Der Staat will alles wissen

Das Hartz-IV-Gesetz wird aus Kostengründen „optimiert“ – für Arbeitslose bedeutet dies: Sie verlieren immer mehr Rechte

Die Betroffenen müssen nachweisen, dass sie keine eheähnliche Gemeinschaft bildenBeim Kraftfahrt-Bundesamt wird die „Angemessenheit des Kraftfahrzeuges“ überprüft

VON ULRIKE WINKELMANN

Wohngemeinschaften, aufgepasst: Macht die neue Mitbewohnerin auch Karriere? Oder könnte sie gar bald ohne Arbeit dastehen? Denn droht sie arbeitslos zu werden oder ist es gar schon, muss sie womöglich bald mit durchgefüttert werden. Ist es eine arbeitslose Mutter, gilt Gleiches für ihr Kind.

Es wird sich noch herausstellen, welches der Details im Hartz-IV-„Optimierungsgesetz“ sich am stärksten auf die Lebensführung und -bedingungen von Arbeitslosen auswirkt. Gestern ging dieses Gesetzesbündel unter dem Titel „Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende“ durch das Bundeskabinett. In Kraft treten soll es noch in diesem Jahr. Klar ist schon jetzt: Für Arbeitslose kommen noch härtere Zeiten.

Kommunen und Arbeitsämter sollen und werden zukünftig verschärft darauf achten, wer eigentlich im Sinne des Hartz-IV-Gesetzes eine „Bedarfsgemeinschaft“ mit Anspruch auf Arbeitslosengeld II ist – und wer von anderen mitversorgt werden soll.

Denn die große Koalition vermutet im Anstieg der Bedarfsgemeinschaften einen wichtigen Grund dafür, dass die Kosten für die Arbeitsmarktreform Hartz IV außer Kontrolle geraten sind. Die Mehrkosten im ersten Quartal dieses Jahres lagen bereits bei 1 Milliarde Euro. Ob dies auf das ganze Jahr hochgerechnet werden muss, ist strittig. Im Bundeshaushalt 2006 für das ALG II veranschlagt sind 24,4 Milliarden Euro.

Jedenfalls tritt der Bund auf die Ausgabenbremse, wo er kann – und deshalb hat er etwa für Zusammenwohnende das Prinzip der Beweislastumkehr eingeführt: Die Betroffenen müssen nachweisen, dass sie keine eheähnliche Gemeinschaft bilden. Möglicherweise auf das ALG II verzichten muss demnach, wer 1.) länger als ein Jahr zusammenwohnt und/oder 2.) mit einem gemeinsamen Kind zusammenwohnt und/oder 3.) Kinder oder Angehörige im Haushalt zu versorgen hat und/oder 4.) über des anderen Geld verfügen darf. Die Kontrolle sollen pflichtgemäß einzurichtende „Außendienste“ der Kommunen und Agenturen leisten.

Unter dem Kapitel Missbrauchsbekämpfung findet sich im neuen Gesetz auch die Auflage, allen, die sich erstmals arbeitslos melden, ein „Sofortangebot“ zu unterbreiten. Dadurch soll der Arbeitswille zum Beispiel der frisch examinierten – oder abgebrochenen – Studenten getestet werden. Sollte gerade keine echte Stelle zur Hand sein, sind hierunter Bewerbungstrainings oder auch 1-Euro-Jobs zu verstehen. Wer nicht annimmt, kriegt auch kein ALG II.

Die Koalition meint, dass die Arbeitsagenturen im vergangenen Jahr ihre Mittel für Trainingsmaßnahmen und Co. aus Faul- oder Sturheit nicht ausgeschöpft haben. Sie setzt hier nun auf mehr Vermittlungseifer. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) verweist allerdings darauf, dass sie etwa für dieses Jahr zur „vorläufigen Haushaltsführung“ verdonnert wurde und deshalb gar nicht über alle Mittel verfügen kann. Grundsätzlich aber, heißt es zum Kapitel „Sofortangebot“ von dort, „müsste das machbar sein“.

