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Archiv-Artikel

Spirit statt Spekulanten

Seit knap zwei Jahren erschüttert eine Finanzkrise die Welt. Doch auf dem Kirchentag kommt sie kaum vor. Woran liegt das nur?

Bei Kirchentagen ist es Tradition, dass Wirtschaft nur am Rande vorkommt

AUS MÜNCHEN ULRIKE HERMANN

Ein schwere Finanzkrise erschüttert seit knapp zwei Jahren die Welt, aber auf dem ökumenischen Kirchentag kommt der Crash kaum vor. Über 3.000 Veranstaltungen stehen auf dem Programm, doch mit der globalen Rezession befassen sich vielleicht 20 Angebote – wenn man großzügig rechnet.

In der Außendarstellung klingt dies natürlich ganz anders. Die Finanzkrise gehöre zu den „wesentlichen Themen“, versichert der evangelische Kirchentags-Sprecher Rüdiger Runge und zeigt eine Liste vor, auf der sich dann so prominente Namen wie die Soziologin Saskia Sassen, der Philosoph Richard Schröder, der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold oder der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier finden.

Glauben im Mittelpunkt

Trotzdem räumt auch Runge ein, dass andere Themen dominieren. „Im Mittelpunkt stehen Spiritualität, Glaubensfragen und das eigene persönliche Leben.“ Sein katholischer Sprecher-Kollege Theodor Bolzenius will daraus aber nicht ableiten, dass der Kirchentag unpolitisch sei. „Gerade die Gläubigen gehen zu den Wahlen und engagieren sich in der Gesellschaft.“

Der Umgang mit der Finanzkrise ist aber durchaus typisch: Bei den Kirchentagen ist es Tradition, dass Wirtschaftsthemen eher am Rande vorkommen. Das evangelische Magazin chrismon monierte schon vor Jahren, dass sich auf den Podien „meist Geistliche und Politiker“ träfen, während die Spitzen aus Firmen, Aufsichtsräten und Gewerkschaften fast völlig fehlten. Diese inhaltliche Einseitigkeit ist jedoch nicht nur den Organisatoren anzulasten.

Auch bei den Unternehmen herrscht kein allzu großes Bedürfnis, mit den Gläubigen zu debattieren. „Es ist nicht einfach, hochrangige Wirtschaftsvertreter für den Kirchentag zu gewinnen“, sagt Runge dazu diplomatisch.

Die ökonomischen Programmlücken fallen allerdings den meisten Kirchentagsbesuchern nicht auf, weil sowieso fast niemand Angebote zur Finanzkrise erwartet. „Danach habe ich gar nicht gesucht“, sagt etwa Eva Patalang, die in einem Naturkostladen in Freising arbeitet. Sie hofft auf Begegnungen mit Menschen, die sie im Alltag nicht kennen lernt – und war daher bei einem Gebärdenchor, wo Hörende und Taube gemeinsam ein Lied einstudiert haben.

Gewissheiten fehlen

Auch Joachim Gerhardt, Pastor aus Bonn, erlebt den Kirchentag als eher unpolitisch. „Diese Entwicklung gibt es schon seit Jahren.“ Früher seien die Positionen eindeutig gewesen: gegen Nachrüstung, Apartheid oder AKWs. Heute hingegen fehlten die klaren Gewissheiten. „Die Fragen sind jetzt existenzieller und individueller.“ Auch er selbst ist in diesem Jahr zum Kirchentag nach München gekommen, um sich „im eigenen Leben zu bestärken“.

Das weitgehende Schweigen über die Finanzkrise ist schon deswegen erstaunlich, weil sie direkt auf die Gemeinden durchschlägt. Viele kirchliche und soziale Projekte sind mittelfristig bedroht, da der Staat in seinen Haushalten kürzt. Trotzdem fehlt eine Gesamtstrategie. „Jedes Projekt kämpft für sich selbst“, haben Ute Müller und Ursula Carus festgestellt, die ein Mehrgenerationenhaus im niedersächsischen Stolzenau betreiben, dessen Förderung 2011 ausläuft. „Die Finanzkrise ist ein Thema, das einfach nur Angst macht.“