american pie
: Sensibelchen fühlt sich wohl

Jaromir Jagr, dominierender Stürmer bei den New York Rangers in der NHL, stellt einen neuen Clubrekord auf und ist derzeit einfach nicht aufzuhalten

Eishockeytrainer Tom Renney stockte der Atem. Am Ende des zweiten Drittels der Partie der New York Rangers gegen die New Jersey Devils in der National Hockey League (NHL) prallte Jaromir Jagr mit einem Linienrichter zusammen. Der wuchtige Stürmer der Rangers drückte den bemitleidenswerten Schiedsrichterassistenten gegen die Bande. Einige Sekunden lang lagen beide auf dem Eis. Der Linienrichter wurde vom Eis getragen und in ein Krankenhaus verbracht. Jagr dagegen stand schnell wieder. Er hat den Crash ohne größere Blessuren überstanden. Tom Renney konnte durchatmen.

Vor der Begegnung hatte der Trainer seinem Vorzeigestürmer geraten, doch einmal eine Pause einzulegen. Die Rangers hatten sich zum ersten Mal seit der Saison 1996/97 wieder für die Play-offs qualifiziert. Die letzten Spiele in der Punkterunde könne man auf den Tschechen auch verzichten. Der hatte großen Anteil am Erfolg der Rangers in dieser Spielzeit. Mit 109 Scorerpunkten hat Jagr einen neuen Vereinsrekord aufgestellt. Ein weitere Bestmarke ist in den letzten vier Spielen nicht mehr zu erreichen. Auch das spräche für eine Pause. Der Stürmer sollte sich ein wenig erholen.

Doch Jagr wollte spielen. „Ich kenne meinen Körper“, sagte er und fügte hinzu: „Wenn ich wirklich einmal eine Pause brauche, dann lasse ich ein Frühtraining ausfallen.“ Er hoffe nur, dass er sich nicht verletzt. Das wäre beim Spiel gegen die Devils beinahe geschehen. Jagr hat noch einmal Glück gehabt, und es ist die Frage, wie viele Einsatzminuten ihm sein Trainer vor den Play-offs noch gibt. Der 34-jährige Tscheche soll möglichst frisch in die entscheidenden Spiele der Saison gehen. Denn die New York Rangers erwarten sich viel von ihrem Superstar.

Dass sich der in dieser Saison so glänzend präsentiert hat, ist das Ergebnis einer erstaunlichen Entwicklung des Tschechen. In der Saison vor dem Lockout, als die Clubbesitzer nach gescheiterten Verhandlungen über feste Gehaltsobergrenzen die Einstellung des Spielbetriebs beschlossen haben, galt Jagr als Auslaufmodell. Er schien die Lust an seinem Sport verloren zu haben. Nachdem er die Pittburgh Penguins, mit denen er zweimal den Stanley Cup gewinnen konnte, in Richtung Washington verlassen hatte, wurde aus dem ehrgeizigen Stürmer mehr und mehr ein oft gelangweilt wirkender Mitläufer. Er selbst sagte über diese Zeit: „In Pittsburgh konnte ich trainieren, wie ich wollte. Auch über meine Eiszeiten konnte ich selbst entscheiden. In Washington war das anders.“ Er brauche seine Freiheiten, sagt der launische Stürmer, der bei den Rangers in dieser Saison wieder richtig Spaß zu haben scheint.

Während des Lockouts verschlug es Jagr nach einem kurzen Gastspiel in seinem Heimatort Kladno nach Sibirien. Dort fand er bei Avangard Omsk an der Seite seines Landsmannes Jaroslav Bednar und der russischen Stars Oleg Tverdovski und Maxim Suschinski zur alten Form zurück. Als er 2005 die tschechische Nationalmannschaft zum WM-Titel führte, war Jagr vom launischen Ab-und-zu-Star zur Legende geworden. Er gehört nun zu den 15 Spielern des Triple-Gold-Clubs, die sich Stanley-Cup-Sieger, Weltmeister und Olympiasieger nennen dürfen.

Glen Sather, der Manager der New York Rangers, setzte alles daran, Jagr bei Laune zu halten. Er installierte eine „Czech Connection“ in der Mannschaft. Sieben Tschechen spielen in dieser Saison bei den Rangers. Jagr, das große Sensibelchen der NHL, scheint sich wohl zu fühlen inmitten seiner Landsleute. Aber auch mit den anderen Spielern hat er keine Probleme: „Hier darf jeder über jeden Witze machen, und niemand ist sauer“, beschreibt er die Stimmung in der Kabine.

Bis 2008 steht er noch unter Vertrag bei den Rangers. Danach will er noch einmal in Europa spielen. Von Lustlosigkeit also derzeit keine Spur bei Jaromir Jagr. ANDREAS RÜTTENAUER