: Wechsel in Zeitlupe
In der neuen italienischen Regierung unter Romano Prodi stehen die ersten Personaldiskussionen an, während Silvio Berlusconi „weiter kämpfen“ will
AUS ROM MICHAEL BRAUN
Seit Mittwochabend ist es amtlich: Romano Prodi ist der Wahlsieger, trotz aller vom noch amtierenden Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi in Umlauf gebrachten Wahlbetrugsgerüchte. Das vom Kassationsgericht bekannt gegebene Endergebnis sieht Prodis „Union“ bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus zwar nur mit 24.755 Stimmen vorn; das reicht angesichts des im Wahlrecht vorgesehenen Mehrheitsbonus aber für einen satten Vorsprung bei den Sitzen: Die Mitte-links-Koalition kommt auf 348 der 630 Mandate.
Damit ist der Weg für die Regierungsbildung durch Prodi endgültig frei, auch wenn Berlusconi („wir kämpfen weiter“) es immer noch nicht wahrhaben will. Enge Mitarbeiter des Geschlagenen reden unbeirrt vom „gestohlenen Sieg“, der allein durch „Betrug und Unregelmäßigkeiten“ zustande gekommen sei. Und Berlusconis Forza Italia ebenso wie die Lega Nord erklären rundheraus, es bestehe bei ihnen keine Bereitschaft, das Wahlergebnis anzuerkennen.
Doch Berlusconi muss mit Absetzbewegungen in seiner Koalition leben: Die christdemokratische UDC gratulierte Prodi zum Wahlsieg, und die postfaschistische Alleanza Nazionale fand sich wenigstens zu der dürren Erklärung bereit, sie nehme das Wahlergebnis „zur Kenntnis“. Der geschlagene Premier dagegen zeigt sich wild entschlossen, mit seiner Propaganda vom Wahlbetrug weiter zu machen, auch wenn er eine keine Aussichten auf juristische Erfolge hat. Denn alle weiteren Einsprüche gehen jetzt an die Wahlprüfungsausschüsse der beiden Parlamentskammern, und dort hat Prodis Koalition die Mehrheit. Eine Mehrheit allerdings, die sich im Senat auf nur zwei Stimmen beläuft, und angesichts der von Berlusconi angekündigten Totalopposition muss der designierte Regierungschef darauf achten, die Reihen geschlossen und alle Partner bei Laune zu halten. Keine leichte Übung: Schon die Besetzung der Präsidentenposten in den beiden Kammern sorgt für Unruhe. Für den Senat gilt Franco Marini von der Mitte-Partei Margherita als unbestrittener Favorit, beim Abgeordnetenhaus aber gibt es gleich zwei Bewerber. Fausto Bertinotti, Chef der Rifondazione Comunista, hat seinen Anspruch ebenso angemeldet wie die Linksdemokraten, die ihr Schwergewicht Massimo D'Alema auf diesem Posten sehen wollen. Prodi kann es sich weder leisten, die Kommunisten zu verprellen – Bertinotti hatte Prodi mit dem Entzug des Vertrauens 1998 gestürzt –, noch seinen stärksten Koalitionspartner, die Linksdemokraten.
So ist denn auch Prodis heimliche Hoffnung, dass D'Alema Mitte Mai zum Staatspräsidenten gewählt wird. Um die Koalition beisammen zu halten, setzt der Professore zudem auf die Einbindung aller Parteichefs ins Kabinett. Es gilt als ausgemacht, dass Piero Fassino, Vorsitzender der Linksdemokraten, und Francesco Rutelli, Chef der Margherita, als Vizepremiers in die Regierung eintreten. Im Schatzministerium dagegen, der für den Erfolg der Regierung entscheidenden Schaltstelle der Wirtschaftspolitik, soll ein allseits anerkannter „Techniker“ zum Zuge kommen: Tommaso Padoa Schioppa, bis letztes Jahr Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank.
Die Kabinettsliste könnte schon binnen weniger Tage stehen – doch zur Regierungsbildung kommt es voraussichtlich erst in der zweiten Maihälfte. Denn bisher hat der scheidende Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi sich wenig geneigt gezeigt, den Auftrag zur Regierungsbildung noch vor Ablauf seiner Amtszeit am 13. Mai zu erteilen.
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