piwik no script img

Archiv-Artikel

„Ich bin manisch begeisterter Musikhörer“

DER KONZERTVERANSTALTER Berthold Seliger bringt Lou Reed und Patti Smith auf deutsche Bühnen, vertritt Calexico in Europa und hat Lambchop so lange gebucht, bis sie auch hierzulande gehört wurden. Er veranstaltet erfolgreich Konzerte – und ist zugleich der wohl streitbarste Mann im deutschen Musikgeschäft. Als Insider beklagt er eine Industrie, in der Entscheidungen für den Kommerz und gegen die Kultur gefällt werden

Berthold Seliger

■ Der Mann: Berthold Seliger wird 1960 geboren und wächst in Fulda auf. Er studiert Musikpädagogik und arbeitet als Lehrer. 1988 gründet Seliger seine Konzertagentur, mit der er 2000 nach Berlin umsiedelt. Seitdem äußert er sich immer wieder kritisch zu den Zuständen im Musikgeschäft, zu Politik, Gesellschaft, Medien und Gott und der Welt – am liebsten im Newsletter seiner Agentur, der auch als Blog erscheint und 2003 mit dem „Mersha Award“ von Musik-Express und Rolling Stone als „bester Newsletter“ der Musikbranche ausgezeichnet wurde. Seliger arbeitet außerdem immer wieder sporadisch als Autor für Zeitschriften, außerdem veröffentlichte er zwei Kriminalromane, die in Fulda angesiedelt sind, ein Theaterstück und Sachbücher.

■ Die Agentur: Seit der Gründung 1988 bringt die Konzertagentur Berthold Seliger vorzugsweise amerikanische Singer/Songwriter, Avantgarde-Punk oder auch Weltmusik auf deutsche Bühnen – von großen Namen wie Lou Reed, Patti Smith oder Youssou N’Dour bis zu geschätzten Geheimtipps wie Bonnie Prince Billy oder Bratsch. Als Europaagent vertritt Seliger u.a. Calexico, Lambchop, Pere Ubu oder The Residents.

■ Das Buch: Diesen Monat ist Seligers neues Buch „Das Geschäft mit der Musik. Ein Insiderbericht“ erschienen, in dem er schonungslos offenlegt, wie Künstler und Publikum von den großen Akteuren im internationalen Musik- und Konzertgeschäft ausgebeutet werden. Seliger entwickelt darin zudem konstruktive Vorschläge zur Reform von Urheberrecht und Gema – und Ideen, wie Musiker auch künftig noch von ihrer Kunst leben können. Er liest am 22. Oktober im Roten Salon der Volksbühne. (TO)

INTERVIEW THOMAS WINKLER FOTOS DAVID OLIVEIRA

Herr Seliger, warum sind Sie so streitbar?

Berthold Seliger: Bin ich das? Ich halte mich für einen eher friedlichen und harmoniebedürftigen Menschen.

In Ihrem preisgekrönten Newsletter, der auch als Blog erscheint, bezeichnen Sie Dieter Gorny, den ehemaligen Viva-Chef und heutigen Cheflobbyisten der deutschen Musikindustrie, schon mal als „Kim Il Sung“, beschweren sich über „dumpfen Deutschrock“, verdammen Sponsoring und würden Justin Bieber am liebsten auf den Mond schießen.

Die Welt ist nicht so, wie man sie sich wünscht. Und wenn man die Welt verändern will, dann gibt es verschiedene Wege. Der, den ich gewählt habe, ist, meine Meinung deutlich zu sagen. Wenn das provokativ ist, liegt das nicht an mir, sondern an der Wirklichkeit, am Zustand der Welt.

Außer Ihnen scheint es in der deutschen Musikszene kaum Menschen zu geben, die sich trauen, so dezidiert ihre Meinung zu sagen. Wundert Sie das?

Ach, das ist doch auch in anderen Geschäftsbereichen so. Wer eingebunden ist in ein bestimmtes Geschäftsmodell, traut sich nicht, dieses Modell zu kritisieren. Es gibt ja auch nur wenige Banker, die das Finanzsystem kritisch sehen, oder wenige Lehrer, die das Bildungssystem hinterfragen. Aber in der Musikbranche gab es sicher vor einigen Jahren einen Paradigmenwechsel: Immer mehr Jasager, immer mehr stromlinienförmige Musik, immer mehr Produkte, wie man das heute nennt. Um so etwas zu verkaufen, braucht man keine Leute, die kreativ und selbstbewusst mit Musik umgehen. Das ist systemimmanent, dass die Leute immer vorsichtiger werden und sich nicht mehr trauen, das Geschäft zu hinterfragen. In der Musikindustrie ist das ganz besonders omertàhaft.

