Damenopfer

Bring sie zur Strecke: Die Passion der Frauen als letzte Rettung wird wieder mit viel Kunstfertigkeit zelebriert in den neuen Stücken von Botho Strauss

VON DOROTHEA MARCUS

Was findet der Kaiser von Rom eigentlich so toll an der Gotin Tamora, diesem besiegten Hausmütterchen mit 50-Jahre Hochsteckfrisur, dass er sie sofort zur Frau nimmt? Es kann nur das Tatoo sein, das sich lasziv auf ihrem unbedeckten Rücken schlängelt. So sieht eine Swingerclub-Fantasie vermutlich aus: der stets zum sexuellen Exzess bereite Körper unter dem Hausfrauengewand.

Im Schauspielhaus Bochum in Elmar Goerdens Inszenierung von Botho Strauß’ „Schändung« ist die so ausgreifend tätowierte Tamora (Ulli Maier) aber immerhin noch eine Handelnde: die aktive Rächerin ihres von Titus Andronicus hingemetzelten Sohnes, indem sie die Vergewaltigung seiner Tochter Lavinia veranlasst. „Schändung“ wurde unter großen Skandalrufen bereits in Paris und am Berliner Ensemble aufgeführt. Im bestinszenierten Fall könnte es wohl eine Reflexion darüber werden, wie sich die Darstellung von Gewalt in einer saturierten Wohlstandsgesellschaft pervers verkehrt und zu einer Art geilen Katharsis wird für das friedvolle, ereignislose Leben. Ein Theatertopos, der fast schon zum Allgemeinplatz geworden ist und nicht vollständig erklärt, welche innere Motivation den berühmtesten aller Gegenwartstheaterautoren dazu trieb, unbedingt eine Modernisierung von Shakespeares merkwürdig entglittenem Gewaltstück „Titus Andronicus“ zu schreiben. Zumal Heiner Müller in „Anatomie Titus. Fall of Rome“ die bestialischen Konsequenzen einer wertentleerten Moderne gültig und sprachlich grandios verknappt auf den Punkt gebracht hat.

Einige Änderungen hat Strauß allerdings vorgenommen und die Aufmerksamkeit eindeutig auf das Schicksal von Titus Tochter Lavinia (in Bochum ist Louisa Stroux zu Beginn ganz rosa Appetitlichkeit, später ein nervig wimmerndes Etwas) gelegt, der von Tamoras perversen Söhnen nicht nur Arme und Zunge abgeschnitten werden. Ihr Vater, den Bruno Ganz, der sich von seiner Hitler-Darstellung kaum mehr befreien kann, egomanisch clownesk anlegt, hält die Verstümmelte in seinen Armen und beklagt mehr die Schmach, keine vollwertige Kaiserstochter mehr zu haben, als dass er Trauergefühle empfindet. Lavinias Entmündigung ist damit noch lange nicht am Ende, die Fantasie schlägt sadomasochistische Volten: der eine Vergewaltiger meint, sich in sein Opfer verliebt zu haben. Lavinia soll ihrem Peiniger nun also dankbar sein für die Aufmerksamkeit, die er dem bitteren Rest ihres Frauseins noch widmet. Strauss hat sie der Verstümmelung zum Trotz – man kann sich so etwas nur als Mann ausdenken – mit einem unverwüstlichen Sexualtrieb ausgestattet: Allen Ernstes ist sie bereit, den Zerstörer ihres Lebens zur Triebbefriedigung in ihr Bett zu lassen.

Barmherziges Verzeihen oder masochistische Selbstaufgabe? Ihr Pech, dass es noch schlimmer kommt und sich ihr potenzieller Gespiele vor ihrem zungenlosen Mund schließlich doch so ekelt, dass er nicht mehr kann – nochmals Pech, dass er, während sie Lustkraut besorgt, bereits vorsorglich vom Vater ermordet wurde, der die Kaiserwürde herstellt, indem er Lavinia auch noch den letzten, ohnehin ziemlich mies erkauften Liebhaber vermasselt.

Gründlicher wurde wohl noch nie eine Frauenfigur im Theater gedemütigt. Auch in seinem vorigen, letzten Oktober in Zürich von Matthias Hartmann uraufgeführten, eigenartig verquasten Drama „Nach der Liebe beginnt ihre Geschichte“ war das Leid einer Frau Voraussetzung, um die Spirale von Gewalt und Krieg zu durchbrechen, auch wenn es sich hier nur um eine simple Ehe handelte. Die Frau „Kiro“ begab sich dort aus der langjährigen Ehe- in eine Eifersuchtshölle, auf einen weiblichen Schmerzenspfad, während sich ihr Mann ungerührt mit einer jugendlichen „Undula“ amüsieren durfte. Während sie alterte, gefoltert und gequält wurde, Rivalinnen oder Exfreundinnen verstümmelte und Köpfe wie Wassermelonen zertrat, ermüdete der Ehemann nur ein wenig: letztlich folgt er der kurzberockten Muse Undula nur deshalb nicht auf der Leiter in einen imaginären Liebeshimmel, weil er sich dann doch zu alt fühlt.

Kaum zu glauben, dass so etwas noch ernsthaft darstellbar ist: dass Liebe gelingen kann, wenn der Mann sich ausgetobt, eine Frau nur genug gelitten hat und passend zurechtgestutzt wurde. Was treibt einen Autor dazu, die Grausamkeit an Frauen in den Mittelpunkt seiner letzten Stücke zu stellen, die Leidenswege seiner weiblichen Hauptfiguren so hingebungsvoll nachzuzeichnen – und diese irgendwie versteckt lüstern wirkende Feier des Opfertums dabei noch nicht einmal zu reflektieren? Fast hat man das Gefühl, dass die Selbstauslöschung der Gesellschaft in dem Alterswerk des Autors auf dem Rücken der Frauen ausgetragen wird und die unmögliche Liebesutopie nur gelingen kann, wenn die Frauen so richtig schön zur Strecke gebracht werden.