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Archiv-Artikel

Nazi, Junge, Mädchen

„Irgendwann glaubst du an deine Lebenslüge. Du wirst immer fanatischer“

VON DIANA AUST

Dass sie nicht älter werden würde als 30, dafür habe sie schon gesorgt. Noch einmal richtig auf den Putz hauen, mit einem großen Feuerwerk gehen. In einem Bürgerkrieg. An irgendeiner Front. Erschossen. Zu Tode geprügelt. Eine schöne Vorstellung.

Maria* erzählt das ganz ruhig. Zündet sich eine Zigarette an und geht die Straße runter. „Für mich gab es ab einem gewissen Zeitpunkt einfach nichts mehr“, sagt sie. Mit den schwarz geschminkten Augen erinnert sie an Kleopatra. Dass die ausgeprägte Nase zweimal gebrochen war, sieht man nicht mehr. Obwohl Maria erst 19 Jahre alt ist, wirkt sie viel älter, vielleicht wegen ihrer undurchdringlichen Augen. Abgeklärt spricht sie von ihrer Geschichte. Davon, dass sie mit 15 noch Henning hieß und ein Neonazi war. Davon, dass sie Juden und Ausländer hasste. Heute hat sie damit abgeschlossen. Sie traut sich, zu sein, was sie wirklich ist. Eine Frau.

Maria geht schnell. Es ist dunkel. Ihre hellbraunen Lederstiefel treffen leise auf den Asphalt, auf dem sie als Junge mit Springerstiefeln lief. Sie wohnt noch immer in derselben Stadt, bei ihren Eltern. Nur wenige Minuten entfernt von einem ehemaligen Konzentrationslager. Vom Bahnhof ist es kein weiter Weg zu den Plätzen, an denen sie früher immer war, in einem anderen Leben. Nicht weit entfernt steht der alte Bunker, an dem sie noch heute jeden Morgen vorbeikommt. Muffig riecht es hier immer noch. Maria geht an der verwitterten Wand mit dem weißen Graffiti vorbei: „Antifa is watching you“. Maria geht schnell.

Sie will nach vorne sehen, aber heute Abend schaut sie noch einmal zurück. Sie denkt an die Zeit, als sie ein Junge war und die Zahl der ermordeten Juden leugnete. Als sie beim Besuch eines Konzentrationslagers im Krematorium rauchte. Maria gehört nun selbst zu einer Gruppe, die von den Nazis vergast wurde: Sie ist transsexuell. „Es gab Momente, in denen ich gedacht habe: Es kann doch nicht sein, dass ich da mitmache.“ Während sie das sagt, streicht sie sich eine schwarze Strähne ihres schulterlangen Haares, die unter der Mütze hervorgerutscht ist, aus dem Gesicht. Es scheint, als spräche sie von einer anderen Person.

Sie wird zum Proll, flüchtet sich in Schlägereien

„Henning war damals ein richtiger Prolet“, sagt Max*, ein langjähriger Schulfreund, der ebenfalls in der rechten Szene war. „Wenn mir jemand Stress macht, hau ich ihm eine aufs Maul, hat Henning immer gesagt“, erzählt Max. Dass Henning transsexuell ist, damit hätte er nie gerechnet. So männlich wie er aufgetreten ist. Henning, der Leute zusammentritt. Henning, der mit der Handykamera filmt, als seine Neonazikumpels einen türkischen Familienvater zusammenschlagen und auf ihn spucken. Skrupel hatte Henning keine. In Schlägereien fühlte er sich zugehörig, stark, männlich. Und trotzdem sagt Max: „Maria ist heute sie selbst. Das weibliche Verhalten passt viel besser zu ihr.“ Mit dem bärtigen Glatzkopf, der sie einmal war, hat sie keine Ähnlichkeit mehr.

Schon mit fünf Jahren fühlte Maria sich wie ein Mädchen. Bis sie 13 war führte sie ein Doppelleben. In der Stadt war sie Maria. In der Schule, bei den Eltern, war sie Henning. Aber irgendwann kam der Stimmbruch. Irgendwann guckten die Leute sie komisch an. Irgendwann erwischten die Eltern sie in Mädchenkleidern. Sie sagten, das sei was für Fasching. Maria schämte sich. Sie fühlte sich unnormal, schuldig, dreckig. Wollte sich verstecken. „Niemand sollte sehen, wer ich wirklich war.“ Sie wünschte sich einen Schutz vor den Blicken der anderen. Sie dachte, dass ihre Eltern recht haben. Dass sie aufhören musste zu träumen. Dass sie ein anderer werden musste. In einem Wutanfall warf sie alle Kleider und Röcke weg. Sie schwänzte die Schule, lungerte mit Kumpels rum, nahm harte Drogen. Sie kannte die Orte, an denen sich die Skinheads trafen, und sie fühlte sich dort hingezogen. Eine Möglichkeit, sich zu beweisen, dass sie ein Mann war. Sie rasierte sich eine Glatze, kaufte Springerstiefel und Bomberjacke. Ihr Cousin, ein muskulöser Glatzkopf, wurde zu ihrem Vorbild. Breitbeinig gehen, aggressiv auftreten – Maria, die als Junge in Pferde vernarrt ist und lieber mit Mädchen spielt, ahmt das bei den Neonazis nach.

