: Stallarrest für Luhi
Die Landesgartenschau in Winsen an der Luhe, gerade 14 Tage alt, zeigt karge Lärmschutzwälle und wartet auf den Frühling. Die Schau vor den Toren Hamburgs ist eine befremdliche Mischung aus Disneyland und Hobbygärtner-Spießigkeit geworden
von Ellen Köhrer
Kaugummi kauend fährt der junge Mann seine Tattoos am Oberarm spazieren. Rap dröhnt durch das offene Fenster des silbernen BMW. Bahnhofstraße Winsen, Backsteingotik, drei Uhr Nachmittags, 40 Kilometer südlich von Hamburg. Jugendliche mit Vokuhila-Frisuren schieben ihre Räder zum „Dönerhaus“ gleich neben dem Waffenladen. Vor Woolworth gibt es Softeis und T-Shirts mit dem Aufdruck „Männer bevorzugen die einfachen Dinge im Leben: Frauen.“
Zehn Gehminuten sind es vom Bahnhof zur Landesgartenschau. Am Eingang steht eine ältere Dame mit Strohhut auf dem Kopf und tritt nervös von einem Bein aufs andere. Prüfungsangst. Gleich wird ihr gärtnerisches Wissen abgefragt. Sie ist eine von 36 Landfrauen, die nach bestandener Prüfung bald Gäste übers 22 Hektar große Gelände führen dürfen.
„Eine blühende Fantasie“ will die Winsener Landesgartenschau sein, so steht es auf der Homepage. Noch ist davon wenig zu sehen. Der verspätete Frühling sei Schuld, erklärt die Pressefrau Katrin Elf. Gärtner und Handwerker wuseln zwischen den Beeten herum. Zwischen frisch gepflanzten Stiefmütterchen stehen leere Beete. Der Lärmschutzwall zur Bundesstraße, extra für die Schau aufgeschüttet, ist noch kahl, nur ein paar zarte Halme haben sich durch das Erdreich gekämpft. Und die Kinder warten vergeblich auf die Gans Luhi, das Gartenschau-Maskottchen. Es wurde ausquartiert. Stallpflicht wegen Vogelgrippe. Im Freigehege „Luhis Landsitz“ kauen solange zwei Schafe das Gänsegras. Fünf junge Skater im Einheitslook mit Käppis und dreiviertellangen Sackhosen tragen ihr Skateboard zur Halfpipe. „Echt korrekt“ finden die Jungs die Bahn.
Ein Original-Spreewaldkahn gleitet, vollgepackt mit Weißhaarigen, lautlos unter der Luhe-Brücke durch. Mit diesem Wassertaxi kommt man bequem von Dorotheas Garten beim ehemaligen Wasserschloss in den Eckermanns Park, jenseits der Bundesstraße.
Den Fluss entlang zieht sich ein grasbewachsenes Band: die „Flutmulde“. Sie fängt Wasser bei Überschwemmungen auf, deshalb blieb sie unbebaut. Lediglich Betonbrücken führen übers Grün. Gleich am dritten Tag nach der Eröffnung erfüllte die Mulde ihre Bestimmung und stand voller Hochwasser. Doch das war nicht vorgesehen, zwei Wehre waren nicht richtig gestellt. Blaue Glaskugeln auf Stelzen glitzern in der Sonne. Mitten in der Mulde langweilt sich ein fetter blau-gelber „Hüpfwurm“ und wartet auf Kinder. Den Weg neben der Flutmulde säumen rostbraune Klangschalen. „Die sind ja voller Regenwasser und Abfall“, bemerkt ein Rentnerpaar beim Inspizieren der Wok-ähnlichen Ungetüme.
„Die Landesgartenschau ist nicht nur eine Blumenschau sondern auch Wirtschaftsförderungsmaßnahme für Winsen“, sagt Katrin Elf. Ein Teil des Gartenschaugeländes wurde auf ehemalige Spargelfelder gepflanzt. Die Stadt Winsen hat die Äcker ortsansässigen Bauern abgekauft. Nach der Schau soll aus Teilen des Geländes stadtnaher Grünraum werden. Je dreieinhalb Millionen Euro haben das Land Niedersachsen und die Stadt Winsen in die Landesgartenschau investiert. Für die Durchführung sind weitere 5,4 Millionen Euro veranschlagt, die durch Eintrittsgeld und Sponsoring hereinkommen sollen.
Ein Highlight soll die Chinesische Heilkräuterapotheke werden. Mitten auf der rechteckigen Wiese steht der eigens aus China importierte Pavillon. Umzäunt wird das Areal von Metall: überdimensionalen Rostregalen mit ausgezogenen Schubladen. Darin wachsen Heilkräuter. Wer sich hier wohl fühlt, kann morgens zum Qi-gong, chinesischer Entspannungsgymnastik, kommen. Dann wird die Blumenschau zur Sportschau. „Heute früh um neun Uhr standen schon 20 Nordic-Walker am Eingang“, sagt Katrin Elf. Stepp-Aerobic und Rückentraining werden auch angeboten. Wem das zu anstrengend ist, der kann sich bei „Boule in der Abendsonne“ entspannen oder seine Kinder zum Yoga schicken.
Im Klostergarten soll einem der Duft von Kräutern und Rosen aus dem Bibel-Beet oder dem Heideklösterbeet entgegenwehen. Noch stehen auf dem Kreuzgang aus Sandsteinplatten bloß 20 leere Plastikstühle. Gottesdienste und Kurzandachten sollen hier stattfinden.
Die Veranstalter rechnen mit 600.000 Besuchern bis zum Ende der Schau am 15. Oktober. Zielgruppe sind die über 50-Jährigen sowie Familien und Paare ab 30. Deswegen sind die Gärten ganz auf Häuslebauer und Gartenbesitzer ausgelegt. Landeier können am Eingang vom „Garten der Kontraste“ eine frappierend echt wirkende Hinterhofatmosphäre schnuppern. Vor einer Betonwand mit Grafittis lehnt ein verrostetes Fahrrad, neben der kaputten Holzbank steht ein riesiger Aschenbecher voller Kippen im Sand. Ein paar Schritte weiter der nächste Kontrast: Das Blümchenwachstuch auf dem Plastikgartentisch soll Spießigkeit demonstrieren. Hier haben sich die Landschaftsarchitekten wohl richtig austoben dürfen.
Eine ganze Laubenkolonie musste der Gartenschau weichen, bloß ein Originalhäuschen steht auf einsamer Flur. Wer nach all der Künstlichkeit nach einer Pause lechzt, legt sich in eine der gelben Plastikhängematten, die aussehen wie große, gelbe Müllsäcke. „Träum ich“ nennt der Künstler sein Projekt. Vermutlich gab es dafür eine Traumgage, denn die Sponsorenschilder eines großen deutschen Baumarktes sind nicht zu übersehen.
Der Wind weht Volksmusikfetzen übers Gelände bis zum Lärmschutzwall vor dem Bahndamm. Eine Horde Rentner sitzt andächtig unterm wellenförmigen Dach und lauscht den Worten des Sängers übers glückliche Helgoland. 800 Veranstaltungen mit großem Showprogramm sind geplant. Ein Volksmusikwochenende, Chortreffen oder Blues-Konzerte mit Abi Wallenstein sollen Besucher auf die Landesgartenschau locken.
Drei Mädchen stapfen mit hochgekrempelten Jeans durchs Wasser vor dem Bahndamm, werfen Steine in den Teich. 15 Euro kostet das Saisonticket für Kinder, erklärt die Pressefrau „Das ist einmal Kino mit Popcorn und Cola.“