: Zwei Drittel kommen wieder
Die Zustände im Bremer Jugendknast sind „katastrophal“, sagt Radio-Bremen-Reporter Holger Baars. Er hat einen Film über die Jugendlichen in der JVA Oslebshausen gemacht – und einiges mitbekommen von dem in letzter Zeit skandalträchtigen Gefängnis
Interview Susanne Giefers
Die Zustände im Bremer Justizvollzug haben in den vergangenen Wochen mehrfach für Schlagzeilen gesorgt. Zur JVA in Oslebshausen gehört auch der Jugendvollzug – über die 80 jungen Männer zwischen 14 und 24, die hier einsitzen, hat der buten un binnen-Reporter Holger Baars einen Film gemacht: „Geschlossene Gesellschaft“ läuft am Mittwoch in der ARD. Wir fragten ihn nach den Zuständen in der JVA.
taz: Was war der Anlass für diesen Film?
Holger Baars: Ein Vollzugsbeamter erzählte mir mal, dass zwei Drittel der jugendlichen Straftäter im Bremer Gefängnis immer wieder kommen. Zwei Drittel! In Fachkreisen nennt man das „Drehtüreffekt“. Daraufhin haben wir mit der Recherche angefangen: Was sind das für Menschen, woher kommen sie, welche Chancen haben sie?
Hat die hohe Rückfallquote etwas mit den Zuständen im Bremer Jugendknast zu tun?
Die Zustände in Bremen sind mitunter katastrophal – allein das Gebäude, das Haus IV, schreit nach Sanierung. Es fehlt an Personal und an Arbeitsangeboten. Die hohe Rückfallquote hat allerdings mehr mit den jungen Häftlingen selbst zu tun. Sie wollen sich nicht unbedingt helfen lassen, so mein Eindruck. Sie lassen nichts an sich heran. Die Menschen, mit denen wir sprechen konnten, waren zugänglich und motivierbar – aber die allgemeine Stimmung war eine andere.
Was ist das Hauptproblem?
Das große Problem ist die hohe kriminelle Energie, die sich da versammelt. Wir haben mitbekommen, wie Drogen ausgetauscht werden, wie der Drogenkonsum ist: Fast jeder dort hat ein Drogenproblem. Wir haben erfahren, wie man sich mit Leuten draußen abspricht und dann fliegt die Wodkapulle über die Mauer. Oder anderes.
Stichwort Mauer: Halten Sie von JVA-Leiter Otto als Sicherheitsmaßnahme angekündigte Erhöhung der Mauer von vier auf sechs Meter für sinnvoll?
Nein. Plastikflaschen oder Rauschgift können auch über sechs Meter hohe Mauern geworfen werden. Das ist eine Investition in Beton, die ich überflüssig finde. Wenn investiert wird, sollte Otto lieber in Personal investieren.
Die große Koalition stärkt JVA-Leiter Otto den Rücken, aber Jugendrichter, Personalrat und andere Experten kritisieren ihn sehr – wie ist die Stimmung unter den Beschäftigten?
Ich kann nur über meine Eindrücke aus dem Jugendknast, nicht über den Erwachsenenvollzug, sprechen. Man gibt sich hier relativ loyal. Und man sieht, dass die Bremer Haushaltsnotlage auch die Notlage im Knast produziert.
Wie sieht diese Notlage aus?
Das Trennungsgebot – Jugendliche von Erwachsenen – wird nicht eingehalten. Und es gibt viel zu wenig Arbeitsangebote. Am früheren Standort Blockland gab es noch eine Gärtnerei, eine Malerwerkstatt, eine Schlosserei, sehr viele Angebote.
Und heute?
Da gibt es gerade mal die Bildhauerwerkstatt mit acht Plätzen. Wer da reinkommt, hat Riesenglück. Und es gibt eine Bastelwerkstatt im Keller – das bringt die Jugendlichen nicht voran. Sie haben keine große Möglichkeit sich auszuprobieren, vielleicht auch in der Arbeit ihre Aggressionen abzureagieren. Sie werden nicht richtig gefördert.
Was passiert, wenn die Jugendlichen entlassen werden?
Mit ihrem niedrigen Bildungsniveau haben sie draußen überhaupt keine Chance. Dann scheitert der erste Versuch, sich zu bewerben, und es geht wieder ganz schnell bergab: zurück zu den alten Kumpels, zurück in die Drogensucht, und irgendwann zurück in den Knast.
Ist es in Bremen eine Frage des Geldes oder des Wollens, dass den Jugendlichen nicht mehr Angebote gemacht werden, durch die sie schon im Knast eine Perspektive für ihr Leben draußen bekämen?
Es ist eine Frage des Geldes. Bremen hat kein Geld, nicht für Schulen, nicht für Kitas und auch nicht für den Knast. Die Vollzugsbediensteten, die wir kennen gelernt haben, sind sehr engagiert – aber sie sind zu wenig. Sie haben keine Zeit, sich um die Jugendlichen, die zugänglich wären, mehr zu kümmern.
Was halten die Bediensteten denn von der Videoüberwachung, die im Bremer Vollzug demnächst stattfinden soll?
Nichts. Dann sei gar keine Ansprache mehr möglich. Die Beamten sagen: Dann erziehen wir hier Bestien. Das wollen wir nicht.
Holger Baars: „Geschlossene Gesellschaft“, morgen, 21.45 Uhr, ARD