wo beobachten Sie das?

Man kann sagen: Je weiter Berlin entfernt ist, desto stärker ist auch der Einfluss der Neonazis in die Bevölkerung hinein. Das ist also ein Problem des ländlichen Raums. Auf dem Land fehlt häufig die Konkurrenz, es gibt zu wenige Angebote für Jugendliche, zu wenige politische Aktivitäten. Und Rechtsextreme kommen hier mit gewissen Ansichten einfach auch an.

Mit welchen?

Der Neonazi bedient Vorurteile: Fremdenfeindlichkeit, Ausländerfeindlichkeit, einen latenten Rassismus. Und gerade mit Ausländerfeindlichkeit kann er auf jeden Fall landen. Wir beobachten, dass die Angst vor Ausländern gerade dort irreal groß ist, wo ganz wenige Ausländer leben.

Was tun? Viele Menschen haben das Gefühl, in der DDR ging es allen besser. Die sagen: Schwafelt nicht von Demokratie, helft uns lieber konkret …

Man muss auf jeden Fall verhindern, dass die Leute das Gefühl haben: Da kommen welche von außen und „denunzieren“ auch noch unsere Jungs. Deshalb müssen wir als Verfassungsschutz zuweilen sehr plakativ klarmachen, wo das Problem liegt. In ländlichen Gegenden ist es allerdings häufig schwierig, überhaupt noch Anpacker für die Aufklärungsarbeit zu finden.

Warum sollten Leute anpacken, wenn sie denken, was die Rechtsextremen tun, ist nicht verboten?

Ich halte das Vereinsverbot genau deshalb für ein wichtiges Instrument. Es zerschlägt nicht nur die Struktur, es hat auch einen bedeutsamen Nebeneffekt: Es macht klar, dass eine Gruppe die Grenze überschritten hat. Wir haben das in Brandenburg bei den Kameradschaften Hauptvolk/Sturm 27 und ANSDASPO erlebt. Ihr Verbot hat viele aufgeweckt. Die Menschen haben verstanden: Da lief wirklich etwas Unerlaubtes.

Was nützt ein Verbot, wenn in einem Dorf außer Neonazis keiner den Jugendlichen etwas bietet?

Natürlich müssen wir den Jugendlichen gleichzeitig andere Angebote machen. Sie sollen ja weiter Fußball spielen – nur eben nicht in der Neonazigruppierung Hauptvolk. Hier ist aber die gesamte Gesellschaft gefragt, nicht nur der Verfassungsschutz. Die Bürger müssen auch selbst die Verfassung schützen. Wir können sie nur ermuntern, unbedingt etwas auf die Beine zu stellen.

    INTERVIEW: ASTRID GEISLER