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Archiv-Artikel

Trend zum selbstbestimmten Leben

WOHNEN IM ALTER Im Hamburger Stadtteil Ottensen haben Senioren ein Geschäftsgebäude besetzt, um zu zeigen, dass die altersgerechte Wohngemeinschaft in der Konkurrenz auf dem Wohnungsmarkt zu kurz kommt

„Wir wollen der sozialen Vereinsamung entgegenwirken“

Regula Bott, Sprecherin der Initiative „Altersstarrsinn“

VON SEBASTIAN BRONST

Hamburg altert. Das geht auch an dem ohnehin äußerst angespannten Immobilienmarkt der Stadt nicht spurlos vorbei. Die Nachfrage nach altersgerechten Wohnungen und Wohnformen steigt – und die Anforderungen an die Immobilien sind so vielfältig wie die Vorstellungen und Lebensmodelle der Interessenten. Angesichts der Konkurrenz durch jüngere Berufstätige, kinderreiche Familien, Singles und auf Eigentumswohnungsprojekte spekulierende Investoren sorgt das auch für Konflikte.

Regula Bott kann davon ein Lied singen. Sie ist Sprecherin der Gruppe „Altersstarrsinn/Wohnkollektiv 50 plus“ und mit ihren 21 Mitstreitern auf der Suche nach einem geeigneten Haus in zentraler Lage, um ihre Idee von einer Alters-Lebensgemeinschaft von Freunden und Gleichgesinnten unter einem Dach zu verwirklichen.

Für die im Schnitt 60-Jährigen, darunter vor allem Alleinstehende, aber auch einige Paare, ist das die Wunsch-Wohnform für den nächsten Lebensabschnitt. „Wir wollen der sozialen Vereinsamung entgegenwirken“, sagt Bott. Schon 2008 fand sich die Gruppe zusammen. Eine altersgerechte Immobilie mit der gewünschten Anzahl von Wohnungen samt Gemeinschaftsräumen zum Feiern, Kochen und Klönen, fand sich zumindest bisher nicht.

Für Bott ist das nicht zuletzt eine Folge einer bisher zu starken Konzentration von Politik und Wohnungsmarkt auf andere Zielgruppen und Wohnmodelle. Die Konkurrenz sei sehr groß, sagt sie. Nun ist es nicht so, dass die Stadt das Thema altersgerechtes Wohnen nicht erkannt hat. Aber der Fokus ihrer Bemühungen, so empfindet es zumindest die Initiative, liegt noch zu sehr auf der Idee des generationenübergreifenden Wohnens, also des Zusammenlebens von Jüngeren und Älteren, und der Förderung von entsprechenden Eigentums- und Neubauprojekten etwa durch private Baugemeinschaften.

„Reine Alten-WGs wie wir sind dagegen bislang noch nicht so richtig im Blickfeld“, sagt die Sprecherin der „Altersstarrsinn“-Initiative. Das gelte bislang etwa auch für Baugenossenschaften, an die sich ihre Gruppe bei ihrer jahrelangen Suche ebenfalls schon gewandt hatte. Hier allerdings sieht Bott durchaus schon Ansätze für ein Umdenken. „Die öffnen sich auch.“

In der Tat geht der Trend unter Senioren zunehmend zu einem selbstbestimmten Leben, ganz nach den eigenen Regeln und Vorstellungen. Die Zeiten, in denen sie bei ihren Kindern unterkamen und dort bis ins hohe Alter versorgt wurden, sind vorbei. Längst nicht jeder hat heute außerdem einen Ehemann oder Partner, mit dem er allein den Lebensabend verbringt. Lebensmodelle und Familienentwürfe ändern sich. Und ins Altenheim will kaum jemand freiwillig, so lange es nicht sein muss.

Auch die Idee des „Jung und Alt unter einem Dach“ hat viele Anhänger. Zahlreiche private Baugemeinschaften haben in Hamburg entsprechende Projekte verwirklicht, oft finanziell gefördert von der Stadt. In derartigen Wohnprojekten leben Senioren, Berufstätige und Familien mit Kindern Tür an Tür. Das ermöglicht neue private Netzwerke, von denen alle Seiten profitieren: Senioren finden Anschluss und „Ersatz-Enkel“, Nachbarn können bei Bedarf schnell nach dem Rechten sehen, und Eltern gewinnen im Gegenzug mehr Freiraum durch flexible Formen der Kinderbetreuung in der Nachbarschaft.

Hamburg gilt bei der Förderung solcher Projekte sogar als Vorreiter. „Hamburg wird vielfach auch als Hochburg der Baugemeinschaften betitelt“, sagt Elke Rochow vom Verein „Wohngemeinschaft Jung und Alt“ (WGJA), der schon seit mehr als 30 Jahren Interessierte bei der Verwirklichung von Immobilienprojekten mit generationsübergreifendem Fokus berät. Zahlreiche Vorhaben sind mit Hilfe des Vereins in privater Trägerschaft entstanden, etwa eine große Hausgemeinschaft unterschiedlicher Gruppen mit mehr als 200 Bewohnern an der Max-Brauer-Allee oder ein Wohnprojekt in Flottbek mit 26 öffentlich geförderten Mietwohnungen.

Wie eng die Bewohner dabei zusammenleben, hängt von der jeweiligen Zusammensetzung ab. „Das unterscheidet sich von Gruppe zu Gruppe“, sagt Rochow. Das Haus in Flottbek etwa sei für seinen Zusammenhalt bekannt. Die Bewohner dort hätten sich unter anderem schon ein Gemeinschaftshaus auf dem Grundstück gebaut.

Die Zahl der Interessenten wächst. Aber Aufbau einer Gemeinschaft, die eine Immobilie gemeinsam baut und bewohnt, dauert. Die Interessenten müssen sich kennenlernen und zusammenpassen. Die Planungs- und Bauphase dauere etwa fünf Jahre, sagt Rochow. Und generationenübergreifende Wohnprojekte konkurrieren mit anderen Baugemeinschaftsmodellen um den von der Stadt dafür bevorzugt bereitgestellten Grund. Wer sich bewirbt, muss sich heute mit ausgefeilten Konzepten bewerben und durchsetzen. „Das war früher einfacher. Jetzt ist es sehr bürokratisch geworden“, bemängelt Rochow.