: Halber Mut zur Ironie
Kapitalismuskritik mit Knuddelbauch und Wohlfühlfaktor: In der Regie von Rafael Sanchez wurde „Augusta“, Richard Dressers Komödie aus dem Putzkolonnenleben, in der Schaubühne uraufgeführt
VON CHRISTINE WAHL
Nirgends ist das soziale Elend so hübsch anzusehen wie in der Schaubühne. Beim Festival osteuropäischer Dramatik rollten die Geschichten von Zwangsprostitution, Messerstechereien und Arbeitslosigkeit unlängst in einem liebevoll nachgestellten „Orient Express“ mit charmanter Kunstbusenzugbegleiterin und herzigem Keksteller vorbei. Sehr wohl fühlt man sich jetzt auch wieder in der Kapitalismuskritik-Komödie „Augusta“: Die Bühnenbildner Magda Willi und Jan Pappelbaum haben einen Laufsteg gebaut, auf dem allerlei Unterhaltsames vorüber defiliert, und es gibt viel zu lachen.
Zum Beispiel über die Karaokeeinlage der Putzpraktikantin Claire. Oder über den halbseidenen Chef mit reichem Neurosenrepertoire, der in jeder Szene mit neuem verunglücktem Outfit aufwartet. Bruno Cathomas ist großartig als antiheldische Führungskraft der untersten Charge, die ihre Klemmigkeit mit einem beneidenswerten Hang zum Größenwahn verbindet.
Richard Dressers US-amerikanisches Unterschichtenstück guckt sich, mit anderen Worten, richtig gut weg. Wie öffentlich-rechtliche Sozialkritik zur Prime Time. Nicht direkt blöd, aber auch nicht so, dass sie den besser verdienenden Zuschauer nachher um seinen Nachtschlaf bringt. Besser Verdienender ist hier – Praktikantenrepublik hin oder her – wahrscheinlich jeder im Parkett. Auf der Bühne trägt die Putzpraktikantin ihrerseits weniger als den Mindestlohn nach Hause. Und ihre Kollegin Molly könnte, wenn sie nicht gerade zur Teamleiterin befördert worden wäre, ihre Miete nicht mehr bezahlen und stünde mitsamt ihrem Rollstuhlgatten auf der Straße.
Schnell haben wir verstanden: Ganze drei Angestellte und eine Putzkonzernfiliale, die nur eine Kundin hat, symbolisieren die kapitalistische Struktur im Kleinstformat – Konkurrenzkampf auf niedrigster Ebene. Mit zugehörigem Bilderbuchpersonal: In Steffi Kühnerts Molly haben wir die ältliche Unterschichtlerin mit Mutterwitz, nach außen immer ein bisschen mürrisch, aber innen mit einem echt fairen Kumpelinnenkern. Die Praktikantin bedient die Schiene „jugendlich-sexy“, was sich bei Daniela Holtz vor allem in fröhlichem Bewegungsdrang niederschlägt: Man sieht sie gern tanzend am schweren Leben sich erfreuen und dabei ihren knuddeligen Bauch entblößen.
Natürlich gefällt der fröhliche Knuddelbauch auch dem Neurosenchef Jimmy, also macht er Claire kurzerhand zur neuen Teamleiterin und lockt sie unter Vorspiegelung falscher Tatsachen – nämlich angeblicher Einstiegskontakte ins Management – zum Putzkonzern-Jahresmeeting nach Augusta. Und weil die gemeine Prime-Time-Heldin ungeachtet der Tatsache, dass das sabbernde Patriarchat ihr schon beim Einstellungsgespräch auf den Hintern klatscht, gern an den Chef mit dem Herzen auf dem rechten Fleck glaubt, gibt es in Augusta ein böses Erwachen: Jimmy hat für Claire zwar einen Platz in seinem Hotelbett, aber leider keinen auf der Tagung gebucht.
Dabei hatte auch Claire zuvor ein bisschen unfair gekämpft gegen Molly. Sie verriet Jimmy, dass Molly wegen eines Rückenleidens keine Böden putzen kann. Es sei ihr versehentlich „rausgerutscht“, sagt sie. Kann sein, kann auch nicht sein – Dresser lässt das offen. Und aus dieser Ambivalenz, die das Dilemma des Konkurrenzdrucks tatsächlich mal auf den Punkt bringt, ließe sich wirklich was machen – wenn Regisseur Rafael Sanchez Doppelbödigkeit nicht mit inszenatorischer Unentschiedenheit verwechseln würde.
So aber ist der Gestus seiner Uraufführung einfach: halbironisch. Ganz schön schlimm, kommt unterm Strich heraus, ist es ja schon, wenn man so wenig Geld verdient, dass man aus der Wohnung fliegt. Aber irgendwie lustig ist das Putzfrauenleben auch. Wie schreibt doch Mrs. Townsend, deren Anwesen Claire und Molly wienern, aus den komplexen Anstrengungen ihres Upperclass-Daseins heraus ins Tagebuch: „Heute habe ich von meinem Fenster aus die zwei Mädchen beobachtet … Und ich habe mich dabei ertappt, dass ich sie um ihr einfaches, unkompliziertes Leben beneide. Sie lachten, hatten ihre ehrliche Arbeit getan, und vor ihnen erstreckte sich der perfekte Sommertag so voller Verheißung.“
Immerhin, so viel Sozialromantik ist selbst der Prime-Time-Molly zu viel: Mrs. Townsend muss dafür teuer bezahlen; nämlich mit ihrem Tafelsilber. Mit dem Besteckkasten nimmt Molly – Verschwisterung statt Konkurrenz – das Leben der Arbeiterinnenklasse endlich selbst in die beherzten Putzlappenhände. Am Ende sind sie und Claire gute Freundinnen geworden; Jimmy wird versetzt, und der alte, faire Chef Tommy – gleichzeitig Mollys Geliebter – kehrt zurück. Super Emanzipation, Mädels! Bloß gut, dass der globalisierte Raubtierkapitalismus ab und an einen lieben Tommy vorbeischickt! Natürlich halbironisch, versteht sich.