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Sieg des Berlusconismus

Italien ist ein gespaltenes Land – und das schon lange. Silvio Berlusconi hat das nicht verursacht, aber genutzt. Sein Abgang als Premier wird die politische Krise nicht lösen

Berlusconi steht für die „staatskritischen“ Werte, die bei der Hälfte der Italiener so beliebt sind

„Das Land ist gespalten.“ Dieser knappe Satz ist momentan so ziemlich die einzige Wahrheit, auf die sich die beiden politischen Lager Italiens einigen können. Gespalten fürwahr: Nicht einmal die Frage, wer denn nun die Wahlen vom 9./10. April gewonnen hat, findet eine gemeinsame Antwort.

Italiens Rechte hat eine bizarre Kampagne losgetreten, um das denkbar knappe Ergebnis infrage zu stellen. Selbst die Bekanntgabe des endgültigen Endergebnisses durch den Kassationsgerichtshof brachte Ministerpräsident Silvio Berlusconi nicht zur Besinnung. „Wir kämpfen weiter“ – weiter gegen das offizielle Wahlresultat – gab er als Durchhalteparole aus.

Doch auch wenn die Rechte – nur „hypothetisch“ – Romano Prodi den Wahlsieg zuerkennt, dann auch nur, um dem Sieger den Sieg gleich wieder abzusprechen: Wenn überhaupt, dann habe Prodi die Wahlen lediglich „arithmetisch“ gewonnen, „nicht aber politisch“, verkündet Nochaußenminister Gianfranco Fini von der Alleanza Nazionale. Und Forza-Italia-Sprecher Sandro Bondi erklärt denn auch gleich den „arithmetisch“ geschlagenen Silvio Berlusconi zum „moralischen Sieger“ des Wahlgangs.

Italien bleibt ein Sonderfall unter den westeuropäischen Demokratien. Das zeigen schon diese Akrobatik, die kommentarlos im Fernsehen gemeldet wird – als „Meinung“ der Wahlverlierer, die ihre Niederlage einfach leugnen, während Prodi ebenfalls bloß „meint“, er habe die Wahl gewonnen.

Anderswo sind „arithmetische“ eben auch „politische“ Wahlsiege, anderswo käme niemand darauf, ein Land bloß wegen der Knappheit eines Sieges für „unregierbar“ zu erklären – siehe Schröders Dreistimmenvorsprung im Bundestag 2002. Anderswo müsste es sich der Wahlsieger nicht gefallen lassen, dass der Verlierer ihn zum „Extremisten“ erklärt, bloß weil er mit seiner knappen Mehrheit regieren und den Geschlagenen in die Opposition verbannen will.

Aber Italien ist eben tatsächlich ein geteiltes Land, geteilt nicht bloß zwischen zwei Wählerschaften, sondern auch zwischen zwei Öffentlichkeiten mit ihren je eigenen Wahrheiten, mit ihren je eigenen Interpretationen der geschriebenen genauso wie der ungeschriebenen Regeln der Demokratie. „Zwei Italien“ stehen sich ebenso unversöhnlich wie einer gemeinsamen Sprache unfähig gegenüber.

Das mag man Berlusconi anlasten – so wie es die Linke tut. Im Wahlkampf war ihr unablässig wiederholter Standardvorwurf, der Populist spalte Italien. Wahr ist eher das Gegenteil: Die im Ausland so unverständlichen Erfolge Berlusconis sind bloß möglich, weil Italien schon lange ein tief gespaltenes Land ist. Anderswo wären ihm seine offen als politische Waffe eingesetzte Medienmaschine, seine Skandale, seine Prozesse, seine Großsprecherei zum Verhängnis geworden – in Italien aber schaut seit nunmehr zwölf Jahren die eine Hälfte der Wählerschaft einfach weg.

Oder schaut sie nicht vielmehr hin? Dass große Teile der Wählerschaft mit den „von allen geteilten Werten“ der Demokratie und des Gemeinwesens wenig anzufangen wussten, hatten schon amerikanische Politologen herausgefunden, die in den Fünfzigerjahren Italien sezierten. Die US-Forscher interessierten sich für das Land, weil es eine starke KP hatte, weil es ihnen als „fragile Demokratie“ galt, ganz wie Weimar. Umso größer war ihre Überraschung, als sie die „civic culture“, die staatsbürgerliche Kultur, in Italien untersuchten. Bürgersinn zeigten vor allem die „systemfeindlichen“ KPI-Wähler. Sie waren an einem funktionierenden Staat interessiert, der seinen Bürgern Dienstleistungen zur Verfügung stellt und dafür auch Steuern eintreibt.

