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Archiv-Artikel

Die Eizelle aus Spanien

FAMILIEN In Deutschland ist in der Reproduktionsmedizin einiges verboten, was in anderen Ländern Europas längst legal praktiziert wird. Deshalb muss eine Frau für ihr Kind weit reisen. Und ein Arzt steht vor Gericht

Das gespendete Kind

■ Die Technik: Eine Frau kann künstlich befruchtet werden, wenn sie auf natürlichem Weg nach über einem Jahr nicht schwanger wird. Mit Hormonen wird ihre Eizellreifung stimuliert. Die Befruchtung findet dann im Labor statt, wo ihren Eizellen Spermien zugeführt werden. Nach der Befruchtung werden im Regelfall zwei, in Ausnahmen drei Embryonen in die Gebärmutter eingesetzt. Bei der Eizellspende verfährt man genauso – nur mit der Eizelle einer anderen Frau und dem Unterschied, dass sowohl die Spenderin als auch die Empfängerin hormonell behandelt werden.

■ Das Gesetz: Während sie in Deutschland unter Strafe steht, ist die Eizellspende in vielen anderen Ländern erlaubt: Die USA und Großbritannien lassen sie zu, genauso wie Frankreich, Belgien, Spanien, Tschechien, die Niederlande oder Dänemark. Schätzungen zufolge reisen mindestens 1.000 Frauen pro Jahr ins Ausland, um sich auf diese Weise ihren Kinderwunsch zu erfüllen.

VON HEIKE HAARHOFF UND GILDA SAHEBI

Als Anna Sievers die Diagnose gehört hat, sitzt sie im Auto und weint. Es dauert lange, bis sie ruhig genug ist, um loszufahren.

Ihr Arzt hat sie zu einem Hormon-Spezialisten geschickt, weil sie Hitzewallungen hatte, nachts schwitzte, ihr Haare ausfielen. Der Spezialist hatte Dinge gesagt, die sie nicht verstand. Sie hatte in seiner holzverkleideten Praxis auf den Parkettboden gestarrt.

Climacterium praecox. Frühzeitige Wechseljahre. „Das heißt“, hatte der Spezialist gesagt, „dass Sie Ihre Gene sicherlich nicht weitergeben werden.“ Anna Sievers ist da 29. Alles, was sie irgendwann begreift, ist: Sie kann keine Kinder bekommen.

Climacterium praecox. Bei Frauen, die davon betroffen sind, beginnen die Wechseljahre zu früh. Die gravierendste Folge: Die Eizellen reifen nicht mehr. Etwa ein Prozent aller Frauen leidet unter der Hormonstörung.

Abstruse Gedanken gehen Anna Sievers durch den Kopf. War sie nach dem Atomunfall von Tschernobyl zu lange im Freien? War ihre Mutter während der Schwangerschaft unglücklich?

Was wird ihr Freund sagen? Mit ihr wird er keine Kinder haben können.

Lange schafft sie es nicht, mit anderen darüber zu sprechen. Ihren Eltern erzählt sie erst drei Jahre nach der Diagnose davon. „Ich musste erst so weit sein, darüber reden zu können. Die ersten Jahre hätte ich nur sofort losgeheult“, sagt Anna Sievers, die anders heißt. Sie will das nur im Schutz der Anonymität erzählen.

Eine Psychologin hilft ihr, ihre Ängste zu überwinden. Dann überlegt sie mit ihrem Freund, wie es weitergehen soll. Sie wollen ja ein Kind.

Sie sieht acht Ärzte. Radiologen, Gynäkologen, Endokrinologen, Humangenetiker. Alle sagen dasselbe. Es gebe nur eine Möglichkeit: eine Eizellspende.

Das Problem: Die ist illegal.

Fehlen funktionsfähige Spermien, können sich Paare Spermien spenden lassen. Fehlen funktionsfähige Eizellen, ist das verboten – in Deutschland.

Im Parlament: Die Angst vor einer Ethik-Debatte

Es gibt nicht wenige Frauen, die keine Kinder bekommen können. Aber es gibt noch immer ein Gesetz, das ihnen diverse Möglichkeiten dazu verbaut. Es stammt aus dem Jahr 1990, und es soll Embryonen schützen.

