: Die Ursachen der Niederlage
GRÜNE Rezzo Schlauch, Mitbegründer der baden-württembergischen Grünen, über die Fehler im Wahlkampf und die notwendige Neuorientierung seiner Partei
VON REZZO SCHLAUCH
Es war am Wahlabend schnell klar, dass der desaströse Absturz von einem wochenlang stabilen und realistischen Umfragehoch – von 15 Prozent auf einen harten Kern von 8 Prozent Grünenwählern – zur Messlatte für die Partei und ihre künftige Ausrichtung würde. Mit dem folgerichtigen Rücktritt der grünen Führungsriege ist der Blick auf die Ursachen dieser Niederlage etwas freier geworden.
Die Erkenntnis wächst, auch in der Diskussion innerhalb der Partei, dass da erstens etwas gründlich schief gelaufen ist, und zweitens die Partei es sich selbst zuzuschreiben hat. Die historische Parallele zum Fünf-Mark-Beschluss von 1998 ist greifbar, allerdings mit einem entscheidenden Unterschied: Die Partei, die damals insgesamt noch sehr viel schwächer war als heute, hatte die Kraft, ihren Fehler zu korrigieren.
Lieber das Original
Diesmal hat das zentrale Projekt der flächendeckenden Steuererhöhungen inklusive weiterer Belastungen durch die Reduzierung des Ehegattensplittings, das die Grünen links von der SPD und verwechselbar nah an die Linke positioniert hat, unsere ehemaligen Wähler in Scharen zur SPD und CDU und zu den Nichtwählern zurückgetrieben. Und die Linke sonnt sich als drittstärkste Kraft. So ist das Ergebnis eine alte Erfahrung, die alle anderen Parteien schon auf unterschiedlichen Themenfeldern in Wahlkämpfen gemacht haben: Die Wähler nehmen immer lieber das Original.
Dieses Ergebnis widerlegt nicht die These, dass die Bürger durchaus bereit sind, Belastungen auf sich zu nehmen, um gesellschaftliche und infrastrukturelle Defizite zu verbessern. Dies muss dann aber im Einzelfall begründet werden und mit der beabsichtigten Verbesserung, etwa im Bildungsbereich, auch nachvollziehbar gekoppelt sein, um dafür eine Mehrheit in der Gesellschaft suchen zu können.
Eine flächendeckende Steuererhöhung, die man ideologisch als „Mehr Soziale Gerechtigkeit“ überhöht, wird als unangemessener Griff in die eigene Tasche abgelehnt. Wird dann noch ein Thema wie der fleischfreie Tag (Veggie-Day) demonstrativ ins Wahlkampfschaufenster gestellt, das die Botschaft einer grünen Gängelung aussendet, dann macht man eine Flanke auf, die der Gegner dankbar aufnimmt. Und die den Abwärtsstrudel beschleunigt.
Jetzt wird in Teilen der Partei der Ruf nach „Mehr Kretschmann“ laut. Oder es wird gesagt: Wir müssen den Anschluss an die Mitte der Gesellschaft wiederfinden. Das aber bleibt wohlfeiler Politsprech, solange es nicht nachvollziehbar und belegbar unterfüttert wird. Denn eins müssen sich diejenigen, die das Steuererhöhungsprojekt und die Linksprofilierung nicht wollten, schon vorhalten lassen: Sie haben die nicht erst am letzten Parteitag, sondern lange vorher in Gang gesetzte Neujustierung der Grünen nach links passiv und als Zuschauer von den Rängen mitverfolgt.
Sie haben sich nach den jeweiligen Parteitagen und nach problematischen Beschlüssen damit begnügt, diese kritisch zu kommentieren. Ob es aus Bequemlichkeit, wegen der eigenen Posten und Mandate war oder aus Harmoniebedürftigkeit oder aus anderen Gründen: Sie haben nicht dagegengehalten, sie haben Jürgen Trittin auf dem Parteitag nicht Paroli geboten und haben eben nicht für vernünftige und in der Gesellschaft mehrheitsfähige sozialpolitische Positionen gekämpft.
Sie haben auch nicht dafür gekämpft, dass die Grünen mit ihrer Kernkompetenz in der Energiewende, Ökologie und im nachhaltigen Wirtschaften in den Wahlkampf ziehen, mit der sie in Baden-Württemberg 24,3 Prozent der Stimmen geholt haben. Mit der sie dort den Ministerpräsidenten, den Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Stuttgart sowie der Städte Tübingen und Freiburg stellen. Sie haben die Mitte zwar immer wieder beschworen, aber faktisch haben sie sie preisgegeben.