Wer bereits ALG II bezieht, aber Angebote ablehnt, muss mit schärferen Sanktionen rechnen. Auch bisher wurde in solchen Fällen der ALG-II-Satz von 345 Euro erst um 30, dann um weitere 30 Prozent gekürzt – aber nur für den, der sich innerhalb von drei Monaten zweimal sträubte. Mangels entsprechender Angebote innerhalb so kurzer Zeit wurde die 60-Prozent-Kürzung praktisch nie angewendet. Nun aber wird der Sanktionszeitraum auf ein Jahr ausgedehnt – und die Kürzungen erfassen auch den Zuschuss für Miete und Heizung. Bei unter 25-Jährigen will die Koalition etwas mehr Milde walten lassen: Die Kürzungen gelten dann nicht drei Monate, sondern sechs Wochen lang.

Grundsätzlich vom ALG II ausgeschlossen werden alle, die länger als sechs Monate in Heimen, Kliniken oder im Gefängnis untergebracht sind. Damit entfallen etwa für solche psychisch oder Sucht-Kranken oder auch für Untersuchungshäftlinge die Integrationschancen, die im Hartz-IV-Gesetz stecken.

Größere Einsparungen scheint sich die Koalition auch von einer beträchtlichen Ausweitung des „automatisierten Datenabgleichs“ zu versprechen. So soll etwa geprüft werden, ob Arbeitslose „Zinserträge im EU-Ausland erwirtschaften“, sprich ihr Kapital in der Europäischen Union verstecken. Beim Kraftfahrt-Bundesamt wird die „Angemessenheit des genutzten Kraftfahrzeuges“ überprüft. Beim Ausländerzentralregister wird abgefragt, ob ein Nichtdeutscher anderweitig als durch Arbeitslosigkeit auffällt.

Wer Geld gespart hat, sollte es spätestens jetzt in die Altersvorsorge umleiten. Denn die Freibeträge, die nicht mit dem ALG II verrechnet werden, fallen um ein Viertel. Die Freibeträge, die fürs Alter angelegt werden, wachsen entsprechend. Da die Bundesregierung die Rentenansprüche für Arbeitslose gekürzt hat, ist diese Umwidmung immerhin logisch.

Kleinere gute Nachrichten für Arbeitslose stecken im Gesetz vor allem im Kapitel „Optimierung des Leistungsrechts“. Auf Drängen der Wohlfahrtsverbände zum Beispiel wird nun klargestellt, dass eine Erstausstattung fürs Baby – inklusive des teuren Kinderwagens – komplett bezahlt werden kann.

Wer Bafög oder Berufsausbildungsbeihilfe bekommt, hat außerdem jetzt womöglich Anspruch auf Zuschuss zu Wohnung und Heizung. 1-Euro-Jobber bekommen Urlaubsanspruch, aber kein Urlaubsgeld.

Weiterhin unklar ist, wie die große Koalition auf die Summen kommt, die sie als zu erzielende Sparwirkungen angibt. So will der Bund schon dieses Jahr 400 Millionen, die Gemeinden sollen 100 Millionen Euro weniger ausgeben. Für das kommende Jahr setzt der Bund auf 1,2 Milliarden Euro, die Gemeinden sollen 300 Millionen Euro einsparen.

Aber sogar im Gesetzestext selbst gibt die Koalition zu, dass sie weder weiß, wie viele Leute von den einzelnen Maßnahmen betroffen sein werden, noch, wie viel Geld dadurch bei Bund und Gemeinden bleibt. Immerhin sei Hartz IV ja erst seit Anfang 2005 in Kraft. Darum sei es gegenwärtig „nicht möglich, statistisch abgesicherte Angaben über (…) finanzielle Auswirkungen zu treffen“, heißt es. „Die Statistik der Bundesagentur für Arbeit hierzu ist weiterhin im Aufbau“, geht es weiter. Darum verlasse man sich erst einmal „weitgehend auf Schätzungen“.