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Archiv-Artikel

Ritte mit tödlichem Risiko

PFERDESPORT Zum Saisonabschluss diskutieren die Vielseitigkeitsreiter eine Unfallserie. Sind vier tote Pferde nur eine zufällige Häufung oder hat der Sport ein Strukturproblem?

In den 90er Jahren stand das Vielseitigkeitsreiten nach Unfällen vor dem Rauswurf aus dem Olympia-Programm

VON HEIKE HOLDINGHAUSEN

Am Wochenende geht’s wieder raus ins Gelände. Die deutschen Vielseitigkeitsreiter treffen sich in Bad Segeberg zu ihrem letzten großen Turnier in diesem Jahr; die Veranstalter rechnen mit rund 190 Reitern und Pferden, die in den Disziplinen Dressur, Springen und Geländeritt gegeneinander antreten. Sie beenden eine Saison, in der ihr Sport fast monatlich grässliche Schlagzeilen verursachte.

Vier Pferde starben in großen Prüfungen. Im Mai erlitt der 17-jährige King Artus, 2012 in London noch Mannschafts-Olympiasieger, in Wiesbaden einen Abriss der Aorta und brach tot unter seinem Reiter Dirk Schrade zusammen. Im Juni musste die Stute P’tite Bombe in Luhmühlen nach einem Sturz eingeschläfert werden. Einen Monat später starb Likoto unter seiner Reiterin Merle Wewers in Rastede ebenfalls an einem Aorta-Abriss. Schließlich stürzte der elfjährige Wallach Herr Poitzmann in Langenhagen-Twenge nach einem Sprung, erlitt eine Querschnittslähmung und wurde eingeschläfert. Sein Reiter Bernd Backhaus blieb unverletzt.

„Der Tod springt mit“, titelte die Tierschutzorganisation Peta daraufhin eine Pressemitteilung, in der sie ein Ende des Vielseitigkeitsreitens fordert: „Im rasanten Tempo und unter Zeitdruck sind unnatürlich hohe Hindernisse zu überwinden“, schreibt Peta. Und das Reitsportmagazin St. Georg fragte: „Was ist mit unserem Sport los?“ Das fragen sich auch einige der Vielseitigkeitsreiter – die in der Regel sehr viel Zeit in ihre Pferde investieren. Um gemeinsam einen Geländeritt zu bestehen, ist ein Vertrauensverhältnis nötig, das durch jahrelanges gemeinsames Training aufgebaut wird. Zwar sind die Anforderungen in der Dressur und im Springen niedriger als bei den „Spezialisten“, die sich nur um eine Disziplin kümmern. Aber der Galopp durchs Gelände mit Sprüngen über mächtige Baumstämme, in Wassergräben hinein oder Abhänge hinunter hat es in sich. Vielleicht müssten die Anforderungen an die Qualifikation von Pferd und Reiter erhöht werden, um nur wirklich erfahrene Paare zu schweren Prüfungen zuzulassen, überlegen Aktive.

Auch seien die Hindernisse in den deutschen Geländestrecken technisch sehr anspruchsvoll und erforderten von den Pferden eine hohe Konzentration, die sie gegen Ende der Geländestrecke oft nicht mehr aufbringen könnten. „Vielleicht sollte man das etwas einfacher halten“, sagt ein Reiter. Allerdings berichten Teilnehmer, die Strecke in Langenhagen-Twenge sei zwar schwierig, aber nicht zu schwierig gewesen, und sowohl Herr Poitzmann als auch sein Reiter Backhaus waren sehr erfahren.

Die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) ist alarmiert. Ihr Sicherheitsbeauftragter Friedrich Otto-Erley verweist auf eine Expertengruppe aus den Bereichen Ausbildung, Parcours- und Hindernisbau, Tiermedizin, Medizin, die diskutiert, welche Konsequenzen aus der Unfallserie zu ziehen seien. „Bei der FN nimmt man das sehr ernst“, sagt FN-Pressereferentin Uta Helkenberg. Kein Wunder, in den 90er Jahren stand Vielseitigkeitsreiten nach zahlreichen Unfällen mit verletzten oder toten Pferden und Reitern schon mal kurz vor dem Rauswurf aus dem Programm der Olympischen Spiele, Sponsoren zogen ihr Geld ab.