Wie reagiert die Branche auf Ihre Kritik?

Meine Kritik zielt ja nicht auf die Branche, sondern auf die Öffentlichkeit. Ich will aufklärerisch wirken, nicht institutionell. Aber selbst in der Branche gibt es eine Menge Leute, die meine Kritik gut finden und mir hinter vorgehaltener Hand sagen: Du übertreibst vielleicht manchmal, aber im Grunde hast du Recht. Und dann gibt es natürlich einige, die gar nichts halten von dem, was ich sage. Natürlich findet ein Herr Gorny bescheuert, was ich sage. Aber ich finde ja auch bescheuert, was der oder andere Vertreter dieses Systems sagen.

Sie sind jetzt genau ein Vierteljahrhundert im Musikgeschäft aktiv, eben hat Ihre Agentur das Jubiläum gefeiert. Ihre Liebe zur Musik ist aber noch älter…

Ich war ungefähr sechs Jahre alt, da war ich viel mit meinem Vater unterwegs, der Schlosser war und Öltanks in Häuser eingebaut hat. Auf die Baustellen durfte ich nicht mit, also bin ich im Auto geblieben und habe Radio gehört. Eines Tages habe ich „Die Moldau“ von Smetana gehört, und als mein Vater zurückkam, habe ich gesagt: Ich will Klavier lernen! Was natürlich ein bisschen absurd ist, weil in der „Moldau“ gar kein Klavier mitspielt, aber so war das. Mein Vater hat mir dann tatsächlich ein Klavier gekauft, ich habe viel gespielt und ich war wohl auch nicht ganz untalentiert. Und ich bin bis heute davon fasziniert, was für großartige Musik es gibt, welche Welten sich in der Musik auftun können. Musik ist mir immer noch irrsinnig wichtig, ich bin bis heute manisch begeisterter Musikhörer.

Wie kam es, dass Sie die Seiten gewechselt haben?

Ich habe die Seiten nicht gewechselt. Ich hatte nie den Plan, Musiker zu werden. Ich wurde Musiklehrer, später Politiker – und ich finde ja, das ist gar nicht so weit weg von dem, was ich heute mache.

Warum wurden Sie Konzertorganisator?

Weil mir in Fulda, wo ich 20 Jahre gelebt habe, eine bestimmte Kultur gefehlt hat. In einem Anfall von Größenwahn dachte ich: Dann bringe eben ich diese Kultur nach Fulda, das kann ja nicht so schwer sein. Ich hab dann gleich ein ganzes Saisonprogramm angeboten, 15 oder 16 Konzerte, und da habe ich gelernt, dass man mit einem Konzert, das floppt, sehr viel mehr Geld verlieren kann, als man mit einem ausverkauften Konzert verdient. Damals habe ich viel Lehrgeld bezahlt, im wahrsten Sinne des Wortes. Aber ich habe eben auch viel gelernt.

Das Lehrgeld war aber nicht so hoch, dass Sie pleite gewesen wären, bevor es richtig los ging?

Ich war pleite. Aber ich hatte Leute, die mir geholfen haben. Ich glaube ja sowieso daran, dass das Leben aus Zufällen besteht. Es kommt nur darauf an, die Gelegenheiten, die sich einem bieten, beim Schopf zu packen. Eine der Künstlerinnen, die ich 1988 nach Fulda eingeladen hatte, die DDR-Sängerin Barbara Thalheim, suchte damals einen Agenten in der BRD. Sie hat mich gefragt, und ich dachte: Okay, das probiere ich mal aus – und schon war ich Tourneeveranstalter.

Im Jahr 2000 sind Sie dann mit Ihrer Agentur nach Berlin umgezogen. Warum?

Das hatte rein private Gründe.

Hat sich Berlin für Sie als die aufregende Metropole entpuppt, für die die Stadt im Rest der Welt gehalten wird?

Och. Ich glaube, dass Berlin doch auch ein wenig überbewertet wird. Bertolt Brecht sagte mal: „Der Schwindel Berlin unterscheidet sich von allen anderen Schwindeln durch seine schamlose Großartigkeit.“ Natürlich gibt es in Berlin jede Menge tolle Angebote und Möglichkeiten – aber Berlin ist gleichzeitig auch sehr provinziell. Am Ende des Tages ist Berlin auch nur 55 Mal Fulda hintereinander.

