Weltkrieg ist geil!

Bei den Liberal-Militanten gehört er zum Premium-Segment: Daniel J. Goldhagen erklärt jetzt auch, dass der „politische Islam“ gefährlich ist. Triumph der Angstlust

Die Publizistik zum politischen Islam ist um einen Beitrag reicher, und zwar, wie die Blattmacher annoncieren, um eine „Streitschrift“ – als solche wird ein Aufsatz des amerikanischen Politologen und Holocaust-Forschers Daniel Jonah Goldhagen im Magazin der SZ schon auf dem Cover angepriesen. Dabei handelt es sich um einen jener Texte, deren Ziel es ist, dem Publikum die Augen zu öffnen für die eminente Bedrohung, der der Westen/die freie Welt/die säkulare Kultur gegenübersteht.

Im Grunde ist es ja ohnehin so, dass sich das Schrifttum zum Islamismus längst – meist schon nach einem flüchtigen Blick – in wesentlich zwei Kategorien unterscheiden lässt. Erstens: in die aufgeregt-bellizistische Textsorte, mit dem Refrain, dass wir doch nun endlich unsere Werte gegen die totalitäre Herausforderung verteidigen müssten. Wir können sie die liberalmilitante Sorte nennen. Zweitens: in die demonstrativ unaufgeregte, die die Muslime gewissermaßen in Schutz nimmt und die Idee der Multikulturalität verteidigt, sich bisweilen aber darum herumdrückt, anzugeben, wann welche Werte mit welchen Mitteln gegen welche Herausforderung verteidigt werden sollen. Man heißt sie die gutmenschliche Sorte.

Goldhagens Text gehört eindeutig zur ersteren Sorte, innerhalb dieser ist er aber eines der klügeren Produkte. Klar, Goldhagen ist kein Henryk M. Broder und auch kein Botho Strauß (der ja fürchtet, dass bald nicht mehr unsere Toleranz gefragt sein wird, sondern wir die Toleranz der muslimischen Migranten brauchen, weil die sich so toll vermehren). Goldhagen gehört in der Sorte der Liberalmilitanten zum Premium-Segment.

Aber gerade deshalb ist die Funktionsweise seines Textes auch besonders bemerkenswert. An ihm kann man den gestischen Jargon der liberalmilitanten Argumentationsreihe ablesen. Und entscheidend ist in ihr die Angstlust. Sie muss eine eminente existenzielle Bedrohung behaupten. Es reicht nicht, dass der Islamismus eine Pest ist oder der Terrorismus gefährlich. Nein, er muss uns, unsere Seinsweise ganz eminent bedrohen. Liberalmilitante Texte sind so gewissermaßen eine Panikattacke. Auch der Goldhagens. Schon der erste Satz lässt keinen Superlativ aus. „Der politische Islam – eine ebenso aggressive wie totalitäre Bewegung – befindet sich jetzt vollständig in der Offensive.“ Haben wir doch gerade die „weitreichendste und gewalttätigste gesellschaftliche Mobilisierung des politischen Islams“ erlebt. Damit sind die Demonstrationen im Zuge des Karikaturenstreits gemeint. Es geht so weiter in diesem Sound, und, wohlgemerkt, nichts ist grundsätzlich falsch: dass der iranische Präsident ein gefährlicher Irrer ist, Israel durch eine iranische Atombombe gefährdet wäre, dass man nicht wissen könne, ob ein Kreis von Durchgeknallten in der iranischen Führung nicht doch einmal eine Nuklearrakete nach Tel Aviv schicken würde.

Und doch – der Ton. Er macht aus der Aneinanderreihung korrekter und unerfreulicher Sachverhalte eine Bedrohungsfantasie. Das ist natürlich nicht überraschend in emotionalen Momenten, die an Augenblicke der Kriegspsychose erinnern; weiß man ja, dass Aggression in der Regel ein Resultat von Ohnmachts- und Bedrohungsgefühlen ist. Und dass es ein Begehren nach Bedrohung gibt.

Das ist die paradoxe Konstellation des „Kampfes der Kulturen“. Der antiwestliche Furor in der islamischen Welt ist eine Folge des Gefühls stetiger narzisstischer Kränkung, des Gefühls, unterdrückt, ausgebeutet und in der eigenen Identität bedroht zu sein; dieser antiwestliche Furor wiederum lässt im Westen das Bedrohungsgefühl endemisch werden, das dann schnell in Islamophobie umschlägt. Was wiederum die Muslime nur bestätigt in ihrer Überzeugung, vom Westen bedroht zu werden.

Dieser Kreislauf ist ein ganz wesentlich rhetorischer und auch nicht zu trennen von einer medialen Konstellation, in dem die schrägere These, die wüsteste Pointe, die wildeste Neuigkeit sticht. Entspannung wäre fad. Weltkrieg ist geil! Niemand kann sich dem entziehen. Auch ein Daniel Goldhagen brächte es nicht auf das Cover des SZ-Magazins, würde sein Text nicht zur „Streitschrift“ taugen. ROBERT MISIK