Hätten die Realos für ihre Positionen auf dem Parteitag gekämpft und dennoch verloren, sie hätten jetzt zumindest für die anstehenden inhaltlichen Auseinandersetzungen einen anderen, einen glaubwürdigeren Ausgangspunkt.
Den Streit suchen
Für die Zukunft heißt das, dass die Realos/Reformer in ihrem Selbstverständnis nicht nur als professionelle und gute Abgeordnete und Minister agieren sollten. Sie müssen sich jetzt zusätzlich der Mühe unterziehen, für die Politik, die sie in ihren Ämtern und Mandaten machen oder durchsetzen wollen, in der Partei ein programmatisches und inhaltliches „Backing“ zu erkämpfen. Die Erfahrung zeigt, dass eine konstruktive innerparteiliche Auseinandersetzung, die mal mit einer Mehrheit der einen, mal der anderen Seite und mal mit einem Kompromiss endet, den Grünen nie geschadet hat. Auch der grüne Linksflügel kann sich jetzt nicht selbstgefällig mit dem Hinweis zurückziehen, das Programm sei ja einstimmig verabschiedet worden. Oder sich gar mit der dümmlichen Frage „Was ist die Mitte?“ einer konstruktiven und nach vorne gerichteten Debatte über eine Neuorientierung verschließen. Es sei denn, sie wollen sich bewusst wieder in einem 8-Prozent-Rahmen bewegen und sich wie in ihren früheren Zeiten als Oppositionspartei definieren.
Die Linksgrünen haben doch nach den erfolgreichen Wahlen in Baden-Württemberg, NRW, Schleswig-Holstein und Niedersachsen selbst stolz verkündet: Wir sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Und dass man von diesen Wahlen lernen solle (Claudia Roth). Wenn das ernst gemeint ist, dann müssen wir am Ende doch „Mehr Kretschmann“ oder auch „Mehr Kuhn“ oder „Mehr Baden-Württemberg“ wagen.
Das ist aber nicht regional oder personal gemeint, sondern inhaltlich. Es meint, sich als Grüne auf die Kern- und Vorreiterthemen Energiewende, Landwirtschaft, Ökologie, Familienpolitik, liberale Bürgerrechte und Bildungspolitik zu konzentrieren. Und darauf, dass es bei all dem auch gerecht zugehen muss, um mit diesen Kernthemen für Vertrauen bei den Bürgern zu werben. Dies ist in Baden-Württemberg und in ähnlichem Stil auch in NRW, in Schleswig-Holstein und in Niedersachsen erfolgreich gelungen. Dieses Vertrauen konnten wir teilweise bis tief in die mittelständische Wirtschaft und das sogenannte bürgerliche Lager gewinnen und damit Teile davon den Konservativen streitig gemacht. Daraus resultierten unsere Stimmenzuwächse.
Das ist ein anderer politischer Stil und das ist eine andere politische Kultur als par ordre du mufti und etatistisch von oben herab, mit einem besserwisserischen Unterton und erhobenem Zeigefinger den Leuten erzählen zu wollen, wo es langgeht. Wenn der baden-württembergische Ministerpräsident Kretschmann Mitglied eines Schützen- oder Fasnetsverein ist, dann ist das nicht, wie in Berlin immer wieder unter Grünen getuschelt wird, Ausweis von Spießertum. Es ist ein Beleg dafür, dass er nahe bei den Leuten ist und deren Vertrauen hat.
Wir waren als Grüne schon mal weiter, wie die benannten Wahlerfolge in den Ländern belegen. Das ist jetzt durch den negativen Einschlag der Bundestagswahl verblasst. Wir müssen es neu beleben. Wer beispielsweise in den Unternehmen unterwegs ist, hat sicher erfahren, dass viele Akteure in Sachen Energiewende, Energieeffizienz, Materialeffizienz, kurz: in den grünen Technologien, sowohl was ihre Produkte als auch was ihre Produktionsverfahren angeht, schon viel weiter sind als CDU, FDP und ihre Verbandslobbyisten. Wir haben dort Verbündete. Wir haben sie allerdings im vergangenen Wahlkampf verloren. Und jetzt müssen wir sie erst mal wieder zurückgewinnen. Verbindungen, die man brüsk gekappt hat, sind nur schwer wieder herzustellen. Dass die Wähler das so empfinden, hat das Wahlergebnis gezeigt. Aber wenn die Grünen ihren positiven Erfahrungsschatz mobilisieren, kann es erneut gelingen.
■ Rezzo Schlauch war Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag und Staatssekretär zu Zeiten der rot-grünen Bundesregierung. Er hat die Partei in Baden-Württemberg mitgegründet