Ist der Berliner Konzertmarkt besonders schwierig?

Ich arbeite ja europaweit, da ist Berlin nur ein Teil meiner Arbeit. Das Gute an der Stadt ist jedenfalls: Fast alle Bands wollen hier spielen, der Konzertmarkt ist einer der reichhaltigsten und vielfältigsten Europas. Jeden Abend ein grandioses Angebot. Aber es fehlen Clubs mit kleinen Größen, schöne Läden, in denen man Bands aufbauen kann. Auch im mittleren Segment gibt es nicht allzu viele Möglichkeiten. Und mir fällt ständig der Widerspruch auf, dass sich der Senat zwar gerne mit der sogenannten Kreativindustrie schmückt, aber die Kreativen ansonsten gern im Regen stehen lässt. Die freie Szene muss unter prekärsten Bedingungen arbeiten, bei Open-Air-Konzerten gibt es absurde Lärmbeschränkungen, und um 22 Uhr, wenn es gerade dunkel wird und ein Open Air so richtig toll würde, ist auch schon Schluss, weil sich zwei oder drei Anlieger beschweren, die kilometerweit entfernt wohnen – das ist sehr Fulda, irgendwie. Also, als Konzertveranstalter kann man sich in dieser angeblich so weltoffenen Stadt doch auch ziemlich alleingelassen vorkommen.

Macht Ihnen der Job trotzdem noch Spaß, nach 25 Jahren?

Ja, vieles macht Spaß, anderes ist zunehmend frustrierend. Was Spaß macht, ist alles, was mit Künstlern und Publikum zu tun hat. Tolle Musik entdecken, sich für Künstler einsetzen, Konzerte veranstalten zu dürfen, die das Publikum glücklich machen – das ist alles so großartig, wie es immer war. Was frustrierend ist, hat immer mit den Geschäftsbedingungen in der Branche zu tun, die sich zunehmend verschlechtern, und mit der Politik, die einem kleinen Unternehmen ständig Knüppel zwischen die Beine wirft und die Arbeit massiv erschwert.

Beneiden Sie einen Konzertveranstalter wie Marek Lieberberg, den Branchenprimus hierzulande, der sich aussuchen kann, welche Konzerte er veranstaltet?

Nein. Nichts gegen Marek Lieberberg, aber 90 Prozent der Künstler, die er veranstaltet, interessieren mich gar nicht. Rock am Ring ist ein großartiges Festival, wenn man auf Mainstream-Rock steht, aber da würde ich nie hingehen. Das ist ein ganz anderer Ansatz als ich ihn habe.

Zu Ihrem Ansatz gehören sehr wenige deutsche Künstler.

Es gibt manche. Zugegeben: wenige.

Warum?

Um ehrlich zu sein: Ich finde den größten Teil der deutschen Popmusik eher langweilig und nicht gut genug, als dass ich diese Bands vertreten möchte. Es gibt aber Ausnahmen: Ich habe mit F.S.K. gearbeitet, ich finde die Jolly Goods toll, ich liebe Jens Friebe, ich hätte die Konzerte von Almut Klotz & Reverend Dabeler organisiert, wenn Almut Klotz nicht gestorben wäre. Die beiden haben ein großartiges neues Album eingespielt. Es gibt also durchaus deutsche Künstler, die ich respektiere, aber letztlich hat mich amerikanische Musik immer mehr interessiert. Ein Schwerpunkt meiner Firma sind Singer/Songwriter, und viele meiner US-Bands kommen aus der Punkszene, während hierzulande eine Schlagerrockband wie die Toten Hosen als „Punk“ durchgeht. Also, das sind schon verschiedene Welten, und mir ist die US-Popkultur um einiges näher.

Wie frei sind Sie in Ihrer Wahl, welche Konzerte Sie veranstalten?

Frei genug, um zufrieden zu sein. Aber es wird schwieriger. Weltweit gibt es nur noch zwei oder drei große Player, die den Konzertmarkt beherrschen. Das führt dazu, dass irgendwelche Indie-Bands, die früher von einer kleinen Klitsche wie meiner langsam aufgebaut worden wären, direkt bei den Großen landen. Wenn es aber nur noch einige, wenige Konzerne gibt, ist die kulturelle Vielfalt in Gefahr. Bei den Plattenfirmen ist dieser Konzentrationsprozess fast abgeschlossen, da gibt es nur noch drei Majors. Auch in der Live-Branche sind wir fast schon so weit. Sehen Sie sich nur mal eine Firma wie CTS Eventim an: Die kontrollieren den Konzertmarkt in Deutschland und nahezu alle großen Festivals. Das ist eine geballte Marktmacht.

