: Eine Burka-Fahrt mit Spätfolgen
FRANKREICH Eine Französin, die bestraft wurde, weil sie mit Schleier Auto fuhr, übt öffentlich Kritik. Mit recht unangenehmen Konsequenzen für ihren vierfachen Ehemann
AUS PARIS RUDOLF BALMER
Ein Ordnungsbußgeld für eine verschleierte Automobilistin hat unerwartete Folgen. Eine 31-jährige Französin, die Anfang April in Nantes wegen ihres Niqabs am Steuer bei einer Routinekontrolle von der Polizei angehalten und zur Strafe 22 Euro Bußgeld zahlen musste, protestierte auf einer Pressekonferenz gegen diese ihrer Ansicht nach willkürliche und diskriminierende Interpretation der Straßenverkehrsgesetze. Damit brachte sie unvorhergesehen einen Stein ins Rollen. Denn das Innenministerium ging dem Fall nach. Beim Gatten der Verkehrssünderin soll es sich um einen besonders strenggläubigen Algerier handeln, der 1999 eingebürgert wurde. Nun will das Ministerium aber auch in Erfahrung gebracht haben, dass der Betreffende mit vier Frauen in Polygamie lebt, die mit ihm insgesamt zwölf Kinder haben sollen. Alle vier „Gattinnen“ trügen einen Niqab in der Öffentlichkeit, und alle vier beziehen angeblich die für alleinerziehende Mütter vorgesehene Sozialbeihilfe.
Innenminister Brice Hortefeux ersucht darum die zuständigen Lokalbehörden, Untersuchungen wegen Polygamie und wegen Betrugs und Erschleichen von Sozialleistungen einzuleiten, und fragt seine Regierungskollegen, ob in diesem Fall nicht sogar die Einbürgerung des Ehemanns von 1999 für ungültig erklärt werden könne, wie dies das französische Gesetz etwa bei Verbrechen oder Vergehen, die die fundamentalen Interessen Frankreichs berühren, vorsieht. Die wenigen Präzedenzfälle, in denen nach einer Verurteilung zusätzlich die Staatsbürgerschaft entzogen wurde, standen in direktem Kontext mit Terrorismusbekämpfung. Immigrationsminister Eric Besson bestätigte, er werde mit der Justizministerin prüfen, ob in diesem Fall nach einer gerichtlichen Verurteilung der Entzug der Staatsbürgerschaft wegen Polygamie und Sozialhilfebetrugs infrage komme.
Damit verschärft sich die Debatte über ein Burka-Verbot, das die Regierung im Eilverfahren durchsetzen will, in dramatischer Weise. Eine Abgeordnete der Regierungspartei UMP fordert jetzt eine landesweite Bestandsaufnahme zur Bekämpfung der in Frankreich seit 1993 gesetzlich verbotenen Polygamie und in dem Zusammenhang auch Ermittlungen über den eventuellen missbräuchlichen Bezug von Sozialgeldern. So wird ein Klima des pauschalen Verdachts genährt. Für den Sozialisten Fayçal Douhane, Mitglied der PS-Parteiführung, geht diese „Stigmatisierung“ entschieden zu weit: „Die Muslime haben es satt, Woche für Woche bei solchen Polemiken als Punchingball zu dienen. Man kann nicht so tun, als ob sich die Probleme der Gesellschaft auf einen Fetzen Tuch (den Schleier) reduzieren ließen.“
Die linke Opposition war in der Frage eines Verbots der integralen Verschleierung in der Öffentlichkeit geteilter Meinung, jetzt aber wird nach Ansicht der sozialistischen Parteichefin Martine Aubry offensichtlich, dass diese Debatte ein Ablenkungsmanöver der Regierung sei.