: Urteil löst Strafrechtsdebatte aus
Nach dem Urteil im Prozess um den „Ehrenmord“ an Hatun Sürücü mehren sich die Rufe nach schärferen Gesetzen. Innensenator Körting fordert unterdessen die Familie auf, das Land zu verlassen
Von Uwe Rada
Nach dem Urteil im so genannten Ehrenmord-Prozess an der Deutsch-Türkin Hatun Sürücü hat Innensenator Ehrhart Körting (SPD) ungewöhnlich deutliche Worte gefunden. „Wenn sie wirklich Ehre im Leib hätten, dann sollten sie die Konsequenz ziehen und die Bundesrepublik Deutschland verlassen“, sagte Körting an die Adresse der Familie Sürücü. Die Familie sei „offensichtlich mit ihren Wertvorstellungen in der Bundesrepublik Deutschland mit den meisten Familienmitgliedern noch nicht angekommen“.
Kurz davor hatte das Landgericht am Donnerstag den jüngsten Bruder des Opfers, den 20-jährigen Ayhan Sürücü, zu einer Jugendstrafe von neun Jahren und drei Monaten verurteilt. Die beiden mit angeklagten Brüder Alpasan und Mutlu wurden aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft hat gegen das Urteil inzwischen Revision eingelegt.
Mit seiner Forderung, die Familie Sürücü müsse Deutschland verlassen, steht Körting nicht allein. Auch der CDU-Spitzenkandidat Friedbert Pflüger sagte, wer sich so weit von den freiheitlichen Werten Deutschlands entfernt habe, wolle sich ganz offensichtlich nicht integrieren. Pflüger verlangte, den Verurteilten Ayhan Sürücü nach der Verbüßung seiner Haftstraße in die Türkei abzuschieben. Berlins CDU-Fraktionschef Nicolas Zimmer und der CDU-Rechtsexperte Andreas Gram forderten zudem, das Alter für die Anwendung des Erwachsenenstrafrechts von 21 auf 18 Jahre herabzusetzen.
Dem widersprach der migrationspolitische Sprecher der Linkspartei, Giyasettin Sayan. Zwar zeige der Freispruch der beiden mit angeklagten Brüder die Grenzen juristischer Möglichkeiten auf. Eine Verschärfung des Strafrechts für junge Täter sei aber keine Lösung. „Statt hilflos gegen Symptome anzugehen, müssen die Ursachen bekämpft werden.“ Hier nahm Sayan wie viele andere Vertreter der kurdischen und türkischen Community die Migrantenverbände in die Pflicht.
Eine positive Bilanz zog dabei Eren Ünsal, die Vorsitzende des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg. Sie würdigte die seit der Tat geführte gesellschaftliche Debatte. Entgegen früheren Befürchtungen habe diese zu einem „sehr produktiven Sensibilisierungs- und Aufklärungsprozess“ geführt. Demgegenüber hatte der grüne Europaabgeordnete Cem Özdemir erklärt, er sei skeptisch, ob das Urteil der Tat und dem Tathergang gerecht werde. Wenn man vergleichbare Fälle aus der Türkei kenne, wisse man, dass solche „Todesurteile“ gewöhnlich durch den Familienrat gefällt würden.
Unterdessen will die CDU im Bundestag schärfer gegen Zwangsehen vorgehen. Fraktionsvize Wolfgang Bosbach plädierte dafür, Zwangsehen als „besonders schweren Fall der Nötigung“ zu betrachten und die Täter entsprechend zu bestrafen. Das Strafmaß könnte demnach Haftstrafen bis zu fünf Jahren betragen. Der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz mahnte, „nicht in Aktionismus zu verfallen“. Er wolle aber prüfen, „ob ein Straftatbestand geeignet ist, voranzukommen“.
inland SEITE 5