„Wir sind nicht Westerwelle“

INTERVIEW Cem Özdemir will im Herbst wieder im Doppelpack mit Claudia Roth für den Grünen-Bundesvorsitz kandidieren. Der Parteichef über Rot-Grün und die Frage, was Grüne und FDP trennt

■ 45, ist seit November 2008 Ko-Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen. Von 2004 bis 2009 war er Abgeordneter im EU-Parlament. Eine ausführlichere Version des Interviews finden Sie auf taz.de. Foto: ap

?taz: Herr Özdemir, SPD-Chef Sigmar Gabriel hat die Grünen jüngst zu den neuen Liberalen erklärt. Gefällt Ihnen das?

Cem Özdemir: Es ist ja ein offenes Geheimnis, dass wir von der FDP das bürgerrechtliche Element geerbt haben. Mir behagt allerdings weniger, dass uns dieses Bild auf eine bestimmte Nische reduziert. Wir sind viel breiter aufgestellt.

Warum sollte Rot-Grün in NRW heute besser klappen als einst im Dauerzwist zwischen Bärbel Höhn und Wolfgang Clement?

Sylvia Löhrmann und Hannelore Kraft sind zwei Frauen, die wissen, wo sie gemeinsam hinwollen. Es gibt viele Gemeinsamkeiten, etwa in der Bildungspolitik oder auch in der Sozialpolitik. Aber wir reden uns die SPD nicht schön. Sie ist keine Klimaschutzpartei. Dafür müsste sie den Mut haben, Konflikte auszutragen – mit der Autobranche, mit der Landwirtschaft oder mit den Energiekonzernen. Wir müssen aber allen klar machen, die einen Wechsel wollen: Der beste Weg, diesen Wechsel zu verhindern, ist der Einzug der Linkspartei ins Düsseldorfer Parlament. Denn das würde vor allem Jürgen Rüttgers helfen.

Der könnte auch mit Ihnen weiterregieren.

Eher in einer großen Koalition. Aber wir wollen Rot-Grün in NRW, dafür kämpfen wir jetzt noch bis zum 9. Mai. Alles andere sind Zweitoptionen. Die müssen wir dann prüfen, wenn es für Rot-Grün nicht reichen sollte.

Sie fahren also die Saarland-Strategie: Erst holen Sie die Zweitstimmen von der SPD, dann gehen Sie damit zur CDU?

Mich wundert immer, dass man uns Schwarz-Grün unterstellt – aber niemand die SPD nach der großen Koalition fragt. In Nordrhein-Westfalen steht die SPD der CDU doch viel näher als wir. Auf neue Kohlekraftwerke könnte sich Hannelore Kraft mit Jürgen Rüttgers innerhalb weniger Minuten einigen.

Was bleibt Ihnen zu tun, wenn Sie im Herbst zwei Jahre als Parteichef hinter sich haben?

Ich würde gern auf der Bundesdelegiertenkonferenz in Freiburg wieder kandidieren, gemeinsam mit Claudia Roth. Wir arbeiten sehr gut zusammen. Es war ja nicht immer so bei den Grünen, dass die Doppelspitze gut funktioniert hat. Wir vertrauen uns blind und sorgen für einen Ausgleich über die Flügelgrenzen hinweg.

Sehen Sie sich auch als Gegenmodell zu Westerwelle?

Der Gegenpart zur fundamentalistischen FDP ist doch längst die Linkspartei. Die einen wollen den Staat kaputtsparen, bei den anderen soll der Staat alles richten. Beides entspricht nicht unserem Menschenbild.

Aber Sie können verstehen, dass sich manche Konservative nach Ihnen sehnen als einem besseren Guido Westerwelle?

Wir sind nicht Westerwelle. Verstehen kann ich die Empörung in der Wirtschaft. Was ihnen die FDP mit einem Minister Brüderle vorsetzt, ist eine Missachtung von Leuten, die ordnungspolitische Vorstellungen erwarten. Auch die Unternehmer wissen, dass gute Bildungspolitik, internationaler Klimaschutz und solide Haushaltspolitik wichtiger sind als Steuersenkungen. Da ist die Industrie erheblich weiter als die Partei, die vorgibt, Wirtschaftsinteressen zu vertreten.

Wollen Sie denn 2013 wieder in den Bundestag?

Als ich beim letzten Mal in Stuttgart auf 29,9 Prozent der Erststimmen kam, hat die SPD-Bewerberin mit ihren 18 Prozent gesagt: Den Özdemir werdet Ihr hier nicht wiedersehen. Da will ich sie Lügen strafen.

INTERVIEW: MATTHIAS LOHRE
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