Das ist eben Kapitalismus.

Klar, das ist eben Kapitalismus. Aber auch klar ist: Je größer die Konzerne, desto weniger liegt ihnen an der Kultur, desto wichtiger ist ihnen der Profit. Die kleinen Bands, die so einem Konzern keinen Profit einbringen, die aber die Kultur und die Gesellschaft weiterbringen können, finden dann nicht mehr statt. Wäre ich nach den Zahlen gegangen, hätte ich eine Band wie Lambchop niemals nach Deutschland bringen dürfen. Da haben wir mit der ersten Tour, mit der zweiten und auch noch mit der dritten Geld verloren. Doch die Musik war so wunderbar, dass wir dieser Band unbedingt die Treue halten wollten. Die Großkonzerne denken anders: Die klatschen zehn Bands an die Wand. Eine bleibt hängen, die hat gleich Erfolg. Von den fünf, die runterpurzeln, dürfen vier eine zweite Platte machen. Und die restlichen fünf bekommen keine zweite Chance. Die Frage, die sich stellt, ist ganz simpel die zwischen Kommerz und Kultur.

„Wenn ich provokativ bin, liegt das nicht an mir, sondern an der Wirklichkeit, am Zustand der Welt“

Sie wollen aber wahrscheinlich auch Geld verdienen.

Natürlich. Mein Geschäftsmodell ist ganz einfach: Ich kriege einen festgelegten Prozentsatz von der Gage des Künstlers – und wenn es dem Künstler gut geht, geht es mir auch gut. Aber die Grundsatzentscheidung für oder gegen einen Künstler muss eine künstlerische sein.

Wie schaffen Sie das, sich in einem kapitalistischen System die künstlerische Entscheidung vorzubehalten? Gibt es ein richtiges Leben im falschen?

Gute Frage. Die stelle ich mir oft. Ich verdiene eben mit etwa einem Drittel meiner Bands ganz ordentliches Geld, und damit finanziere ich dann die vielen Künstler quer, bei denen ich draufzahle.

Wie retten wir die kulturelle Vielfalt?

Indem wir zuerst die Bereiche absichern, in denen noch so eine kulturelle Vielfalt möglich ist. Bereiche wie die Öffentlich-Rechtlichen, die sich leider auch zunehmend wandeln. Auch da gibt es immer mehr Sender, die zu Abspielstationen für Mainstream-Produkte verkommen und darüber ihren gesetzlich festgeschriebenen Kulturauftrag vernachlässigen.

Kann man diese Aufgabe nur den Öffentlich-Rechtlichen überlassen?

Schlussendlich haben die Künstler die Macht. Wenn die das endlich erkennen, dann können sie auch die Konditionen diktieren und das Geschäft komplett verändern. Manche Künstler machen das ja schon. Bei mir sind das neben anderen Calexico oder Patti Smith, die bestimmen einen Ticketpreis, der ungefähr ein Viertel niedriger ist, als sie auf dem Markt erzielen könnten. Es gibt auch immer mehr Künstler, die ihre Platten selbst finanzieren – und die klugen Labels richten sich darauf ein und werden Dienstleister. Da gibt es viele Möglichkeiten, viele neue Businessmodelle.

In Ihrem neuen Buch „Das Geschäft mit der Musik“ geben Sie allerdings den meisten Modellen, die im Gespräch sind, um künftig mit Musik Geld zu verdienen, keine Chance. Bleibt den Musikern allein das Live-Geschäft?

In erster Linie. Natürlich wird es immer ein Mix aus verschiedenen Verdienstmöglichkeiten bleiben – Musiker sollen auch verdienen, wenn ihre Musik gestreamt oder im Radio gespielt wird. Aber das Live-Geschäft wird im Mittelpunkt stehen, und so war es doch eigentlich schon immer. Seit dem 18. Jahrhundert bis tief ins 20. Jahrhundert haben Musiker nur etwas verdient, wenn sie aufgetreten sind. Was ist dagegen zu sagen, wenn das wieder so wird?

Da brechen für Sie ja goldene Zeiten an.

Nicht wirklich. Ich bewege mich in einer Nische. Und ich bin schon zufrieden, 25 Jahre in dieser Haifischbranche überlebt zu haben.