: „Marktöffnung garantiert keine Entwicklung“
Für die Entwicklungsländer bringen die aktuellen Verhandlungen bei der Welthandelsorganisation WTO nichts. Sie bleiben der Lieferant billiger Rohstoffe. Das kann aber nicht das Interesse der EU sein, sagt der Agrarexperte Lorenzen
taz: Herr Lorenzen, die Mitglieder der Welthandelsorganisation WTO haben sich selbst eine Frist bis Ende April gesetzt. Bis dahin soll feststehen, welche Länder in welcher Höhe Agrarsubventionen und Importzölle abbauen müssen. Bisher sieht es aber gar nicht nach einer Einigung aus.
Lorenzen: Das ganze Unternehmen ist so, wie es jetzt angelegt ist, zum Scheitern verurteilt, selbst wenn es noch zu Kompromissen kommt. Die derzeitige Verhandlungsrunde ist als Entwicklungsrunde gestartet. Aber sie ist es nicht. Die Entwicklungsländer werden vielmehr in eine Falle gelockt: Sie sollen sich festlegen lassen auf die Rolle als billige Rohstofflieferanten.
Was müsste passieren, damit es eine Entwicklungsrunde wird?
Die EU müsste dafür sorgen, dass die durch Agrarexporte in die EU erzielten Gewinne gezielt den Bevölkerungsgruppen und Regionen zugute kommen, die es in erster Linie brauchen. Marktöffnung per se garantiert noch keine Entwicklung. Handelsgewinne werden von den multinationalen Konzernen immer wieder dort investiert, wo Menschen und Natur am schlechtesten behandelt werden.
Ein Beispiel, bitte.
Nehmen wir die Abschaffung der Zuckermarktordnung der EU. Durch diese Marktliberalisierung sinkt der Preis. Das trifft vor allem die ärmsten der Zucker produzierenden Länder. Die müssen mehr Zucker produzieren, um keine Verluste zu machen, und haben am Ende weniger, um in zukunftsträchtigere Bereiche zu investieren. Die Zuckerkonzerne dagegen erzielen dank der niedrigeren Rohstoffkosten höhere Gewinne.
Aber die Entwicklungsländer fordern doch die Öffnung der Märkte des Nordens für ihre Produkte. Wie könnte eine Marktöffnung aussehen, die ihnen tatsächlich nützt?
Das geeignete Instrument heißt: qualifizierter Marktzugang. Zugang zum EU-Markt erhalten nur Produzenten, die bestimmte soziale und ökologische Kriterien erfüllen. Die europäischen Landwirte würden weiterhin durch Zölle vor Importen geschützt, die nicht nach diesen Mindeststandards produziert wurden. Aber die Einnahmen aus den Zöllen fließen nicht in die eigene Kasse, sondern in einen Fonds zur Entwicklungsfinanzierung in den betroffenen Ländern.
Wer entscheidet über solche Zölle und nach welchen Kriterien?
Die EU setzt ihren eigenen Landwirten bereits Umwelt- und Qualitätsstandards. An die sollen sich auch die Exporteure aus Entwicklungsländern – meistens multinationale Konzerne – halten. Die Entwicklungsländer bekommen aus den Zöllen Fördermaßnahmen bezahlt, um Standards zu erreichen.
Wenn die Entwicklungsländer irgendwann so weit sind, die Mindeststandards einzuhalten, können die europäischen Landwirte keinen Zollschutz mehr beanspruchen. Wird sich die EU auf so etwas einlassen?
Wenn die Entwicklungsländer nicht länger gezwungen sind, billigste Agrarrohstoffe durch Raubbau an Menschen und Natur herzustellen, sondern auch andere Wirtschaftsbereiche entwickeln können, dann hat sich auch das Problem der Agrarüberschüsse erübrigt, die jetzt zu Dumpingpreisen auf den Markt gedrückt werden. Dann brauchen die europäischen Landwirte auch nicht mehr den gleichen Schutz wie heute.
Die derzeitige EU-Position bei den WTO-Verhandlungen ist eine ganz andere: Die EU sei durch ihre Agrarreform und die beschlossene Abschaffung der Exportsubventionen schon in Vorleistung gegangen. Jetzt müssten die anderen Länder erst mal was bieten.
Mit der gegenwärtigen Strategie fährt die EU gegen die Wand. Dabei wäre sie eigentlich die geborene Vermittlerin. Die EU ist weltgrößter Nettoimporteur von Agrarprodukten. Zugleich aber ist sie in hohem Maße vom Handel mit den Entwicklungs-, vor allem den Schwellenländern abhängig.
Ja eben. Drohen den Entwicklungsländern nicht neue Gefahren, wenn die EU im Gegenzug für ein Entgegenkommen im Agrarbereich eine radikale Öffnung der Industriegüter- und Dienstleistungsmärkte im Süden verlangt?
Die EU sollte auf einen Ausgleich bedacht sein. Sie hat ein großes Interesse, ihre eigenen hohen sozialen und ökologischen Standards zu verteidigen. Und sie ist an einem nachhaltigen Umgang mit den Ressourcen interessiert, um Konflikte um Rohstoffe zu vermeiden.
Ist so etwas in der WTO innerhalb der aktuellen Verhandlungsrunde möglich?
Die Verhandlungen müssen wohl erst einmal gegen die Wand fahren. Es gibt jedoch viele Anzeichen dafür – auch im Europaparlament –, dass es in einer neuen Runde viel stärker um den vernünftigen Umgang mit Rohstoffen und Umwelt in Nord und Süd gehen wird. Ich gehe davon aus, dass die EU bald eine neue Richtung einschlagen wird.INTERVIEW: NICOLA LIEBERT