IN DER U-BAHN
: Hört die Signale

Noch weniger Lohn geht immer, so ist das. Ich will Revolution. Revolution!

Linie U6, Richtung Alt-Tegel: Im letzten Wagen steht ein spindeldürrer Mann, der fast bis zur Decke reicht. „Zieh dich chic an, ich will tanzen, tanzen!“, ruft er ins Handy. „Doch, zieh dich chic an. Wir gehen tanzen. Ich halt das nicht mehr aus.“ Die Leute, die eng um ihn stehen, kümmern ihn nicht. „900 Euro wollen sie mir zahlen, für eine volle Stelle.“ Er ist schon ein wenig angetrunken.

Anscheinend will die Frau nicht, wie er will. „Doch, ich will tanzen!“, ruft er wieder ins Handy, „tanzen, tanzen. 900 Euro, ich halte diese Lohndrückerei nicht mehr aus. 900 Euro für 40 Stunden. Und so was nennt sich Geschäftsführung, ja, Von-und-zu-Geschäftsführung. Hat keine Ahnung von Computer, aber von Von-und-zu. Zieh dich chic an, ich will tanzen.“

Offenbar überzeugt er die Frau am anderen Ende der Leitung immer noch nicht. „Der Betriebsrat kümmert sich nicht, mit uns können sie’s machen. Lass uns tanzen, ich halte es nicht mehr aus.“ Er lässt sein Gegenüber kaum zu Wort kommen. „Ich hab ’ne Ausbildung, verstehst du, ich versteh was von Computern. 900 Euro will sie zahlen, Von-und-zu. Wenn ich nicht will, findet sie ’nen anderen, sagt sie. Zieh dich chic an, wir gehen tanzen.“ Die Frau will immer noch nicht. „900 Euro. Dieses Mal wähl ich die Linke, ich halte es nicht mehr aus.“ Ein Moment Stille, dann: „Doch. Ich wähl die Linke. Stasi – ist mir egal, verstehst du!“ Er wird immer lauter. „Noch weniger Lohn geht immer, so ist das. Ich will Revolution. Revolution!“

„Yeah!“, sekundiere ich ihm in den Waggon hinein.

Ein Schwarzer, der an einer Stange lehnt, dreht sich um und nickt zustimmend. Eine dunkelhaarige Frau mit dunklen Augen, die an der U-Bahntür steht, lächelt und reckt die geballte Faust gegen die Decke. Der Mann am Telefon redet weiter: „Doch, zieh dich an, ich will tanzen.“ WALTRAUD SCHWAB