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Archiv-Artikel

Protest gegen Anschlag in Bulgarien

Ein Attentatsversuch gegen einen bekannten Journalisten treibt ein paar hundert Menschen in Sofia auf die Straße. Sie fordern den Rücktritt des Innenministers. Für die Regierung kommt das wegen Besuchs aus Brüssel zu einem schlechten Zeitpunkt

AUS SOFIA BARBARA OERTEL

Der „Platz der Unabhängigkeit“ im Zentrum von Sofia füllt sich nur langsam. Direkt vor dem Parlamentsgebäude, in dem früher die Kommunistische Partei Bulgariens residierte, belagern zahlreiche Journalisten die Herumstehenden, die lautstark miteinander diskutieren. Anlass der Kundgebung ist ein Attentatsversuch auf einen Journalisten.

„Wem gehört Bulgarien? Den Bürgern oder der Mafia?“, steht auf einem Pappschild, das eine ältere Frau in der Hand hält. „Staaten, in denen Journalisten verfolgt und getötet werden, sind autoritär, wie Russland oder Weißrussland. Mit unserem Protest erheben wir unsere Stimme gegen die Mafia. Wir wissen doch nicht, in welche Richtung wir uns entwickeln. Ich habe wirklich Angst“, sagt sie. Eine andere Teilnehmerin mischt sich ein. „Ich bin hier, um meine Empörung über das auszudrücken, was bei uns passiert. Im Kampf gegen die organisierte Kriminalität ergreift die Regierung völlig falsche Maßnahmen“, sagt sie.

Ziel des Attentatsversuchs war Vasil Ivanov, ein Mitarbeiter des Fernsehsenders Nova Televizija. In der Nacht zu Donnerstag explodierte vor der Wohnung des Journalisten im Sofioter Stadtteil Banischora eine Bombe. Zwar wurde keiner der Bewohner des vierzehnstöckigen Gebäudes verletzt, aber die Wohnungen mehrerer Familien wurden stark beschädigt.

Ivanov ist für seine investigativen Recherchen in den Kreisen der Mächtigen bekannt. So machte er unlängst haarsträubende Zustände in einem Sofioter Gefängnis öffentlich. Gefesselte Gefangene mussten an einer Hundeleine auf allen Vieren über die Flure kriechen und wurden vom Wachpersonal zu sexuellen Handlungen gezwungen. Der Leiter des Gefängnisses wurde entlassen und steht derzeit vor Gericht. Auch den notariell abgesegneten Kauf zweier gestohlener Autos für Staatspräsident Georgij Parvanow und den ehemaligen Generalstaatsanwalt Nikola Filschew machte Ivanov zum Thema einer Reportage. Nach Drohungen wurde er kurzzeitig unter Polizeischutz gestellt, der umtriebige Notar wartet auf sein Verfahren.

Mittlerweile haben sich ein paar hundert Menschen sich auf dem „Platz der Unabhängigkeit“ eingefunden. „Man kann das hier nicht mit 1996/97 vergleichen, als die Menschen auf die Straße gegangen sind, um die sozialistische Regierung zu stürzen. Das Volk ist müde und hat resigniert“, sagt Ekaterina Bontscheva, Journalistin beim Rundfunksender Nova Evropa. „Nicht einmal ein derartig barbarischer Akt mobilisiert die Menschen.“

Langsam kommt die Menge in Fahrt. Journalisten verlesen Solidaritätsadressen für ihren Kollegen Ivanov. Die Anwesenden werden aufgefordert, in einen neu gegründeten Fonds einzuzahlen, mit dem die von dem Anschlag betroffenen Familien unterstützt werden sollen. Die Redner werden immer wieder von Sprechchören unterbrochen, die den Rücktritt von Innenminister Rumen Petkov fordern.

Das jüngste Attentat kommt für die bulgarische Regierung zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. „Die Bombe lässt die Nerven der Staatsmacht explodieren“, titelte die Zeitung Dnevnik am Freitag. Morgen wird EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn zu einem weiteren Besuch in Sofia erwartet. Auch diesmal dürften wieder so unerfreuliche Themen wie verschleppte Reformen in den Bereichen Justiz und Inneres sowie Defizite beim Kampf gegen Korruption und gegen organisierte Kriminalität zur Sprache kommen. Mitte Mai wird die EU-Kommission ihren Bericht vorlegen, auf dessen Grundlage entschieden wird, ob Bulgarien zum 1. Januar 2007 der Europäischen Union beitritt oder noch ein Jahr nachsitzen muss.

„Es fehlt eindeutig der politische Wille zu Reformen. Wie weit muss es in diesem Land eigentlich noch kommen“, sagt Diljana Lambreva, Doktorandin im Fachbereich Medienwissenschaften an der Neuen Bulgarischen Universität in Sofia. „Wenn Bulgarien wirklich seine EU-Reife beweisen will, dann muss der Innenminister sofort zurücktreten.“