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Archiv-Artikel

Wir haben hier Großes vor

KONZERT Die ehemalige Hamburger Punkband Die Goldenen Zitronen ist mit ihrem neuen Album, „Who’s Bad“, auf Tour. Am Dienstag gastierte sie damit im Münchner Club „Strom“ und legte die Verbindung zu ihren gut gealterten Evergreens

„Ihr habt Gespür und ihr habt Stil. / Wir haben genau den richtigen Deal.“ Das versteht man auch in München

VON JULIAN WEBER

Das kann ja heiter werden, Peter Gauweiler und Peter Scholl-Latour warten am Flugsteig nach München. „Können Sie bitte kurz auf meinen Koffer aufpassen, ist auch keine Bombe drin“, bittet ein Typ in Trenchcoat und Hornbrille. Bei der Abfertigung am Schalter wünscht den Passagieren ein Mitarbeiter der Fluglinie „eine Mordsgaudi“.

Wenig später im vollen Münchner Club Strom beginnt dann auch das Hamburger Trio Die Heiterkeit. Unaufgeregt und langsam bedienen sie ihre Instrumente, und die drei Musikerinnen behalten diese zähflüssige und extrem aufsässige Langsamkeit mit unheimlicher Konsequenz bei. Sängerin und Gitarristin Stella Sommer ignoriert die „Schneller“-Rufe aus dem Publikum. Mit ihrer tiefen Stimme erinnert sie an Nico und Dahlia Lavi, verzieht keine Miene.

Sie bleibt ungerührt, auch wenn es melancholisch wird: „Für den nächstbesten Dandy wirst du mich verlassen.“ Dazu Riffs in runtergestimmten Moll-Tonarten, Basstöne, die helikoptermäßig anschwellen, isolierte Schläge auf Snaredrum und Toms und unendlich viel Zeit: Slowcore, noch nicht in Vollendung, aber schon ziemlich vielversprechend. Jeder Song ein eigenes Näpfchen, leicht surreal, immer spröde und kühl. Ob neben Cary Grant noch Platz wäre, fragt sich Sommer an einer Stelle und bekennt in einem anderen Song Sehnsucht nach der kalifornischen Sonne.

Im Publikum ist inzwischen mittelschwerer Platzhirschalarm. Der Schauspieler und Gastwirt Josef Bierbichler ist anwesend. Mitglieder der Band FSK, Medienleute, normales Konzertpublikum, Jungs in stecknadeldürren Röhrenjeans, junge Frauen in Sieben-Meilen-Stiefeln mit Keilabsätzen. Ältere Semester in Band-T-Shirts, aber auch Tweed-Jackett-Träger. Die Goldenen Zitronen haben eine Fangemeinde, die sich immer wieder verjüngt. „Wir sind die Goldies aus Hamburg, und das ist einen Riesenapplaus wert“, ruft Schorsch Kamerun, gekleidet in einem Priestergewand, mit Amulett und türkisem Unterzieher. Die ganze Band ist angetan in Ethnoklamotten, Pumphosen, scheußlichen Scherpen und Lackschuhen.

Das ist einen Sonderapplaus wert, und die Zitronen heben an mit „Der Investor“, einem fiesen und schönen, von einem Sequenzer nach vorne gepeitschten Hit. Es ist die Fanfare ihres neuen, nicht durchweg gelungenen Albums, „Who’s Bad“. „Der Investor“ stellt die alte Wir-gegen-die-Gleichung allerdings gewinnbringend auf und wendet sie auf die Stadt von heute an, argumentiert aus Sicht der Gegenseite. „Ihr habt Gespür und ihr habt Stil. / Wir haben genau den richtigen Deal.“ Das versteht man auch in München, wo es in der inneren Stadt immer schwieriger wird, Clubs zu halten und Kneipen, weil die Immobilienpreise 20 Prozent übertrieben sind.

„Hey, hey, hey, wir haben hier Großes vor“, singt Schorsch Kamerun mit seiner blechern nörgelnden, hypernervös getunten Stimme, während Mense Reents die Knöpfe seines Sequenzers wolllüstig dreht. Die Energie auf der Bühne ist zum Platzen, besonders wenn die beiden Schlagzeuger Enno Palucca und Stephan Rath simultan spielen. Sofort ist vor der Bühne ein Moshpit, die Leute amüsieren sich prächtig.

In der Rezension des neuen Zitronenalbums in der FAZ war dagegen die Rede von „Diskursbelästigung“ und „vertonter AStA-Sitzung“. „Ich versuche an den Botschaften vorbeizukommen … Ich versuche an den radikalen Zeichen vorbeizukommen“, singt Kamerun in dem Song „Scheinwerfer und Lautsprecher“, ein weiterer Solitär aus „Who’s Bad“. Das Publikum geht mit. „Wir nehmen den Druck an“, sagt Kamerun danach. Und mit den Ilja-Richter-Worten „Los, fahr ab“ beginnt ein Reigen gut gealterter Evergreens.

„Auf dem Platz der leeren Versprechungen“, „Widersprüche“, als Zugabe gar „Das bisschen Totschlag“. Bei „Wenn ich ein Turnschuh wär“ aus dem 2006 erschienenen Album „Lenin“, ein Song über die Situation von Flüchtlingen, zeigt sich, wie aktuell und universal verständlich die Stadtteilpolitik der Zitronen auch klingen kann. Und wie sie musikalisch angedockt ist an die neueren, mal psychedelisch krautrockigen, mal postpunkig schlierenden Songs wie „Europa“, oder „Kaufleute 2.0.1.“. Gelöst war die Stimmung hernach in der milden Münchner Oktobernacht.