Staatsanwälte ermitteln deshalb gegen Ärzte. Konkurrierende Mediziner schwärzen einander an. Ausländische Kliniken werben aggressiv um deutsche Patientinnen. Frauen wie Anna Sievers fühlen sich wie Untergrundkämpferinnen. Und hinter allem steht die Frage: Wie weit darf man gehen für ein Kind?

Die Frage wird im deutschen Parlament bisher kaum diskutiert. Vielleicht, weil die Furcht groß ist vor einer langwierigen Ethik-Debatte, ob und wie der Staat Grenzen ziehen will. Oder: muss. Wann darf, wann muss ein Staat sich in das Leben einer Frau einmischen, die ein Kind will und dafür bereit ist, Grauzonen im System zu suchen oder sich in andere Länder aufzumachen, wo liberalere Gesetze gelten?

Es gibt kein Recht auf ein eigenes Kind, sicher. Aber kann es Unrecht sein, sich den eigenen Kinderwunsch nicht ausreden lassen zu wollen?

17. April 2012. Sie erschienen um 8 Uhr morgens, zeitgleich. Vor seiner Villa im Berliner Stadtteil Dahlem. Vor seiner Zweitwohnung im sächsischen Hoyerswerda. Vor seiner letzten Frauenarztpraxis in Berlin-Pankow und auch vor seiner vorletzten in Berlin-Wilmersdorf, ein gutes Dutzend Beamtinnen und Beamten der Landeskriminalämter Berlin und Sachsen. Der Vorwurf im Durchsuchungsbeschluss: „Beihilfe zu missbräuchlicher Anwendung von Fortpflanzungstechniken“.

Manfred M. selbst fanden sie in der Frauenklinik im brandenburgischen Hoyerswerda, Oberarzt ist er dort seit 2010. Er kam mit, schloss den Beamten Wohnungs- und Kellertüren auf, widersprach der Sicherstellung wegen des Patientinnenschutzes. Vergeblich. Als sie gegen Mittag gingen, hatten sie an den vier Orten beschlagnahmt: 113 Patientinnenakten, iPad, Macbook, elf Ordner mit Bankunterlagen, Praxisverträgen, Honorarnoten.

Und einen Briefumschlag mit Kopien über seine „Ausbildungstätigkeit“ als Reproduktionsmediziner bei dem österreichischen Fortpflanzungsmediziner Professor Herbert Zech aus Bregenz, einem der größten seiner Branche in Europa, sieben Blatt stark.

Es sind auch diese Unterlagen, auf die die Staatsanwaltschaft sich stützt, wenn im Oktober vor dem Amtsgericht Berlin-Tiergarten der Strafprozess gegen Manfred M. wegen Beihilfe zum Verstoß gegen das Embryonenschutzgesetz beginnt: Mindestens 26 Frauen aus Deutschland soll M. als „Zuweiser“ zwischen Juli 2007 und Dezember 2009 geholfen haben, mit Kinderwunschkliniken im Ausland in Kontakt zu treten.

Das wirft ihm die Staatsanwaltschaft vor. Die Kliniken nämlich, gelegen in Österreich und Tschechien etwa, die meisten im Besitz oder kooperierend mit Professor Zech, M.s ehemaligem Chef, böten auch solche Fortpflanzungstechniken an, die nach deutschem Gesetz unzulässig seien. Beispielsweise die Befruchtung von mehr als drei Eizellen pro Zyklus. Beispielsweise die Selektion von Embryonen.

Die Kosten: 600 bis 1.000 Euro für eine Eizelle

In den Ländern sind diese Methoden legal, in Tschechien ist, wie in Spanien, sogar die Eizellspende erlaubt. Manfred M. hat nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft selbst nichts von alledem getan. Er hat vermittelt.

M. habe Patientinnen zunächst an das Kinderwunsch-Informationszentrum Deutschland KID Prof. Zech GmbH in München verwiesen. Hätten die Frauen sich nach einer Informationsveranstaltung des Zentrums für eine Behandlung im Ausland entschieden, seien die Beratung und Untersuchungen vor der eigentlichen Therapie, Ultraschall und Hormonstimulation zum Beispiel, in Deutschland bei sogenannten Kooperationsärzten erfolgt. Einer von ihnen: Manfred M.

