piwik no script img

Archiv-Artikel

„Da macht sich Hoffnungslosigkeit breit“

Das Niveau der Betreuung wird immer schlechter, klagen die Behinderten zum Protesttag gegen ihre Diskriminierung

Die Frage der jungen Frau ist durchaus ernst gemeint: „Sollen wir denn wieder weggesperrt werden?“ So wie ihr geht es vielen behinderten Menschen, erzählt der Landesbehindertenbeauftrage Joachim Steinbrück: „Sie empfinden ihre Lebensbedingungen als sehr armselig“. Und es kommt noch schlimmer: Die Lage Behinderter in Bremen, sagt Steinbrück, „verschlechtert sich extrem“.

Selbst Grundbedürfnisse könnten zum Problem werden: Es gebe Einrichtungen, die haben für acht Menschen – darunter sechs RollstuhlfahrerInnen – nur eine einzige Betreuungskraft. „Und wenn ich auf die Toilette muss“, klagt ein Betroffener, „muss ich immer warten, bis derjenige Zeit hat“. Geld für neues Personal gibt es keines, seit Jahren schon sind die Kosten gedeckelt. „Da macht sich bei vielen Hoffnungslosigkeit breit“, sagt Henry Meyer, ein Diakon – und Mitorganisator des 14. Bremer Protesttages gegen die Diskriminierung behinderter Menschen. Er bildete gestern den Auftakt für den europaweiten Protesttag, der heute stattfindet. Rund 400 Menschen zogen in einer Demonstration zum Marktplatz, diverse Foren und Arbeitsgruppen in der Friedensgemeinde bildeten zuvor den Auftakt.

„Der Protesttag tanzt“, war das Motto, denn schließlich gibt es ja auch Erfolge zu vermelden: Nach über zehn Jahren des politischen Kampfes verabschiedete die Bürgerschaft 2004 ein Landesgleichstellungsgesetz. Und Mitte des vergangenen Jahres wurde das Amt geschaffen, dass Joachim Steinbrück heute inne hat. Auch Niederflurbusse und -bahnen sind in Bremen fast die Regel.

Und doch: „Eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist für viele behinderte Menschen fast nicht möglich“, sagt Meyer. Der Besuch eines Kinos, eines Werder-Heimspiels sei für viele nicht drin. „Wir stauben ein“, zitiert Steinbrück eine Betroffene – und sie habe das durchaus wörtlich gemeint.

Matthias Weinert, Richter am Landgericht und Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft „Hilfe für Behinderte e.V.“ hatte gestern eigens ein Forum eingerichtet, auf dem die Betroffenen „behindertenpolitische Schweinereien“ loswerden konnten. Dabei wurden auch Beschwerden gegen Werkstätten für Behinderte (WfB) laut. Wer einmal dort beschäftigt sei, den wolle die WfB auch behalten, sagt Weinert –selbst wenn eine Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt möglich sei. Die Werkstätten, so Weinert, seien nicht bereit, „Integrationsarbeit zu leisten“.

Jan Zier