: Hollywood in Serie
PRIMETIME Die diesjährige Verleihung der Emmys zeigt, dass der US-Fernsehpreis dem Oscar mehr und mehr den Rang abläuft. TV-Serien sind mittlerweile innovativer als die Kinoblockbuster der großen Studios
VON JENS MAYER
Hollywoodstar Kevin Spacey blieb am Ende genauso sitzen wie seine Schauspielkollegin Robin Wright und der Oscar-nominierte Autor Beau Willimon („The Ides Of March“). Einzig Regisseur David Fincher („Sieben“, „The Social Network“) hätte einen der begehrten Preise des Abends in den Händen halten können – wenn er denn anwesend gewesen wäre bei der Verleihung der US-Fernsehpreise, den Emmys. Mit der ersten Staffel des Polit-Thrillers „House Of Cards“ hatte die Hollywood-Fraktion den ohnehin recht bewegten US-Serienbetrieb aufgewirbelt.
Das liegt nicht nur an den zahlreichen Verantwortlichen, deren Namen man bislang nur mit den Auszeichnungen der Oscarverleiher von der Academy of Motion Picture Arts and Sciences in Verbindung gebracht hat, sondern vor allem an den Produktions- und Vertriebsumständen. Denn mit „House Of Cards“ hat die Video-on-Demand-Plattform Netflix eindrucksvoll bewiesen wie die Zukunft der Fernsehserie aussehen könnte: Statt der regelmäßigen Ausstrahlung neuer Folgen in Häppchen, veröffentlicht die Webplattform alle Folgen einer Staffel auf einen Schlag. Wann – und vor allem auf welchem Endgerät – sich die Zuschauer die komplex erzählte Geschichte um den durchtriebenen US-Kongressabgeordneten Frank Underwood (Spacey) ansehen, bleibt ihnen überlassen. Schauspieler Neil Patrick Harris, der durch die 65. Emmy-Preisverleihung führte, zollte dieser Entwicklung in seiner launigen Eröffnung gleich mehrfach Tribut: „An die Jüngeren: Fernsehen ist das, was ihr gerade auf eurem Smartphone schaut.“
In der Kategorie der besten Dramaserie konnte sich erstmals die Show der Stunde gegen hochkarätige Konkurrenz wie „Mad Men“, „Homeland“, „Game Of Thrones“, „Downton Abbey“ und eben „House Of Cards“ durchsetzen: Autor und Serienschöpfer Vince Gilligan nahm die geflügelte Goldstatue für den ersten Teil der letzte Staffel von „Breaking Bad“ sichtlich gerührt entgegen, während die Fans auf ihrem Heimatsender AMC zeitgleich bei der vorletzten Folge mitfieberten. Zuvor hatte die Serie schon in einigen Hauptkategorien das Nachsehen gehabt, dafür durfte Anna Gun als Serienehefrau Skyler White über einen berechtigten Preis jubeln.
Das weltweite Interesse an der US-Fernsehauszeichnung ist in den vergangenen Jahren sprunghaft angestiegen. Wo die Oscar-Zeremonie längst zum zähen und mäßig unterhaltsamen Ritual verkommen ist und die Filmstudios immer seltener auf wirklich innovative oder zumindest einfallsreich-kluge Unterhaltung setzen, rufen Filmstars wie Kevin Spacey die „goldene Ära des Fernsehens“ aus. Keine Frage, dass die Entwicklung herausragender Charaktere wie Walter White (Bryan Cranston), Don Draper (Jon Hamm) oder Carrie Mathison (Claire Danes), die vom Publikum über Jahre hinweg mitverfolgt werden kann, die Bindung an die neue Erzählweise und den damit verbundenen Paradigmenwechsel vorantreibt.
Schauspielerin Claire Danes konnte mit ihrem zweiten Emmy für die Rolle im Paranoia-Thriller „Homeland“ jedenfalls ihre Klasse untermauern. In der äquivalenten Kategorie der männlichen Hauptdarsteller kam es dafür zu einer Überraschung: Dass weder der seit Jahren übergangene „Mad Men“-Star Jon Hamm noch Bryan Cranston oder Spacey, sondern Jeff Daniels für seinen Part in der HBO-Nachrichtenserie „The Newsroom“ prämiert wurde, die eine eher kleine Fangemeinde anspricht, bestätigt aber dennoch den Trend: Auch Daniels ist bislang hauptsächlich für seine Filmarbeit bekannt gewesen und dreht als nächstes bezeichnenderweise die Kinofortsetzung „Dumm und Dümmer 2“.
Der Pay-TV-Sender mit dem Slogan „It’s not TV. It’s HBO.“ konnte sich dreimal über die Kür des von ihm produzierten Films über das Leben des Entertainers Liberace freuen, der mit Regisseur Steven Soderbergh sowie den Hauptdarstellern Michael Douglas und Matt Damon ebenfalls mit geballter Hollywood-Power antritt. Auch in Deutschland wird man „Liberace“ bald sehen können. Allerdings nicht im Fernsehen oder auf dem Handy, sondern im Kino.