: Entschädigung bei Unwetter
BAHNEN Wenn Züge mehr als eine Stunde Verspätung haben, muss der Fahrpreis teilweise erstattet werden – auch wenn die Verzögerung der Reise auf „höherer Gewalt“ beruht
VON CHRISTIAN RATH
FREIBURG taz | Bahn-Unternehmen müssen bei großen Verspätungen auch dann Entschädigungen zahlen, wenn diese auf überraschenden Unwettern und Streiks beruhen. Das entschied am Donnerstag der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg, das oberste Gericht der EU.
Das Urteil gilt in ganz Europa, also auch in Deutschland. Zugrunde lag aber ein Fall aus Österreich. Die staatliche Österreichische Bahngesellschaft ÖBB sah in ihren Geschäftsbedingungen vor, dass bei Verspätungen keine Entschädigung zu bezahlen ist, wenn diese auf „höherer Gewalt“ beruht. Die dortige Regulierungsbehörde „Schienen-Control“ beanstandete dies und verlangte eine Änderung.
Am Ende landete der Streit in Luxemburg, weil die Entschädigungsansprüche für Bahnkunden auf einer EU-Verordnung von 2007 beruhen. Danach kann der Fahrgast bei einer Verspätung von 60 bis 119 Minuten ein Viertel des Fahrpreises als Entschädigung zurückverlangen. Bei einer Verspätung über 120 Minuten muss die Hälfte des Fahrpreises zurückgezahlt werden. Die Entschädigung muss auf Wunsch des Fahrgastes in Geld erfolgen. Wenn die Fahrt aufgrund der Verspätung nicht mehr fortgesetzt werden kann, muss die Bahn einen Taxitransport oder ein Hotel bezahlen. Der Fahrgast hat nach EU-Recht allerdings keinen Anspruch auf Entschädigung, wenn er bereits vor dem Kauf der Fahrkarte über eine Verspätung informiert wurde. Wie der EuGH nun entschied, gilt eine Ausnahme für Fälle höherer Gewalt nur, wenn die Verspätung zu zusätzlichen Kosten führte, zum Beispiel weil eine Hotelübernachtung erforderlich wurde. Die Erstattung eines Teils des Fahrpreises muss dagegen auf jeden Fall erfolgen. Der Wille des Gesetzgebers sei eindeutig gewesen, so die Richter. Im Europaparlament sei ein Änderungsantrag, der die Bahngesellschaften besser schützen wollte, abgelehnt worden.
Auch das Argument der ÖBB, dass Fluggesellschaften bei höherer Gewalt nicht für Verspätungen haften, hatte beim EuGH keinen Erfolg. Die Verkehrssysteme seien so unterschiedlich, dass der Gesetzgeber auch Unterschiede beim Verbraucherschutz machen darf. Die EU-Bestimmungen für den Flugverkehr könnten also nicht analog für den Bahnverkehr angewandt werden – zumal dann ja auch der beabsichtigte Schutz der Bahnkunden beeinträchtigt worden wäre.
Die Deutsche Bahn begrüßte das Urteil, es bringe Rechtssicherheit für die Bahn und ihre Kunden. Eine Bahn-Sprecherin sagte, die Bahn habe sich schon in der Vergangenheit in Fällen von Verspätungen wegen höherer Gewalt kulant gezeigt und sich „eher zurückhaltend“ auf einen Haftungsausschluss berufen. Das EuGH-Urteil werde ab sofort umgesetzt.
Der Fahrgastverband Pro Bahn bestätigte, dass die Bahn bisher auch in den umstrittenen Fällen höherer Gewalt, „überwiegend gut reagiert hat“, wie der stellvertretende Bundesvorsitzende Gerd Aschoff zur taz sagte.
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