Für die Kooperation sollen Honorare von rund 160 Euro für das Erstgespräch und zwischen 200 und 500 Euro für die Zuweisung geflossen sein. Was laut Wettbewerbsrecht illegal wäre. Die Vermittlung zu den ausländischen Kliniken wiederum sei gesteuert worden über das Münchner Zentrum, Zechs Standbein, um auch auf dem deutschen Markt der Fortpflanzungsmedizin Fuß zu fassen.

Wenn es um den Schutz des frühesten menschlichen Lebens geht, sind die Debatten in Deutschland selten maßvoll. Der Streit um die Präimplantationsdiagnostik wurde 2010 und 2011 geführt wie ein moderner Glaubenskrieg, damals stand mit Matthias Bloechle ein Berliner Frauenarzt sogar vor dem Bundesgerichtshof. Er hatte sich angezeigt, nachdem er die Gendiagnostik bei einem im Reagenzglas gezeugten Embryo tatsächlich selbst durchgeführt hatte.

Jetzt muss sich zum ersten Mal ein Arzt wegen des Embryonenschutzgesetzes verantworten – obwohl er bei den inkriminierten Techniken gar nicht Hand angelegt hat.

Es gibt Tage, an denen ist Anna Sievers sicher, dass eine Eizellspende der richtige Weg für sie und ihren Freund ist. An anderen Tagen denkt sie das nicht.

Sie suchen übers Internet. Auf den Seiten der meisten spanischen und tschechischen Kliniken stehen alle Informationen auf Deutsch. Sievers und ihr Freund vergleichen Preise, Erfahrungsberichte. Sie heiraten.

Dann erfährt Anna Sievers von einer Informationsveranstaltung zur Eizellspende, bei der auch ein spanischer Arzt sein soll. Das Gespräch mit ihm überzeugt sie: Sievers entscheidet sich. Auf keinen Fall will sie in eine Klinik, in der die Spenderinnen nicht richtig aufgeklärt und nicht angemessen entschädigt werden. In der Klinik des spanischen Arztes erhalten sie für jede Spende 600 bis 1.000 Euro.

Die Wirtschaftskrise hat in Spanien dazu geführt, dass viele Frauen spenden. Sie dürfen das nicht unbegrenzt. Ohne landesweites Spendenregister lässt sich das nur nicht überprüfen.

Weshalb viele Frauen ihre Eizellen immer wieder verkaufen. Und das ist gefährlich: Die Eizellspende ist nicht so unkompliziert wie die Samenspende. Die Spenderinnen müssen sich erst einer hormonellen Behandlung unterziehen, damit genug Eizellen reifen. Dann werden ihnen die Eizellen unter Narkose entnommen. Wird dieser Eingriff zu oft vorgenommen, kann die „Eizellreserve“ der Spenderin versiegen. Sie könnte vergrößerte Eierstöcke und chronische Schmerzen bekommen.

Der Medizintourismus ist eine der wenigen Branchen in Spanien, die wächst. Auch wegen des deutschen Verbots.

Das deutsche Embryonenschutzgesetz soll die „gespaltene Mutterschaft“ verhindern: Die genetische und biologische Mutter muss in Deutschland dieselbe Person sein. Eine Spaltung könne sich negativ auf die seelische Entwicklung des Kindes auswirken.

Aber gibt es bei der Samenspende nicht auch zwei Väter?

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte urteilte 2010: Solange die Samenspende legal sei, verstoße ein Verbot der Eizellspende gegen das Diskriminierungsverbot der Europäischen Menschenrechtskonvention. Geändert hat sich in Deutschland dennoch nichts.

Berlin-Dahlem, ein Nachmittag im Spätsommer 2013, Manfred M., 52 Jahre, sitzt im Wintergarten. Er trägt Jeans und T-Shirt und sieht entspannt aus für einen, dem eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe droht. Er sagt: „Ich habe nichts Verbotenes getan.“

Einstellung des Verfahrens gegen 42.000 Euro, das ist der Deal, den die Staatsanwaltschaft ihm angeboten hat, 42.000 Euro, 210 Tagessätze à 200 Euro, und die Sache wäre vom Tisch. Kein Gerichtsverfahren, keine Öffentlichkeit, keine Schlagzeilen. Allein: Vorbestraft wäre er trotzdem. Ab 90 Tagessätzen ist man das in Deutschland automatisch. M. schüttelt den Kopf. Soll die Sache doch vor Gericht, sollen doch alle erfahren, sagt er, wie das System der Fortpflanzungsmedizin in Deutschland funktioniert, mit seiner Verlogenheit: „Ich habe diesen Frauen geholfen.“