Die Reitsportverbände reagierten und änderten die Regeln. Hatten sich Vielseitigkeitsprüfungen zuvor über drei Tage gezogen, wurden sie nun auf zwei gekürzt und dafür die Anforderungen gesenkt, etwa die Rennstrecke aus der Geländeprüfung gestrichen. Sie hatte besonders zur Erschöpfung der Pferde und damit zu Unfällen beigetragen. Die Hindernisse selbst wurden entschärft: Heute sind in die früher festen Hindernisse, wie zum Beispiele dicke Baumstämme, häufig Sollbruchstellen, sogenannte Sicherheitspins, eingebaut. Bleibt ein Pferd hängen, überschlägt es sich nicht so leicht, eher kracht das Hindernis ein. Zudem führt die Internationale Reiterliche Vereinigung eine Datenbank mit den Starts aller Reiter und Pferde in Turnieren höherer Schwierigkeitsklassen. Wer mehr als zweimal hintereinander oder dreimal innerhalb von zwölf Monaten ausscheidet, darf nur noch an einfacheren Prüfungen teilnehmen.

Ergebnis waren weniger Unfälle. Laut der Statistik des Weltreiterverbandes sank die Zahl gestürzter Pferde von 2004 bis 2010 stetig. Seitdem steigt sie allerdings wieder an. „Es ist schwer zu sagen, woran das liegt“, sagt Andreas Franzky, Vizevorsitzender der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz. Früher habe es Hindernisse gegeben, an denen reihenweise Starter gescheitert seien, das sehe man so heute nicht mehr. „Wir müssen uns das ganz genau ansehen: Ist es nur eine unglückliche Verkettung von Unfällen, oder haben wir ein Strukturproblem?“ Zum Beispiel könne die zunehmende Zahl von Turnieren ein Problem darstellen, weil den Pferden zwischen den Prüfungen nicht genügend Zeit zur Regeneration bleibe.

Der von Franzky erhofften Debatte mangelt es allerdings an statistischer Grundlage: Für Deutschland gibt es eine Statistik wie die des Weltreiterverbandes nämlich nicht. Die Versicherungen wissen zwar ziemlich gut über Unfälle der Reiter Bescheid. Nach Auskunft der Arag Sportversicherung, die fast alle Vereinssportler in Deutschland versichert, betreffen rund zwei Prozent der rund 500.000 Sportunfälle jährlich Reiter; damit passierten in diesem Sport relativ gesehen wenige Unfälle, sagt David Schulz, der die Auswertungsstelle für Sportunfälle der Arag leitet, „aber wenn etwas passiert, dann oft folgenschwerer als in anderen Sportarten. Unverhältnismäßig viele schwere Verletzungen wie Brüche seien zu verzeichnen, so Schulz. Eine entsprechende Statistik über Verletzungen bei Pferden aber gibt es nicht, weil nur wenige Pferde überhaupt versichert sind. Vor allem im Bereich der nichtorganisierten Freizeitreiter sei die Datenerhebung schwierig, sagt Helkenberg.

Florian Buchner, Professor an der Veterinärmedizinischen Universität Wien, hat auch keine Statistik. Aber er beobachtet, dass die meisten der rund 20 Brüche, die im Jahr in der Klinik behandelt werden, „auf der Weide oder in der Box passiert sind, und nicht beim Reiten“. Würden etwa Pferde, die sich nicht kennen, gemeinsam auf die Weide gelassen oder Pferde in einen neuen Stall einziehen: „Dann wird es gefährlich“, sagt Buchner. Er rät Pferdehaltern, ihre Tiere langsam an neue Situationen oder eine neue Herde zu gewöhnen. Aber auch für Vielseitigkeitsreiter hat er einen Rat: „Die besonderen Leistungsanforderungen müssen entsprechend dem Trainingsstand abgerufen werden.“

Andreas Franzky pflichtet dem bei: Hat das Pferd einen klaren Blick? Ist es laufbereit? Hat es genug gefressen und getrunken? Ist es fit? „Das sind Fragen, die sich ein Reiter vor einem Start in einer Prüfung stellen muss“, sagt der Tierarzt. Letztlich sei fast immer der Reiter dafür verantwortlich, dass das Pferd heil nach Hause komme.