: Abgang für Berlusconi
Italien hat gewählt: Das Mitte-links-Bündnis von Romano Prodi wird voraussichtlich die neue Regierung stellen. Künftige Koalitionskräche in dem heterogenen Bündnis sind so gut wie sicher. An Dissens zwischen den Partnern mangelt es nicht
AUS ROM MICHAEL BRAUN
„Dieses Jahr beginnt der Frühling am 10. April.“ Den gesamten Wahlkampf hindurch hatte Romano Prodi seinen zuversichtlichen Spruch wiederholt – und er sollte Recht behalten. Nach ersten Hochrechnungen für den Senat lag Prodis Mitte-links-Bündnis gestern Abend mit 50,5 Prozent knapp zwei Prozentpunkte vor dem Rechtsbündnis von Silvio Berlusconi. Erste Exit Polls vom Nachmittag waren noch deutlicher ausgefallen: Prodis Koalition lag mit 50 bis 54 Prozent vorn, während das Rechtsbündnis auf nur 45 bis 49 Prozent kam. Sollten sich diese Zahlen bestätigen, dann kann sich Silvio Berlusconi vor allem über eines freuen: Mit dem neuen Wahlgesetz hatte er einen Durchmarsch der Mitte-links-Koalition verhindert, wie ihn das bis zu den letzten Wahlen gültige Mehrheitswahlrecht mit sich gebracht hätte.
Um Berlusconi allein hatte sich am Ende der Wahlkampf gedreht, mit der Botschaft „ich oder die Sintflut“ hatte er die Auseinandersetzung in einer Weise polarisiert, wie es die Italiener seit den Hochzeiten des Kalten Krieges nicht mehr erlebt hatten. Die Wähler aber mochten der Schreckensbotschaft von der drohenden „kommunistischen“ Machtergreifung nicht folgen; ausgerechnet Berlusconis Forza Italia (2001: 29,4 Prozent) brach den Nachwahlumfragen zufolge auf 20 bis 23 Prozent ein. Zwei seiner Koalitionspartner, die rechtspopulistische Lega Nord und die postfaschistische Alleanza Nazionale, blieben dagegen halbwegs stabil, während die gemäßigt-christdemokratische UDC (2001: 3,2 Prozent) sogar ihr Resultat auf offenbar 5 bis 7 Prozent steigern konnte.
Vater der großen linken Zugewinne ist Romano Prodi. Ihm ist es gelungen, eine Koalition zusammenzuführen, die – ebenfalls zum ersten Mal seit 1994 – ausnahmslos alle Opponenten Berlusconis unter einem Dach einte. Die von Prodi selbst angeführte Listenverbindung aus Linksdemokraten und der liberaldemokratisch-katholischen Margherita konnte im Abgeordnetenhaus 30,5 bis 33,5 Prozent der Stimmen erreichen. Gewichtiger ist aber wohl, dass auch die anderen Partner durchweg ihren Erwartungen entsprechend abschnitten. Die Kommunisten kamen auf etwa 6 Prozent, alle anderen Parteien auf die ihnen vorhergesagten je 1,5 bis 4 Prozent. Sollte es, wie sich gestern am frühen Abend abzeichnete, für eine linke Mehrheit reichen, so erwartet Romano Prodi nichtsdestotrotz eine äußerst schwierige Aufgabe: dafür zu sorgen, dass der „Frühling“ eines Wahlsieges nicht schnell im grauen Herbst seiner Koalition endet.
Schon einmal ist Prodi an seinem eigenen Bündnis gescheitert: 1998, als er nach nur zwei Jahren Regierungszeit abserviert und nach Brüssel abgeschoben wurde. Diesmal sei alles anders, versicherte Prodi schon während des Wahlkampfes. Diesmal gebe es einen Koalitionsvertrag, der alle Partner binde. Das stimmt: Auch die Kommunisten der „Rifondazione“ sind der „Unione“, dem Bündnis Romano Prodis, beigetreten und versprechen konstruktive Mitarbeit mit eigenen Ministern im Kabinett, statt die Regierung – wie noch 1996 – bloß voller Misstrauen von außen zu unterstützen.
Gegen Koalitionskräche aber wäre das höchst heterogene Bündnis nicht gefeit. Neben den beiden größeren Parteien gehören sechs kleinere Kräfte zur Unione: die Rifondazione Comunista, die von ihnen abgespaltene „Partei der italienischen Kommunisten“, die Grünen, eine Listenverbindung von Sozialisten und Radikalen, die eher konservativ-katholische UDEUR und die Partei „Italien der Werte“ des früheren Anti-Korruptions-Staatsanwalts Antonio Di Pietro.
An Dissens zwischen diesen Partnern mangelt es nicht. Beispiel Bürgerrechte: Sozialisten und Radikale wollen eine Politik, die auch den Zusammenstoß mit dem Vatikan nicht scheut, wenn es um Eingetragene Lebenspartnerschaften oder um Euthanasie geht. Die Margherita dagegen will den guten Draht zum Papst und hat extra einige „Lebensschützer“ bei der Wahl antreten lassen. Das Thema Eingetragene Lebenspartnerschaften wurde denn auch im Wahlprogramm ausgespart.
Beispiel Infrastrukturen. Die Grünen, und mit ihnen die Kommunisten, unterstützen den Bürgerprotest in den piemontesischen Alpentälern gegen den Bau der Eisenbahn-Hochgeschwindigkeitsstrecke von Turin nach Lyon. Linksdemokraten und Margherita dagegen erklären, das Projekt sei unverzichtbar für ein modernes, an Europa angebundenes Italien. Auch diese Frage wurde per Ausklammerung „gelöst“.
Zusätzlich erschwert wäre Prodis Arbeit dadurch, dass die Koalition sich nun nicht einfach ans Regieren machen kann: Erst einmal steht das „Schutt-Wegräumen“ an. Gleich 15 so genannte „Schandgesetze“ sind auf der schwarzen Liste: 15 Gesetze, mit denen Berlusconi seine Probleme mit der Justiz zu beseitigen suchte, mit denen er die Macht seiner Medienholding stärkte, mit denen er seinen Interessenkonflikt als Unternehmer und Politiker „löste“, indem er den Konflikt per Gesetz einfach wegdefinierte. Die Aufräumarbeit wird über Monate die Kräfte des italienischen Parlamentes binden, zumal ein Oppositionsführer Berlusconi zu konsequenter Obstruktionsstrategie greifen würde.
Zudem würde die Koalition die Regierung in einer wirtschaftlichen trüben Situation übernehmen. Italien verzeichnete 2005 Nullwachstum, die Handelsbilanz rutschte mit 10 Milliarden Euro ins Minus, und das Haushaltsdefizit liegt über 4 Prozent des BIP, während die Zinsen an den Kapitalmärkten wieder anziehen. Gerade das Wendeversprechen auf diesem Feld könnte Prodi zum Sieg getragen haben. Sichere Arbeitsplätze statt prekärer Jobs, wachsende Einkommen statt schwindender Kaufkraft, ein neuer Aufschwung statt Stagnation – an diesen Versprechen werden die Wähler Prodi schon sehr bald messen.