Diesen Frauen. Gekommen seien sie erst in seine Privatpraxis, sagt M., wenn die Großen unter den deutschen Reproduktionsmedizinern nicht weiterwussten. M. hat das alles erlebt; seine Frau war Ende 30, als sie sich entschied, ein Kind zu bekommen – mit ihm, dem Facharzt für Frauenheilkunde. Und dann klappte – nichts.

Die Ärzte: Sollen aufklären, aber nicht über alles

Ab 37 Jahren nimmt die weibliche Fruchtbarkeit sehr stark ab. Um das 40. Lebensjahr liegt die Wahrscheinlichkeit, schwanger zu werden, bei 20 Prozent – die künstliche Befruchtung vorausgesetzt, und nur, wenn man deren Möglichkeiten ausreizt.

Manfred M. und seine Frau wenden sich auf Empfehlung eines Kollegen an Herbert Zech aus Bregenz. Zech, der, wie Reproduktionsmediziner sagen, über ein Imperium eigener und kooperierender Kliniken herrsche, das von Österreich über Tschechien, die Schweiz und Italien bis nach Nigeria reiche. Die Gesetze liberaler, die Erfahrungen reicher, die Erfolgsraten höher.

In Bregenz wird M.s Frau schwanger – und Herbert Zech wird zum Freund der Familie, Manfred M. heuert für etwa zwei Jahre an. Der Gynäkologe aus Deutschland lernt hier moderne Reproduktionsmedizin, wie sie in weiten Teilen der Welt üblich ist. Durch moderate Hormonstimulation, erfährt er, kann es gelingen, in einem Zyklus – statt der natürlichen einen Zelle – etwa zehn Eizellen heranreifen zu lassen. Von diesen sind in der Regel sieben befruchtungsfähig, egal, wie alt die Frau ist.

Doch längst nicht alle Eizellen, die befruchtet werden können, schaffen es, in den nächsten zwei bis fünf Tagen zu einem entwicklungsfähigen Embryo heranzureifen, der der Frau zurückgegeben werden kann; die meisten sterben vorher. Bei einer 25-jährigen Frau würden statistisch gesehen aus der Hälfte aller befruchteten sieben Eizellen entwicklungsfähige Embryonen werden; bei einer 35-jährigen Frau zwei von sieben, bei einer 40-jährigen ein bis zwei.

Dank des Interpretationsspielraums, den das Embryonenschutzgesetz lässt, wird diese Erkenntnis inzwischen auch hierzulande von liberalen Reproduktionsmedizinern genutzt – für den „deutschen Mittelweg“. Der erkennt zwar an, dass laut Gesetz nicht mehr Eizellen befruchtet werden dürfen, als einer Frau innerhalb eines Zyklus übertragen werden sollen. Gleichzeitig aber heißt es an anderer Stelle im Gesetz, dass die Entwicklungsfähigkeit als entscheidendes Kriterium gilt bei der Definition eines Embryos. „Wenn Sie also bei einer 40-Jährigen sieben Eizellen befruchten, aber am Ende nur zwei Embryonen einsetzen, dann heißt das eben genau nicht, dass Sie die übrigen fünf Embryonen töten, was ja rechtlich verboten wäre“, sagt Manfred M. „Sondern diese fünf haben sich erst gar nicht weiterentwickelt.“

Die Algorithmen sind präzise, nach denen Reproduktionsmediziner auch in Deutschland berechnen können, wie viele Eizellen sie befruchten müssen, um einerseits eine bestmögliche Chance auf Schwangerschaft zu erzielen und andererseits möglichst keine überzähligen Embryonen zu produzieren. Einige Landesärztekammern und namhafte Juristen akzeptieren diese Rechtsauffassung mittlerweile.

Bei der Eizellenspende allerdings lässt sich das Verbot nicht so leicht weginterpretieren.

