: Das Verbrechen der illegalen Einwanderung
ITALIEN Wer Leben rettet, muss mit einer Anklage rechnen. Im besten Fall riskiert er seine Lebensgrundlage für ein paar Tage
ROM taz | Jetzt liegen die Fischkutter erst einmal im Hafen. Sie waren im Einsatz, in den frühen Morgenstunden des Donnerstag, um die Ertrinkenden vor Lampedusa zu retten. Die Fernsehbilder zeigen einen Kinderschuh auf Deck, verstreute Kleidungsstücke und andere Habseligkeiten derer, die dem Tod knapp entronnen sind.
Die Fischer waren Retter, sie werden von den Medien als Helden gefeiert – doch hinausfahren dürfen sie erst einmal nicht. Ihre Schiffe sind von der Staatsanwaltschaft als Beweismittel sichergestellt. Schließlich geschah in der Katastrophennacht nach italienischem Recht ein Verbrechen: das Verbrechen der illegalen Einwanderung.
Das rigide italienische Einwanderungsgesetz, verabschiedet vor zehn Jahren unter der Regierung Berlusconi, sieht die Verfolgung jedes Immigranten vor, der „irregulär“ auf das nationale Territorium kommt. Und wer immer ihm hilft, macht sich der Schleuserei oder wenigstens der Beihilfe zur illegalen Einwanderung schuldig, riskiert Gefängnis und die Beschlagnahmung seines Schiffs. Übrigens ist die Rechtslage in Deutschland ganz ähnlich: So wurden Taxifahrer verurteilt, die aus Osteuropa stammende Passagiere über die polnische Grenze gefahren hatten.
Den Fischern von Lampedusa droht diesmal keine Verfolgung. Allzu offensichtlich ist, dass sie der Pflicht zur Hilfeleistung in Seenot gehorcht haben. Doch das italienische Recht schafft oft genug ein Dilemma: Ein Fischer riskiert, sich entweder unterlassener Hilfeleistung oder aber der Beihilfe zur illegalen Einwanderung schuldig zu machen. So wurden im Jahr 2009 sieben tunesische Fischer erst nach einem zweijährigen Verfahren freigesprochen. Vorher hatten sie diverse Monate in Untersuchungshaft gesessen, außerdem waren ihre Kutter beschlagnahmt worden. Ihre Schuld: Sie hatten Dutzende Schiffbrüchige aus Seenot gerettet.
Auch jetzt hieß es in den Aussagen mehrerer Geretteter, in der Nacht des Unglücks seien zwei Kutter an ihnen vorbeigefahren, hätten auf die Sirene des Flüchtlingsschiffs nicht reagiert. Wegschauen ist oft die Lösung. Denn auch wenn kein Prozess droht, gehen Retter dennoch das Risiko ein, dass ihr Schiff über Tage, wenn nicht Wochen an die Kette kommt – als Beweismittel eben. MICHAEL BRAUN