: Mehr Wertschätzung
Viele Unternehmen schöpfen das Potenzial ihrer Mitarbeiter nicht genügend aus. Ökonomen appellieren, wieder den positiven Wert des eigenen Humankapitals zu erkennen und zu fördern
VON OLIVER VOSS
Als „Humankapital“ zum Unwort des Jahres 2004 gewählt wurde, gab es bei Ökonomen einen Aufschrei der Entrüstung. „Kapital ist ein wertvoller Besitz, den man gerne hat“, sagte beispielsweise Wolfgang Franz von der Uni Mannheim. In der Wirtschaftstheorie stellt Humankapital zwar einen positiv besetzten Begriff dar, angesichts der jüngsten Entlassungswellen zeigt sich jedoch, dass Mitarbeiter in der Praxis vor allem als Kostenfaktor betrachtet werden.
„Humankapital bezeichnet eigentlich, was in den Köpfen und Herzen der Menschen steckt“, sagt der Münchener Sozialpsychologe Dieter Frey. „Das ist kein Kostenfaktor, sondern ein unglaubliches Potenzial.“ Frey ist einer der Begründer des Human-Capital-Club, der dafür eintritt, Unternehmer an ihrem Beitrag zur Steigerung des Humankapitals zu beurteilen. Dazu unterstützen sie auch Bemühungen, den Wert dieses Faktors messbar zu machen. „Es gibt schon akrobatische Rechnungen, wo mit verblüffenden Formeln der Beitrag eines Mitarbeiters am Unternehmensgewinn ermittelt wird“, sagt Christian Scholz, Professor für Betriebswirtschaftslehre und Personalmanagement an der Universität Saarbrücken. Allerdings bekomme man dabei je nach Beratungsfirma völlig andere Werte. Zudem hängen die Berechnungen bei vielen Ansätzen vom Wert des Unternehmens ab. Dieser schwankt jedoch mit dem Aktienkurs und wenn eine Firma Verluste macht, könne der Wert auch negativ sein.
Solchen Kosten-Nutzen-Rechnungen stellt Scholz die so genannte Saarbrücker Formel entgegen. „Dabei geht es um einen Potenzialwert“, sagt Scholz, „also darum, was geschaffen werden könnte.“ Wichtige Komponenten in diesem Modell sind Motivation, Aktualität des Wissens und Beteiligung der Mitarbeiter. Es gehe nicht darum, zu ermitteln, wo man einsparen oder entlassen kann, sondern rauszubekommen, wie sich das Humankapital steigern lässt. „Damit bekommen die Firmen ein monetäres Gefühl für die Belegschaft“, sagt Scholz.
Durch solch ein Modell lassen sich auch Bumerangeffekte von Personalkürzungen zeigen. „Man kann zwar durch Entlassungen erst einmal Kosten einsparen“, erklärt Scholz, „doch durch die Verunsicherung beim Rest der Belegschaft wird weiteres Humankapital vernichtet“. Deswegen sollten Unternehmen ihre Mitarbeiter bei Veränderungsprozessen stärker einbinden. „Wenn eine Firma weiß, dass sie wegen Modernisierungsmaßnahmen in zwei oder drei Jahren Mitarbeiter entlassen muss, sollte dies offen kommuniziert werden“, sagt der Unternehmensberater Heinrich Keßler. „Man sollte die Mitarbeiter langfristig darauf einstellen und bei der Suche eines anderen Jobs begleiten, dass ist oft billiger, als Abfindungen zu zahlen oder Prozesse vor dem Arbeitsgericht zu führen.“ Außerdem ließen sich so oft gemeinsam Alternativen finden. Dieter Frey sieht in der regelmäßigen Kommunikation mit den Mitarbeitern zudem eine der wichtigsten Möglichkeiten, um die Produktivität und Innovationsfähigkeit einer Firma zu verbessern. „Die Leute sehen viel eher Schwachstellen und haben oft Verbesserungsvorschläge“, sagt der Dozent an der bayerischen Eliteakademie.
„Uns mangelt es nicht an Ideen, sondern sie werden zu wenig aufgenommen und umgesetzt“, kritisiert Frey. Viele Erfindungen würden nicht umgesetzt, da im Management das Technikverständnis fehle. „Dadurch wird ein riesiges Kreativpotenzial nicht ausgeschöpft und Humankapital verschleudert“, sagt Frey. Er fordert daher mehr Freiräume und flachere Hierarchien, da die Unternehmen so eher merken, was ihre Käufer wünschen.
Viele Manager denken jedoch zu kurzfristig und kümmern sich deswegen zu wenig um Qualifikationsmaßnahmen, Wissensmanagement und Mitarbeiterzufriedenheit. „Investition in das Humankapital lohnen sich aber auch ökonomisch“, sagt Dieter Frey. Das versucht auch Christian Scholz in seinem Buch „Human Capital Management“ aufzuzeigen. Immerhin spürt er einen Trend zum Umdenken. „In den letzten zwei, drei Jahren hat sich in dem Bereich sehr viel entwickelt“, sagt Scholz. Viele DAX-Unternehmen greifen auf die neuen Methoden zurück. Im Ingenieursbereich sind gute Leute rar, und auch in anderen Branchen steht in der Zukunft ein Fachkräftemangel bevor. Beim Wettbewerb um die besten Köpfe werden neben der Bezahlung psychologische Faktoren und das Unternehmensklima eine immer wichtigere Rolle spielen. Auch daher lohnt es sich, wieder den positiven Wert des Humankapitals in den Mittelpunkt zu rücken.