Die Klinik, für die sich Anna Sievers und ihr Mann entscheiden, schickt ihnen einen Vertrag. Sievers gibt ihre Haarfarbe an, Haarstruktur, Größe, Gewicht, Hauttyp. Die Kliniken wollen, dass Spenderin und Empfängerin äußerlich zueinander passen.

Nachdem sie eine Vorauszahlung nach Spanien überwiesen haben, erhält Sievers einen Medikamentenplan. Auch die Empfängerin muss mit Hormonen behandelt werden, damit die Schleimhaut der Gebärmutter aufgebaut wird und die befruchtete Eizelle später eingesetzt werden kann.

Die Konsequenz: Menschenzucht nach Maß?

Die Medikamente verschreibt ihr der Frauenarzt. Ihn hat Anna Sievers eingeweiht. Nach Spanien muss sie regelmäßig Ultraschall-Bilder ihrer Gebärmutter schicken, sodass die spanischen Ärzte entscheiden können, wann sie bereit sein wird. Ein deutscher Arzt erzählt ihr, dass er in der Woche fünf Patientinnen habe, die durch eine Eizellspende schwanger geworden sind.

Rechtlich ist das, was diese Ärzte tun, Beihilfe zum Verstoß gegen das Embryonenschutzgesetz. Sie stecken in einem Dilemma: Sie sind verpflichtet, ihre Patientinnen zu beraten. Und sie müssen Angst haben, dass die Staatsanwaltschaft vor der Tür steht, wenn sie Frauen über die Eizellspende aufklären.

Im demokratischen Rechtsstaat gibt es vor allem eine Instanz, die Fragen von solch existenzieller Bedeutung für die Grundrechte entscheiden kann: das Parlament. Doch der Bundestag scheut die Gesetzesreform. Aus Furcht, auch historisch begründet, vor dem drohenden Dammbruch, vor der Menschenzucht nach Maß, der, das Gesetz einmal gelockert, kein Einhalt mehr zu gebieten sei: Wer kann schon wissen, welche Methoden die moderne Fortpflanzungsmedizin in Zukunft noch ersinnt?

Als Sievers’ Gebärmutterschleimhaut bereit für die Einnistung einer befruchteten Eizelle ist, beginnt das Warten. Auf den Anruf, dass eine Spenderin gefunden wurde, die zu ihr passt.

Manfred M. unterhält neben seiner Stelle an einem Berliner Krankenhaus seine Privatpraxis seit 2003. Seine Zielgruppe: vermeintlich „Austherapierte“, wie seine Frau einst eine war. M. untersucht sie, und bevor er sie seinem Freund Zech nach Österreich vermittelt, beginnt er in manchen Fällen schon mit der Hormonstimulation. Über Jahre geht das so, „es war ein offenes Geheimnis in der Szene, aber niemand hat sich daran gestört“, sagt M. Es widerspricht dem ärztlichen Selbstverständnis, Patienten Maßnahmen vorzuenthalten, die ihnen helfen. Medizin, so wird das seit Jahrhunderten vermittelt, dient der Behandlung des Einzelnen, nicht der Klärung gesamtgesellschaftlicher Werte. Zumal die Hormonspritzen und Schleimhautmessungen, die M. macht, hierzulande nicht strafbar sind. Um Geld sei es nie gegangen, beteuert er, höchstens Aufwandsentschädigungen habe er von seinem Freund Zech erhalten, aber genau erinnere er sich nicht daran.

Reproduktionsmedizin ist ein hartes Geschäft. Es gibt kaum einen Bereich in der Medizin, in dem der Schwarzmarkt internationaler, die Preise horrender und die Gefahr, an Scharlatane zu geraten, größer wäre.

Anna Sievers ist bei der Arbeit, als der Anruf kommt. Als sie ihrem Mann Bescheid sagt, zittern ihre Hände. „Dann ging der Wahnsinn los“, sagt sie. Am nächsten Abend müssen sie in Spanien sein. Flug buchen, Hotel finden, packen. Ihr Hausarzt schreibt sie für zwei Wochen krank. Sie wohnen in einem Touristenhotel. Um sie herum Paare und Familien im Urlaub. Anna Sievers denkt an nichts anderes als die kommenden Tage.

