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Archiv-Artikel

Das Merkel’sche Gesetz

GROSSE KOALITION Die Union ist programmatisch leer, aber nach außen flexibel. Das ist die Chance für die SPD, mehr als den Mindestlohn durchzusetzen

Die Parteienpolitik in Deutschland ist wie ein langer, ruhiger Fluss. Hin und wieder fegt eine Böe, dann kräuselt sich hektisch die Oberfläche. Aber eigentlich bleibt sich alles gleich. Es ist typisch, dass sich nach der Wahl dieselbe Frage stellt wie zuvor: Was will Angela Merkel? Sie – weniger die Union – hat die Wahl triumphal gewonnen. Hat sie einen Plan, was sie mit dieser Macht anfangen will?

Eher nein. Vielmehr: Sie hatte vielleicht mal einen. Das Projekt, das ihr zugeschrieben wird, ist die kulturelle Modernisierung der Konservativen. Das scheint sich erledigt zu haben. Die Grünen berichteten aus den Sondierungen mit der Union erstaunt, dass sich die CSU bei der doppelten Staatsangehörigkeit recht dehnbar zeigte. Auch über die Flüchtlingspolitik könne man reden. Das Nein zur doppelten Staatsangehörigkeit hat die Unionsrechte vor zehn Jahren noch gusseisern verteidigt. Jetzt ist es zur taktischen Manövriermasse verflüssigt. Die Union ist weltoffener, femininer, städtischer geworden.

Die Grünen taten Merkel dann den Gefallen, die Sondierungen in netter Form zu beenden. Hätten sie das in der Tat schmale Angebot der Union akzeptiert, sie hätten die Kanzlerin damit in echte Verlegenheit bringen können. Denn natürlich will Merkel Schwarz-Grün nicht. Nicht jetzt. Es wäre ja ein Risiko. Auch weil es in den Reihen der Union Geister wecken könnte, die sie erfolgreich an den Rand gedrängt hat.

In der deutschen Politik regiert das Merkel’sche Gesetz. Erfolg ist demnach direkt von der Fähigkeit abhängig, unverbindliche Offenheit in alle Richtungen zu signalisieren. Es herrscht glanzloser Pragmatismus, unauffällige Verwaltung dessen, was ist. Gäbe es dafür einen Slogan, würde er lauten: Weiter so. Aber der Merkelismus braucht keinen Slogan, keine Fahne, kein Programm. Viel zu auffällig.

Dazu passt, wie sich die Verhandlungen um die Große Koalition darstellen. Ein Hauch von Drama weht um die SPD. Sie ringt mit sich, hehre Prinzipien und Machtwille liegen im Widerstreit. Man ahnt, wie das ausgeht.

Die CSU tritt wie gewohnt in der Rolle des Kindskopfs auf, der die Erwachsenen nervt. Seehofer & Co. wollen die Republik ernsthaft mit der Pkw-Maut belästigen. Still aber ist es um die CDU. Was sie will, ist unklar. Irgendwas mit Mütterrente vielleicht.

Dafür ist sehr viel zu hören, was die CDU nicht will. Mindestlohn und Steuererhöhungen. Oder womit sie sich vielleicht doch arrangieren könnte. Wenn die SPD unbedingt einen Mindestlohn braucht, dann soll sie ihn bekommen, so die Unionsrechten Seehofer und Volker Bouffier. Die Union will, dass es bleibt, wie es ist: Der Export soll weiter brummen, die Autoindustrie von Abgasnormen ungestört verkaufen können, die Energiewende nicht zu teuer kommen. Der CDU reicht es, zu bremsen. Sie ist programmatisch leer. Dass es semantisch gesehen keinen Komparativ zu leer gibt, wird jedenfalls zum Problem für die Beschreibung der Merkel-CDU.

Nun zeichnet sich ein Deal ab: Die SPD bekommt den Mindestlohn von 8,50 Euro, die Union verhindert dafür Steuererhöhungen. Das ist naheliegend, aber falsch. Besser wäre ein Kompromiss beim Mindestlohn, etwas niedriger oder zeitlich gestaffelte – dafür moderate Steuererhöhungen für die oberen 10 Prozent, wie es die SPD forderte. Denn die Frage ist nicht, ob die Große Koalition Steuern erhöhen wird oder nicht. Sondern welche. Die Schuldenbremse wird in den nächsten Jahren die Finanzarchitektur der Republik erschüttern, vor allem in den Bundesländern. Man muss gar nicht über mehr Geld für Bildung oder marode Brücken reden, um zu erkennen: Ohne mehr Steuereinnahmen wird es rabiate Kürzungen geben. Alternativ kann sich der Staat mehr Geld von der Mittelschicht holen oder per Mehrwehrtsteuer von allen. Oder eben von den Vermögenden. Die Verteilungskämpfe werden härter.

Die Merkel-CDU ist innen hohl und nach außen flexibel. Das ist eine Chance für die SPD. Wenn sie weiß, wohin sie will. STEFAN REINECKE