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Archiv-Artikel

SPD setzt Diskriminierungsschutz durch

Die Koalition entscheidet, dass ein Gesetz Behinderte, Alte, Homosexuelle, Muslime und Juden im Geschäftsleben künftig vor Diskriminierung schützt. Die Union wollte weniger. Gegenleistungen: SPD-Zugeständnisse bei Elterngeld und Reichensteuer

VON CHRISTIAN RATH

Das Warten hat sich doch gelohnt. Der Koalitionsausschuss von Union und SPD hat sich beim lange überfälligen Antidiskriminierungsgesetz auf die letzten Kompromisse geeinigt. Überraschenderweise ist es den Sozialdemokraten dabei noch gelungen, einen deutlich über die EU-Vorgaben hinausgehenden Geltungsbereich des Gesetzes durchzusetzen. Im Zivilrecht wird auch vor der Benachteiligung wegen sexueller Identität und Religion geschützt. Betroffene können Schadensersatz verlangen und häufig auch den Vertragsabschluss erzwingen.

Schon seit Jahren ist umstritten, welcher Personenkreis gegen die Diskriminierung durch Unternehmen geschützt werden soll. Die EU-Richtlinien verbieten bei zivilrechtlichen Geschäften – etwa im Restaurant, im Supermarkt, bei Versicherungen und bei Wohnungsgesellschaften – nur die Diskriminierung wegen Rasse, ethnischer Herkunft und Geschlecht. Dagegen untersagt die EU im Arbeitsrecht – also bei Einstellung und Beförderung – auch die Benachteiligung wegen Alter, Behinderung, sexueller Identität, Religion und Weltanschauung.

Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) hat jetzt durchgesetzt, dass auch im Zivilrecht alle acht Merkmale erfasst werden. Überraschend ist dies deshalb, weil eine Koalitions-Arbeitsgruppe Ende Februar vorgeschlagen hatte, nur Behinderte und Alte über die EU-Vorgaben hinaus umfassend zu schützen. Homosexuelle, Muslime und Juden wären außen vor geblieben. Der Lesben- und Schwulenverband kritisierte dies als „Freibrief für Diskriminierungen“. Der jetzt doch recht vorzeigbare Koalitionskompromiss wurde möglich, weil die SPD in den Verhandlungen Montagabend bei anderen Projekten wie beim Elterngeld und der Reichensteuer CDU und CSU entgegengekommen war.

Natürlich gibt es auch beim Kompromiss über das Antidiskriminierungsgesetz einige Ausnahmen. Der über die EU-Vorgaben hinausgehende Schutz gilt nur bei „Massengeschäften“, die üblicherweise ohne Ansehen der Person geschlossen werden. Theoretisch können Behinderte, Muslime und Schwule damit zum Beispiel bei der Vermietung von Wohnungen immer noch ausgegrenzt werden, denn auch eine große Wohnungsgesellschaft schaut sich ihre Mieter vor Vertragsabschluss genau an. Diskriminierende Ausnahmen werden auch Versicherungen erlaubt, wenn sie auf einer „versicherungsmathematisch ermittelten Risikobewertung unter Heranziehung statistischer Erhebungen“ beruhen.

Auch drei weitere, seit langem umstrittene Fragen zum Antidiskriminierungsgesetz wurden jetzt im Koalitionsausschuss geklärt. So dürfen bei arbeitsrechtlichen Diskriminierungen auch die Betriebsräte klagen, wenn sich die Betroffenen nicht trauen. Die Union hatte dies zunächst abgelehnt.

Durchsetzen konnte sich die Union dagegen bei der so genannten Kirchenklausel. Religionsgemeinschaften können in ihren Einrichtungen nun unter Berufung auf ihr „Selbstbestimmungsrecht“ generell die Einstellung von Andersgläubigen ablehnen. Die SPD wollte dies nur zulassen, wenn die „Art der Tätigkeit“ einen bestimmten Glauben erfordert.

Die noch einzurichtende Antidiskriminierungs-Stelle wird bei Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) angesiedelt. Hier musste Justizministerin Zypries verzichten. Die Stelle soll Öffentlichkeitsarbeit betreiben und Konflikte außergerichtlich schlichten helfen.

Schon seit Februar ist klar, dass das Antidiskriminierungsgesetz offiziell „Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz“ heißen soll.