Die Ermittlungen gegen niedergelassene Mediziner wegen „Beihilfehandlungen zu im Ausland begangenen Verstößen gegen das deutsche Embryonenschutzgesetz“, wie es im Juristendeutsch heißt, erstrecken sich inzwischen über das gesamte Bundesgebiet – gegen mehr als 100 Ärzte ist seit Herbst 2009 Strafanzeige erstattet oder ermittelt worden. Ein Ausmaß, das in der Rechtsgeschichte der Bundesrepublik einmalig ist.

„Bei entsprechenden Hinweisen sind wir von Rechts wegen verpflichtet, Ermittlungen einzuleiten“, sagen Staatsanwälte in München, Augsburg oder Berlin, mal bedauernd, mal gleichgültig.

Die Staatsanwälte werden nicht aus eigener Initiative tätig. Sie werden darauf gestoßen. Durch eine Strafanzeige im September 2009 etwa, erstattet von dem Rechtsanwalt Ingo Hamecher aus Grevenbroich bei Köln, gerichtet gegen Herbert Zech, einen seiner ehemaligen Mitarbeiter aus München, einen Arzt aus Köln und gegen unbekannt.

Wie viele Identitäten verträgt ein Kind?

1991

Das Embryonenschutzgesetz verbietet seit jenem Jahr die Leihmutterschaft in Deutschland

Quelle: Embryonenschutzgesetz; dejure.org

20–38

Jahre alt dürfen Samenspender, die für die Berliner Samenbank spenden, sein. Schwule sind ausgeschlossen

Quelle: Berliner Samenbank

100.000

Kinder, die mit Samenspenden gezeugt wurden, wurden bisher in Deutschland schätzungsweise geboren

Quelle: Verein Spenderkinder

30

Jahre müssen Unterlagen von Samenspendern in der BRD zugänglich sein. Anonymität ist nicht garantiert

Quelle: deutsches Gewebegesetz

64

Jahre alt war die älteste Deutsche, die mit künstlicher Befruchtung schwanger wurde. Die Eizellspenderin kam aus dem Ausland

Quelle: sueddeutsche.de

2011

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bestätigt in jenem Jahr das Verbot der Eizellspende

Quelle: Embyonenschutzgesetz; dejure.org

„Ich darf meine Auftraggeber nicht bekannt geben“, sagt Ingo Hamecher, der Anwalt. Nur so viel: Er habe Kontakt zu Ärzten, die sich an die rigiden deutschen Gesetze hielten und nun beobachtet hätten, dass andere Kollegen dies offenbar nicht täten. Sondern Patientinnen zu ausländischen Kliniken schickten und daran möglicherweise verdienten. Kliniken, die über Informationsbüros in Deutschland offenbar versuchten, den deutschen Markt zu kontrollieren.

Nach Informationen der sonntaz sollte Zechs Zentrum in München nicht das einzige in Deutschland bleiben. Filialen in Köln und Hamburg waren im Gespräch.

Anna Sievers und ihr Mann fahren viel zu früh los zur Klinik. Sie sollen eigentlich erst am Mittag dort sein, da der Spenderin die Eizellen am Morgen entnommen werden. Die Klinik will verhindern, dass Spenderin und Empfängerin sich begegnen. In Spanien haben die Spenderinnen das Recht, anonym zu bleiben. Anders als in Großbritannien: Kinder, die mit einer Eizellspende gezeugt wurden, haben seit einer Gesetzesänderung das Recht, zu erfahren, wer ihre genetische Mutter ist.

Wo für manche Juristen der Fall erledigt ist, fangen die Fragen für Philosophen, Therapeuten und Familienforscher erst an: Wie viele Identitäten verträgt ein Kind, ohne eine gespaltene Persönlichkeit zu entwickeln? Wer darf, muss oder soll Verantwortung tragen, wer haften, sorge-, wer erziehungsberechtigt, wer unterhaltspflichtig sein für das Kind? Was, wenn die Mütter sich um ihr Kind streiten? Die Patchworkfamilie ist gesellschaftlich weitgehend akzeptiert. Aber die geteilte Mutterschaft?