Mit 15 geht sie immer öfter zu den Plätzen, an denen die Neonazis saufen. Bald gehört sie dazu. Sie liest Adolf Hitlers „Mein Kampf“. Sie fängt an, Ausländer zu hassen. Sie fährt auf Zeltlager, absolviert Militärspiele. In der Gemeinschaft wird sie zu Henning, dem Proll. Henning kennt immer mehr Leute in der Szene, fährt quer durch Deutschland und Europa auf rechtsextreme Konzerte. Er tauscht auf illegalen Märkten Sachen ein. Zu Hause in seinem Zimmer liegt eine russische Neun-Millimeter-Pistole aus dem Ersten Weltkrieg. In einer Truhe mit Vorhängeschloss ist sie unterm Bett versteckt, neben der Hakenkreuzfahne, der SS-Kleidung. Auf Menschen hat er damit nie geschossen, nur auf Enten. Bei den Schießübungen, zu denen die älteren Neonazis die jüngeren mitnahmen.

Maria geht vom Bunker weiter durch die dunklen Straßen. Trotz der Kälte trägt sie keinen Schal um den nackten Hals. Ihre Hände sind rot vor Kälte, aber sie braucht keine Handschuhe. Sie kommt an einen Fluss, die Häuser werden weniger. Ein paar Jungs und ein Mädchen hocken auf einer Bank, trinken Bier. Maria senkt den Kopf, ihre Schultern versteifen sich. Sie schaut stur auf den Boden. Maria beobachtet aus den Augenwinkeln. Die Bierflaschen hören auf zu kreisen, es wird still, finstere Blicke. Maria ist vorbei, atmet auf. „Das waren zwar keine Neonazis, aber die sind definitiv rechts“, sagt sie. Im Viertel hat man Henning nicht vergessen. Und das lässt man Maria spüren.

An einem Feld hält sie inne. Im Sommer hat sie hier mit ihren Kumpels Nazimusik gehört. Vom Licht der Straßenlampe wird ihr dick aufgetragenes Make-up erhellt. „Je älter ich werde, desto männlicher werde ich auch.“ Maria, die unter ihrer schwarzen Winterjacke Silikoneinlagen in den leeren BH gelegt hat, ekelt sich vor ihrem Körper. Wenn sie im Spiegel wieder ein paar Haare mehr entdeckt, kann sie deswegen nachts nicht schlafen.

Sie will so schnell wie möglich die Geschlechtsumwandlung. Seit einem Jahr sieht sie zwei Psychologen. Das muss sie tun, damit sie sich eines Tages zur Frau umoperieren lassen kann. Bald wird sie Hormone bekommen, die ihren Körper weiblicher machen. Dann braucht sie keine Silikoneinlagen mehr.

Das Ende ihrer Nazikarriere ist der Anfang ihres Lebens als Frau. Mit Ende 17 bricht alles zusammen. Vielleicht, sagt sie, sei es der Moment gewesen, als Leute, die sie kennt, ein Mädchen blutig prügelten. Sie hört öfter solche Geschichten. Wie die Freunde sich mit dieser einen Tat brüsten, schockt sie besonders. Sie geht stundenlang mit ihrem Hund im Wald spazieren. Die Freunde sagen, sie würden für ihre Ziele töten. Sie auch? Wer ist sie? Wofür lebt sie? Maria weiß es nicht mehr. „Irgendwann glaubst du selbst an deine Lebenslüge. Du wirst immer fanatischer.“ Mit Alkohol und Speed versucht sie, die Zweifel zu ertränken. Sie zieht zu Hause heimlich wieder Frauenkleider an. Doch das reicht ihr nicht. Sie darf kein Mädchen sein. Ein Junge kann sie nicht sein. Maria denkt an Selbstmord. Vielleicht mit einer Waffe? „Ich bin mit meiner Rolle nicht mehr klargekommen, mit dem Druck, dieses Schauspiel aufrechtzuerhalten.“

Sie steigt aus, wie sie einstieg – schleichend

Anfang 2008 schafft sie es, aus der Szene auszusteigen. Genauso schleichend, wie sie eingestiegen ist. Zwar erhält sie Drohungen. Doch weil sie noch so jung ist, und weil sie nicht zur Polizei geht, lassen die Skins sie in Ruhe. Sie zieht in eine andere Stadt. Weg von den Nazis. Weg von den Eltern. An einen Ort, wo sie keiner kennt. Dort lebt sie zum ersten Mal als Frau und kann zu sich stehen. Sie outet sich zuerst bei ihrem Freund Max, dann auch in ihrem neuen Job: „Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es alle so positiv aufnehmen.“ Alle – bis auf ihre Eltern. Als sie Marias Brief auf dem Tisch finden, bricht für sie eine Welt zusammen. Schon als Henning, ihr einziger Sohn, zum Neonazi wurde, konnten sie nichts tun. Jetzt lesen sie, dass Henning von heute an Maria heißt.

Es ist April 2009. Maria hatte ein Jahr lang gebraucht, um den Mut zu finden, ihnen alles zu sagen. Bis heute wollen ihre Eltern nicht glauben, dass Henning nicht zurückkommen wird. „Hier gibt es keine Maria“, sagen sie am Telefon, wenn man dort anruft, „hier gibt es nur Henning.“. Maria macht das traurig. Und wütend. Nicht nur, weil sie dem Anspruch ihrer Eltern nicht gerecht werden kann. „Vor allem habe ich das Gefühl, nicht als die wahrgenommen zu werden, die ich bin.“ Maria geht am Fluss entlang. Aus ihrem iPod kommt leise ein Lied: „Arischer Engel“. Ein rechtes Liebeslied. Sie hört es heute noch.

* Namen geändert