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Archiv-Artikel

Runter von der Kühlerhaube mit der Frau!

Auf dem „1. Internationalen Gender Marketing Kongress“ übt die Werbebranche Selbstkritik. Marketingstrategien, so eine Forderung, müssen die Diversität der KonsumentInnen berücksichtigen. Rollenklischees haben ausgedient – schon weil sie an der lahmenden Nachfrage schuld sein könnten

„Politik und Wirtschaft sind nicht geschlechtsneutral“, sagt die frühere Verbraucherministerin Renate Künast auf dem „1. Internationalen Gender Marketing Kongress“, der zurzeit im dbb-Forum an der Friedrichstraße stattfindet. Neu ist Künasts Erkenntnis nicht. Neu ist, dass sich auf dem Kongress zum ersten Mal in Deutschland VertreterInnen der Marketing- und Vertriebsbranche treffen, um herauszufinden, ob sie nicht bei den Vermarktungsstrategien gerade den Zug der Zeit verpassen. Denn insbesondere die Werbung in Deutschland zementiert noch immer Rollenbilder von Männern und Frauen, die in der gesellschaftlichen Wahrnehmung längst in Frage gestellt sind. „Welche Frau posiert schon im wirklichen Leben halbnackt auf einer Kühlerhaube?“, fragt Künast. Die Frage mag simpel klingen, aber dass sich diejenigen, die für das Bild der Frau auf der Kühlerhaube verantwortlich sind, plötzlich solcher Kritik stellen, ist das Besondere an diesem Kongress.

Kurt Gallus Schmid, Geschäftsführer der Schweizer Werbeagentur Lowe, drückt das Problem anders aus: „Werbung spricht nicht zu echten Leuten.“ Das habe etwas damit zu tun, dass ein Produkt werbestrategisch immer als Massenprodukt konzipiert werde. Dabei sei die Zeit von Viagra, Coca-Cola und Aspirin vorbei. Massenartikel hielten mit den modernen gesellschaftlichen Entwicklungen nicht Schritt. Zur Individualisierung der Menschen, und bedingt durch die weltweite Migration, entstehe vielmehr die Notwendigkeit, die Unterschiedlichkeit und das Eigene in den Vordergrund zu stellen. Nicht nur bei der Vermarktung, sondern auch bei den Arbeitsbedingungen in den Unternehmen.

Bei Letzterem haben Unternehmen wie IBM oder VW, die sich das Konzept des „Diversity Management“ zu Eigen machen, schon auf die Entwicklungen reagiert. Beim Diversity Management werden die besonderen Kompetenzen und Bedürfnisse der MitarbeiterInnen, seien sie kinderreich oder kinderlos, homo- oder heterosexuell, mit Behinderung oder ohne, mit anderer Hautfarbe oder Religion, in der unternehmerischen Konzeption mit berücksichtigt. Die Werbewirtschaft dagegen habe die Vorteile von Diversität noch nicht begriffen, meint Schmid. Er prophezeit ihr deshalb eine große Krise. Vor allem auch, weil sie die Frauen als Konsumentinnen nicht ernst nehme.

Das sind harte Worte, die sich auf dem Kongress immerhin rund hundert MultiplikatorInnen aus der Werbebranche anhören. Es ist bis zu ihnen durchgesickert, dass etwas nicht stimmt. Denn Konsumentinnen lassen sich nicht alles gefallen. Die meisten Beschwerden, die beim Werberat, dem Kontrollgremium der Branche, eingehen, haben damit zu tun, dass Frauen sich durch Werbung in ihrer Würde verletzt fühlen. Geändert hat sich durch die Beschwerden und Rügen des Werberats allerdings nichts. Obwohl Statistiken belegen, dass Frauen über 80 Prozent der Einkäufe entscheiden.

Was man mit diesen Denkansätzen anfangen soll, das wissen die KongressteilnehmerInnen noch nicht richtig. Es irritiert sie, dass ausgerechnet sie im Grunde uralte Forderungen der Frauenbewegung in ihren Werbestrategien berücksichtigen sollen. Dafür spricht jedoch die ökonomische Vernunft: „Die schlechte Binnennachfrage in Deutschland könnte durchaus damit zu tun haben, dass Frauen aus Protest gegen falsche Klischees, in die sie die Werbung drängt, zu Konsumverweigerinnen werden“, spekuliert Eva Kreienkamp von der PR-Agentur FrischCo, die Initiatorin des Kongresses. Es gibt aber auch Beispiele, wie es besser geht. Der Staubsauger, der Männer als Kunden im Blick hat, kommt wie ein ferngesteuertes Auto daher. Kein Monstrum, das gegen jedes Tischbein rumst.

Waltraud Schwab