Die „staatstragenden“ Wähler der regierenden Christdemokraten dagegen konnten mit „dem Staat“ nichts anfangen. Ihnen war wichtiger, dass sie in Ruhe ihre Steuern hinterziehen konnten – und dass der von ihnen gewählte örtliche Politiker alle Probleme nicht durch ordentliches Regieren, sondern durch Klientelgefälligkeiten löste.

„Amoralischen Familiarismus“ nannten die verdutzten US-Wissenschaftler die dahinter stehende Einstellung. Eine Einstellung, die allen populistischen Angeboten mehr als offen gegenübersteht. Eine Einstellung auch, die vom christdemokratischen Klientelwesen über Jahre politisch bedient, zugleich aber eingehegt wurde. Die Christlichen waren überzeugte Demokraten, die ihre rechte Wählerschaft politisch „in die Mitte führten“ und, allen extremistischen Experimenten abhold, konsequent den Kompromiss auch mit der kommunistischen Opposition suchten, über den ideologischen Graben des Kalten-Kriegs-Konflikts hinweg.

Heute ist dieser ideologische Konflikt ebenso verschwunden wie die unter den Korruptionsskandalen Anfang der Neunziger zusammengebrochene Christdemokratie. Geblieben aber ist der Graben in der italienischen Gesellschaft. Ihn musste Berlusconi nicht erst schaffen. Vielmehr musste er sich nur, seit 1994 immer wieder, als Idol, als Inkarnation jener „staatskritischen“ Werte präsentieren, die bei der Hälfte der Italiener so beliebt sind. Berlusconis zahlreiche Fauxpas zeigen am besten, das er seine Wählerschaft perfekt verstanden hat. Das Pfeifen auf „Regeln“, das unbekümmerte Kokettieren mit Steuerhinterziehung, Bilanzfälschung und allerlei andren lässlichen Sünden – all das ist kein Makel, sondern eine Tugend.

Bürgersinn zeigten schon nach 1945 vor allem die „systemfeindlichen“ Wähler der Kommunisten

In diesem Punkt auch unterscheidet sich Berlusconi radikal von seinen politischen Vorgängern, den Christdemokraten. Er denkt gar nicht daran, die populistischen Affekte seiner Wählerschaft einzuhegen. Stattdessen heizt er sie an, so wie im letzten Wahlkampf oder in der folgenden Auseinandersetzung über das Wahlergebnis. Anders als die Christdemokraten hat Berlusconi kein Interesse an „gemeinsamen Werten“, an „gemeinsamen Wahrheiten“ – und sei es bloß über den Ausgang der Wahl.

Der Erfolg, ganz knapp vorbei am „arithmetischen“ und ziemlich nah am „moralischen Sieg“, gibt ihm Recht. Für die Linke, die ein „normales Land“ herbeisehnt, mit einer ganz normalen, gemäßigten Rechten, wurde erneut deutlich, dass diese Normalität mit Berlusconi nicht zu haben ist. Bleibt die Hoffnung auf die Zeit nach Berlusconi. Kaum verhüllt wünscht sich Italiens Linke die früher so gern geschmähte Christdemokratie wieder herbei.

Nur: Dieser Wunsch ist naiv. Die christdemokratische Zentrumsunion, die einzige Partei im Berlusconi-Lager, die für ein solches Projekt in Frage käme, konnte ihre Stimmen zwar verdoppeln. Das macht aber immer noch bloß 6 Prozent. Die anderen 44 Prozent stimmten für Parteien, die außerhalb der italienischen Verfassungs- und Kompromisstradition stehen: für Forza Italia, für die postfaschistische Alleanza Nazionale, für die rechtspopulistisch-rassistische Lega Nord. Auch nach dem Abgang ihres Idols werden diese 44 Prozent bleiben – als solide Basis für einen „Berlusconismus“ ohne Berlusconi. MICHAEL BRAUN

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