Vor einigen Monaten befand das Oberlandesgericht Hamm, das Persönlichkeitsrecht beinhalte auch das Recht, bei Samenspenden über die eigene biologische Abstammung Bescheid zu wissen. Unterdessen suchen frustrierte Ärzte, die mehr wissen und können als sie dürfen, seit Jahren nach Schlupflöchern im Embryonenschutzgesetz. Es droht etwa „mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe“ zu belegen, „wer auf eine Frau eine fremde unbefruchtete Eizelle überträgt“. Gemeint sein dürfte das Verbot der Eizellspende. Tatsächlich aber werden nie unbefruchtete Eizellen übertragen, sondern befruchtete. Und auch das ist nicht ganz korrekt ausgedrückt: Übertragen werden nicht befruchtete Eizellen, sondern Embryonen. Von der Embryonenspende ist jedoch nirgends die Rede.

Es gibt Ärzte in Deutschland, die überlegen, es darauf ankommen zu lassen.

In der Klinik muss Anna Sievers’ Mann Samen spenden: „In einer Situation, in der er sich nun überhaupt nicht erregt fühlte.“

Danach müssen sie wieder ins Hotel. Es dauert zwei Tage, bis die Eizelle befruchtet und bereit zur Einpflanzung ist. Anna Sievers hat jetzt nur eine Frage: Wird sie schwanger?

Sie wird es nicht. Der Versuch geht schief. Die befruchtete Eizelle gelangt in ihre Gebärmutter. Wie bei einer natürlichen Empfängnis klappt es nicht immer. „Wir haben Zeit gebraucht, das zu verdauen“, sagt sie.

Wenn die ungeregelte Lage in Deutschland also dazu führt, dass Frauen ins Ausland abwandern. Und wenn ausländische Kliniken viel daran setzen, den deutschen Markt zu erobern. Ist es dann nicht Zeit für die Politik einzuschreiten – wenn schon nicht zum Wohl der Frauen, dann zum Wohl des Wirtschaftsstandorts Deutschland?

Das Bundesgesundheitsministerium windet sich: „Die Änderung dieses gesetzlichen Verbots setzt angesichts der fachlichen, rechtlichen und ethischen Komplexität des gesamten Bereichs der Fortpflanzungsmedizin eine breit zu führende, intensive gesellschaftliche und auch parlamentarische Debatte voraus, die auch andere Fragestellungen umfassen muss.“

Bedeutet: gerade lieber nicht.

Der erste Versuch ist gescheitert. Und jetzt?

Und so sind es in Deutschland zunehmend die Gerichte, die hier wie in anderen ethisch heiklen Fragen die Aufgaben des Parlaments erledigen. In der umstrittenen Präimplantationsdiagnostik war es 2010 der Bundesgerichtshof, der mit seiner Entscheidung ein politisches Beben auslöste, dass die Gentests an Embryonen aus dem Reagenzglas – weil nicht ausdrücklich verboten – zulässig seien.

Der angeklagte Frauenarzt Manfred M. sagt: „Ich habe kein Problem damit, wenn notfalls auch mein Fall höchstrichterlich geklärt werden muss.“

Nach einigen Monaten entschließen sich Anna Sievers und ihr Mann, dass sie es noch einmal probieren wollen.

Der neue Anlauf ist anders. Sievers weiß, was sie erwartet – das Krankenhaus, die Ärzte. Sie haben beim ersten Versuch zwei befruchtete Eizellen einfrieren lassen und müssen nicht überstürzt nach Spanien.

Der erste Versuch hatte das Paar – von den Reisekosten abgesehen – 8.000 Euro gekostet. Beim zweiten Mal mussten sie nur die Übertragung bezahlen, weil die Eizelle schon gespendet und befruchtet war. 2.000 Euro kostet der sogenannte Kryotransfer.

Sievers und ihr Mann hängen einige freie Tage dran, bevor sie zurück nach Deutschland fliegen. Sie will entspannen – und hofft, dass es so vielleicht besser klappt.

Zehn Tage später zeigt ein Test: Sie ist schwanger.

Anna Sievers’ Tochter ist heute ein halbes Jahr alt. Sie will ihr einmal alle Fragen beantworten.

Heike Haarhoff, 44, taz-Gesundheitsredakteurin, dankt dem Himmel, dass der Staat sich nicht dafür interessiert hat, wie und mit wem sie zwei Kinder bekommen durfte

Gilda Sahebi, 29, ist Ärztin und Politikwissenschaftlerin. Sie dankt dem Himmel für den medizinischen Fortschritt